Derzeit erklärt das Pentagon, dass die Vereinigten Staaten bis zum Jahr 2022 in der Lage sein werden, sich vollständig "aus der Abhängigkeit" vom RD-180 zu lösen. Doch wie Experten gegenüber RT erklärten, entwickeln die USA zwar seit mehreren Jahren an eigenen, vergleichbaren Raketentriebwerken, im Moment sei es aber schlicht unmöglich, die Effizienz- und Zuverlässigkeitswerte des russischen Triebwerks zu erreichen.
Der Forschungsdienst des US-Kongresses erklärte, dass die Vereinigten Staaten mindestens ein weiteres Jahrzehnt lang den russischen Raketenantrieb RD-180 nicht eigenständig werden ersetzen können. Zu diesem Schluss kamen die Experten im Rahmen ihrer "Analyse des Standes des Weltraumstartprogramms im Interesse der nationalen Sicherheit".
RT hat sich mit dem entsprechenden Bericht vertraut gemacht, der am 3. Februar 2020 vorgelegt wurde. Den Analytikern zufolge wird der Übergang zu alternativen, in den USA hergestellten Triebwerken für Trägerraketen nicht ohne technische, organisatorische oder planerische Risiken auskommen. Mehr als das: Die Effizienz und Zuverlässigkeit des RD-180 zu erreichen, werde wahrscheinlich auch im Jahr 2030 noch nicht möglich sein, so der Forschungsdienst des Kongresses.
Selbst wenn der Übergang vom RD-180 auf andere Triebwerke oder komplette Trägerraketen reibungslos und planmäßig verlaufe, sei es wahrscheinlich, dass die bisher mit dem RD-180 erreichte Leistung und Zuverlässigkeit erst deutlich später als im Jahr 2030 erreicht wird.
Nach Angaben der Experten sind seit dem Jahr 2000 bereits 81 erfolgreiche Raketenstarts in Folge mittels der russischen RD-180-Triebwerke erfolgt. Diese Triebwerke werden sowohl im zivilen und kommerziellen Bereich als auch im Bereich der nationalen Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika gebraucht.
Es sei daran erinnert, dass die RD-180-Triebwerke vom russischen Forschungs- und Produktionsverband NPO Energomasch hergestellt werden. Die USA verwenden die russischen Triebwerke für die erste Stufe ihrer zweistufigen Einweg-Trägerrakete Atlas V, mit der unter anderem die Militärsatelliten der US-Luftwaffe und die Forschungsapparaturen der NASA in den Erdorbit gebracht werden. Der erste Vertrag über die Lieferung der Triebwerke wurde bereits im Jahr 1997 abgeschlossen – und er wurde danach mehrfach verlängert. Im Jahr 2016 stimmte der US-Senat dem Kauf von weiteren 18 Raketentriebwerken dieses Typs bis ins Jahr 2022 zu.
Für das Ende dieses Zeitraums plante man in Washington jedoch, die Abhängigkeit vom RD-180 aufzugeben. Im April vergangenen Jahres wurde dies vom Chef des Weltraumkommandos der US-Luftwaffe, John Raymond, mit folgenden Worten angekündigt:
Unsere Startstrategie funktioniert. Von 76 unserer Starts verliefen 76 erfolgreich. Die Kosten wurden seit 2012 um 24 Prozent gesenkt. Wir machen Fortschritte in dem festgelegten Plan, aus unserer Abhängigkeit vom RD-180 herauszukommen.
Darüber hinaus verhängte das Pentagon im Jahr 2019 ein Verbot der Zusammenarbeit mit Russland und mehreren anderen Ländern bei Weltraumstarts. Diese Einschränkungen gelten sowohl für den Start von Satelliten als auch von Trägerraketen. Dieser Beschluss des US-Verteidigungsministeriums soll am 31. Dezember 2022 in Kraft treten.
Roskosmos nannte diesen Schritt einen unlauteren Wettbewerb. Nach Auffassung des russischen Staatsunternehmens zerstören die USA damit die bilateralen Beziehungen der Raumfahrtindustrie beider Länder und nehmen zudem US-amerikanischen Unternehmen die Möglichkeit, mit Russland zusammenzuarbeiten. In einer Erklärung von Roskosmos heißt es:
Tatsächlich ist dies ein Versuch, den US-Herstellern die Möglichkeit zu nehmen, mit der russischen Raketen- und Raumfahrtindustrie zusammenzuarbeiten und den Einsatz russischer Trägerraketen auf dem internationalen Markt der Weltraumstarts künstlich einzuschränken. Das Pentagon will zerstören, was in den US-amerikanisch-russischen Beziehungen im Weltraum unter solchen Mühen erschaffen und aufrechterhalten wurde.
Unterdessen betont jedoch der Forschungsdienst des US-Kongresses, dass auf die US-Luftwaffe eine Reihe ernsthafter Probleme im Zusammenhang mit dem Verzicht auf russische Triebwerke und dem Übergang zu einem Marktwettbewerb für Weltraumstarts zukommen wird. Insbesondere geht es um die jüngste Entscheidung der United Launch Alliance, die mit Triebwerken aus gemeinsamer westlicher Produktion ausgestattete Trägerrakete Delta IV Medium außer Dienst zu stellen.
