Der Niederländer Max van der Werff beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema MH17. Zuletzt sorgte er mit dem Dokumentarfilm "MH17 – Ruf nach Gerechtigkeit", den er als Coautor produziert hat, für einiges Aufsehen in seiner Heimat. Im Film kommen vor allem malaysische Experten und Politiker zu Wort. RT Deutsch zeigte im September Auszüge aus seinem Film.
Nun veröffentlichte der Journalist geleakte Dokumente aus dem Bestand des JIT (Joint Investigation Teams), des offiziellen Ermittlungsgremiums der niederländischen Staatsanwaltschaft, das mit der strafrechtlichen Untersuchung des Abschusses des Malaysia-Airlines-Fluges MH17 über der Ostukraine am 17. Juli 2014 betraut ist. Veröffentlicht wurden sie auf der Plattform und dem Youtube-Kanal Bonanza Media sowie auf seiner Homepage.
Präsentiert werden insgesamt vier Dokumente. Zwei davon stammen von den niederländischen Behörden, zwei von den australischen. Die australischen Dokumente sind echt, wie ein Sprecher der australischen Polizei (Australian Federal Police) auf Anfrage des russischen Wirtschaftsportals RBK bestätigt haben soll. Die niederländische Staatsanwaltschaft kommentierte die Veröffentlichung bislang nicht und wies auf die bevorstehende Gerichtsverhandlung zu dem Fall hin, die am 9. März in Den Haag beginnen soll. Die Unterlagen der niederländischen Ermittler liegen auf Englisch und Niederländisch vor, veröffentlicht wurde die englische Version.
Das erste Dokument ist das Protokoll der Befragung des deutschen Journalisten Billy Six durch die australische Polizei. Im Gespräch kommentiert Six die von ihm im Abschussgebiet auf Video festgehaltenen Aussagen von Zeugen des Absturzes. Mehrere Zeugen behaupten, dass sie am Himmel in der Nähe der abgestürzten Maschine bis zu zwei ukrainische Militärjets gesehen oder deren Geräusche gehört haben. Van der Werff weist auf den Vermerk der Behörden hin, dieses Dokument "nicht mit der Ukraine zu teilen".
Ein anderes Dokument ist ebenfalls ein Protokoll der Vernehmung eines weiteren Zeugen aus einem Dorf bei Tores durch die niederländische Polizei aus dem Jahr 2015. Boris, so heißt der Zeuge, behauptet, zwei ukrainische Militärflugzeuge in der Nähe der abgestützten Maschine gesehen und gehört zu haben. Der Journalist und seine Kollegin Jana Jerlaschowa sprachen jüngst selbst mit dem Zeugen und kündigten bei einer Videoschaltung auf Youtube die baldige Veröffentlichung des Interviews an.
Militäraufklärer: Kein einsatzfähiges Buk-System in Abschussreichweite geortet
Ein weiteres Dokument ist ein Bericht von Generalmajor Onno Eichelsheim, Direktor des niederländischen Militärgeheimdienstes MIVD, vom 21. September 2016. In diesem Bericht antwortete Eichelsheim auf die Anfrage der niederländischen Staatsanwaltschaft, ob Buk-Raketen mit dem MH17-Absturz in Verbindung stehen könnten.
In dem Schreiben geht es um elf Stützpunkte, an denen sich die ukrainischen und russischen Buk-Raketen im Juni und Juli 2014 befanden. Nach MIVD-Angaben befanden sich sämtliche elf ausfindig gemachten Buk-Komplexe – acht ukrainische und drei russische – in einer Entfernung von mindestens 66 Kilometern vom Absturzort.
Aus der Tabelle wird offensichtlich, dass der Flug MH17 sich außerhalb der Reichweite aller ukrainischer wie auch russischer Buk-Systeme von ihren Stationierungsorten aus befand", heißt es in dem Schreiben.
Weiter heißt es in dem Dokument, dass der einzige identifizierte Komplex, der eine hinreichend große Reichweite hat, um dieses Flugzeug abzuschießen, zwei Raketensysteme vom Typ S-300PM-2 Favorit der russischen Streitkräfte sind, die unweit von Rostow am Don stationiert sind. Bei der Weitergabe dieser Information verweist der niederländische Geheimdienst auf "Quellen von Partnern".