Sie wurde bisher für den Start der schwersten US-Militärsatelliten verwendet. Besorgnis erregt beim US-Kongress auch, dass SpaceX jetzt der einzige Anbieter wird, der die nationalen Sicherheitsanforderungen erfüllen kann. Darüber hinaus könnten sich die Beschränkungen für den Erwerb des RD-180 bereits während der Übergangszeit auf den Zeitplan für Starts von Raketen des Typs Atlas V auswirken.
Iwan Moissejew, Leiter des russischen Instituts für Weltraumpolitik, erklärte gegenüber RT, dass es derzeit keine gleichwertigen Produkte zu den russischen RD-180 gibt. Er stellte fest, dass sich die Entscheidung in Washington, das Triebwerk in naher Zukunft aufzugeben, wahrscheinlich als ungünstig erweisen wird. Moissejew bewertet die Situation so:
RD-180 ist ein sehr gutes Triebwerk, in seiner Klasse der schweren Sauerstoff-Kerosin-Triebwerke derzeit das beste. Das RD-180 wurde zur Basis einer ganzen Familie von Triebwerken, die heute in unserem Land aktiv genutzt und auch an die Vereinigten Staaten verkauft werden. Es wäre für die US-Amerikaner gewinnbringend, auch ihre neuen Raketen auf der Grundlage unseres Triebwerks zu bauen.
Seiner Einschätzung nach dürften die in den USA verfügbaren Vorräte an RD-180 ausreichen, um noch bis in das Jahr 2030 Raketen starten zu können. Nach Angaben der NPO Energomasch wurden im vergangenen Jahr sechs solcher Triebwerke an die USA überstellt; darüber hinaus ist die Lieferung von sechs weiteren RD-180 für das laufende Jahr geplant.
US-Amerikanische Spezialisten waren an der Schaffung des RD-180 in den 1990er Jahren beteiligt. Sie erhielten zwar auch einiges an technischen Dokumentationen, aber es gelang ihnen nicht, später ein eigenes Triebwerk mit den gleichen Eigenschaften wie denen des RD-180 zu entwickeln, erklärte der Militärexperte Alexei Leonkow:
Das US-amerikanische Triebwerk war dem russischen Pendant in vielerlei Hinsicht unterlegen – bezüglich mancher Parameter sogar um das Zweifache.
Gleichzeitig erinnerte Leonkow daran, dass die Vereinigten Staaten in den letzten Jahren wiederholt Pläne zur Ablösung des RD-180 angekündigt hatten – doch geschehen ist bisher nichts:
Die USA hatten solche Entscheidungen bereits früher getroffen. Ein Ausstieg aus der Nutzung war zunächst bis zum Jahr 2018 geplant, dann bis 2019, 2020 und jetzt bis zum Jahr 2022. Das Datum verschiebt sich immer wieder, in der Hoffnung, dass sie dann ihr eigenes, einigermaßen billiges und zuverlässiges Gegenstück haben werden. Doch die Fristen verstreichen, und ohne unsere Triebwerke geht es schlicht nicht. Wir werden sehen, was dieses Mal passiert.
Politische Entscheidung
Die Suche nach einer Alternative zum RD-180 begann in den USA im Jahr 2015, erinnern Analytiker des Forschungsdienstes des US-Kongresses. Als Anlass, diesen Prozess voranzutreiben, diente die Reaktion Moskaus auf die amerikanischen Sanktionen nach den Ereignissen in der Ukraine:
Die negative Reaktion Russlands auf die Sanktionen, welche die USA im Jahre 2014 im Zusammenhang mit ihren Aktionen in der Ukraine verhängt hatten, verschärfte das bereits ernsthafte Problem und hat die seit langem bestehende innenpolitische Besorgnis über die Abhängigkeit der USA vom russischen Raketenantrieb RD-180 verstärkt, mit dem eine der wichtigsten Raketen für Weltraumstarts im Interesse der nationalen Sicherheit mit kritischer Bedeutung ausgestattet ist.
Zur Erinnerung: Die Administration in Washington schränkte die Zusammenarbeit mit Moskau auf vielen Gebieten wegen des Konflikts im Südosten der Ukraine und wegen der Wiedervereinigung der Krim mit Russland ein.
Nach einem angeblichen Angriff Russlands auf die Ukraine verhängten die Vereinigten Staaten von Amerika den Forschern zufolge Sanktionen gegen eine Reihe russischer Personen und Einrichtungen, darunter auch gegen den Chef von Roskosmos, Dmitri Rogosin. Dies betonen auch die wissenschaftlichen Experten des US-Kongresses.
Als Reaktion darauf kündigte Russland an, die Lieferungen der RD-180 möglicherweise einzustellen. Der Bericht zitiert den Generaldirektor des staatlichen Unternehmens mit den Worten, dass Moskau die Triebwerke nicht an die USA liefern kann, wenn es keine Garantie erhält, dass sie ausschließlich für zivile Zwecke verwendet werden. Diese Reaktion hat in US-Fachkreisen Besorgnis ausgelöst. Die Forscher stellten fest:
Unter vielen Beobachtern wuchs die Besorgnis, dass Russland plötzlich ein totales Verbot für die Ausfuhr dieses Triebwerks in die USA verhängen oder den Export dieses militärisch relevanten Produkts bis zu einem gewissen Grad einschränken könnte.