Dem MIVD liegen Informationen von Partnern vor, die auf den Einsatz der Radaranlagen zur Feuerlenkung 36N8 zum Start der Boden-Luft-Rakete des Typs 48NS am 17. Juli 2014 hinweisen. Dieser Ort befindet sich in unmittelbarer Nähe großer Ortschaften, und der Raketenstart hätte wohl zu Berichten in sozialen Netzwerken und anderen Medien geführt. Der MIVD weiß nichts von solchen Publikationen", steht weiter im Text des Schreibens.
In einem weiteren Schreiben teilte Eichelsheim mit, dass ein ukrainischer Buk-Komplex in der ukrainischen Stadt Awdejewka nördlich von Donezk stationiert wurde, der aber nicht einsatzfähig gewesen sei.
Van der Werff hebt in seinem Kommentar hervor, dass die niederländische Militäraufklärung über Daten von hoher Genauigkeit verfügt, wobei sie am 21. September 2016 keine Informationen aus zuverlässiger Quelle bekommen habe, dass ein russischer Buk-M1-Komplex während des Konfliktes die Grenze zur Ukraine überquert habe.
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Am 26. September 2016, nur wenige Tage nach dem Absenden des Berichts, präsentierte das JIT die ersten Resultate seiner Ermittlungen. Auf einer Pressekonferenz beschuldigte Chefermittler Fred Westerbeke Russland und die Rebellen im Donbass des Abschusses. Ihm zufolge brachte das russische Militär das Raketensystem Buk M1 (9M) heimlich in das Konfliktgebiet und entfernte es nach dem Abschuss. Die Ermittler stützten ihre These auf verschiedene Foto- und Videobeweise sowie auf abgehörte Telefonate der Feldkommandeure der Rebellen. Seitdem hat sich an dieser Version nichts geändert.
Keine Originaldateien verwendet
Das letzte geleakte Dokument ist die Analyse der australischen Polizei von vier Bilddateien, die ihr von den niederländischen Ermittlern zugesandt wurden. Diese wurden im Zeitraum vom 22. April 2015 bis zum 2. Juli 2015 von den Spezialisten für Bild- und Geodaten Shaun Ellis und Tim Johns untersucht.
Foto- und Videobeweise, die in den sozialen Medien und Internetportalen geteilt wurden, sind in der Untersuchung zu einer Art Kronzeugen geworden. Diese Bilddateien tauchten in verschiedenen Medien als Belege für den Buk-Transport in das Rebellengebiet am Tag des Abschusses auf. Die australischen Bildforensiker weisen allerdings darauf hin, dass viele Indizien wie Metadaten, Abmessungen und Größenverhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf hinweisen, dass die Dateien manipuliert wurden. Das ist für van der Werff ein weiterer Beleg dafür, dass niederländische Ermittler ihnen zur Verfügung stehenden Bilder gar nicht als Originaldateien benutzten, sondern als Screenshots oder vielfach verkleinerte und geänderte Dateien, was Manipulationen Tür und Tor öffnete. In seinem Kommentar zum Dokument der australischen Polizei erinnert er an die früheren journalistischen Studien, die diese und viele andere "Bildbeweise" bereits kritisch betrachteten. Seine Veröffentlichung schließt er mit folgender Frage ab:
Wurde die MH17-Untersuchung eigentlich ordentlich durchgeführt? Die Ermittlungen der vergangenen Jahre hatten meine Zweifel bereits genährt, die neuen Informationen aus diesen vier Dokumenten verstärken sie nun nochmals.
Reaktionen in Deutschland
Mehrere russische Medien berichteten bereits über den Leak, deutsche hingegen nicht – mit Ausnahme von Sputnik und Telepolis. Dessen Chefredakteur Florian Rötzer kommentierte die Veröffentlichung so:
Das MH17-Narrativ, nach dem russisches Militär ein Buk-System während des Luftkriegs der ukrainischen Streitkräfte gegen die Separatisten in die Ostukraine gebracht haben soll, könnte ähnlich gezimmert worden sein wie der OPCW-Abschlussbericht über den angeblichen Giftgasangriff in Duma, der offenbar politisch korrekt durch Ausschluss von Fakten und Inspektoren verfertigt wurde.
Das Journalisten-Duo van der Werff und Jerlaschowa kündigte in seiner Videoschaltung an, kurz vor Beginn der Gerichtsverhandlung am 9. März zusammen mit einem malaysischen Tonexperten und demjenigen Offizier, dem die Black Box des abgestürzten Flugzeugs überreicht wurde, nach London und Den Haag zu kommen und die neuen Veröffentlichungen und Zeugenaussagen zu präsentieren.
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