Es ist bemerkenswert, dass die USA schon im Jahr 2014 versuchten, ein Verbot für den Kauf von RD-180 zu verhängen, diese Idee aber bald aufgaben, weil sie keinen gleichwertigen Ersatz finden konnten. Bill Nelson, ein ehemaliger Astronaut und später Mitglied des Senatsausschusses für Streitkräfteangelegenheiten, erklärte damals, dass der überstürzte Verzicht auf das russische Triebwerk die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten gefährden könne.
Im selben Jahr bildete das Pentagon eine Kommission, die sich mit Fragen im Zusammenhang mit einem möglichen Verlust des RD-180 beschäftigen sollte, erinnert der Bericht an den Kongress. Diese empfahl dann, nicht etwa eine gemeinsame Produktion des Triebwerks in den USA zu organisieren, sondern bis zum Jahr 2022 für die Entwicklung eines neuen amerikanischen Triebwerks 141 Millionen US-Dollar auszugeben.
Wie bereits bekannt wurde, veröffentlichte die US-Luftwaffe eine Ausschreibung für die Entwicklung von Systemen, die dem Land somit wieder garantierten Zugang zum Weltraum verschaffen und es ihm erlauben würden, die "von einem nichtverbündeten Staat hergestellten" RD-180-Triebwerke aufzugeben.
Laut Iwan Moissejew ist der Verzicht der USA auf das RD-180 eine politische Entscheidung. In Washington wandte man während des Kalten Krieges ähnliche Methoden an. Der Leiter des russischen Instituts für Weltraumpolitik sagte gegenüber RT:
Die Weigerung des Pentagon, mit Firmen zusammenzuarbeiten, die im Auftrag Russlands arbeiten, ist eine Folge der angespannten Lage zwischen den beiden Ländern, die auf die Sanktionen zurückzuführen ist. Das trägt eine politische Komponente in sich. Dies war bereits zu sowjetischen Zeiten der Fall, als die USA die Lieferung ihrer eigenen Satelliten – und aller anderen, in denen US-amerikanische Bauteile verwendet wurden – an die Sowjetunion verboten hatten. Bis 1995 waren wir im Weltraum eigentlich nicht kommerziell tätig.
Unanfechtbare Vorteile
Gegenwärtig entwickeln in den USA und für die USA mehrere Privatunternehmen Raketenantriebe. Zum Beispiel arbeitet das Unternehmen Blue Origin, das dem Amazon-Eigentümer Jeff Bezos gehört, an der Schaffung des BE-4. Dieses Triebwerk ist für die Trägerrakete Vulcan ausgelegt. Sie soll in Zukunft die Atlas V-Rakete ersetzen – doch die neue Rakete hat bis jetzt noch nicht abgehoben.
Auch das Unternehmen SpaceX von Elon Musk treibt seine Entwicklungen voran. Das Unternehmen hat sich verpflichtet, im Jahr 2020 mit der schweren Rakete Falcon Heavy den Militärsatelliten AFSPC-52 in die Erdumlaufbahn zu bringen.
Darüber hinaus entwickelt SpaceX das Triebwerk Raptor, das für die Rakete Starship verwendet werden soll. Laut Elon Musk übertreffe die Entwicklung seiner Firma die Parameter des RD-180, der Druck im Brennraum seines Triebwerks erreiche 268,9 bar – gegenüber 266,7 bar im RD-180.
Nach Peter Ljowotschkin, Chefkonstrukteur von NPO Energomasch, vergleicht Musk hier Äpfel mit Birnen. Die beiden Triebwerke dieses Vergleiches sind nämlich für den Betrieb mit völlig unterschiedlichen Treibstoffkombinationen ausgelegt: Raptor arbeitet mit Sauerstoff und Methan, während das RD-180 mit Sauerstoff und Kerosin betrieben wird. Es ist etwa wie der Vergleich eines Dieselmotors mit einem Benzinmotor, sagte er.
Herr Musk, der kein technischer Spezialist ist, berücksichtigt nicht, dass im RD-180-Triebwerk, das auch die Atlas-Trägerrakete antreibt, ein völlig anderes Kraftstoffsystem zur Anwendung kommt: Sauerstoff-Kerosin. Und das bedingt völlig unterschiedliche Betriebsparameter der Triebwerke.
Inzwischen sah sich Roskosmos-Leiter Dmitri Rogosin in einem Kommentar zur Erklärung von Elon Musk genötigt anzumerken, dass das RD-180 aktuell ohne Konkurrenz ist:
Gott segne sie mit Glück bei ihrem Vorhaben, ein besseres Triebwerk zu erschaffen als wir. Solange, bis sie dabei Erfolg haben werden, bleibt Russland auf diesem Gebiet weltweit die Nummer eins.
Der Militärexperte Alexei Leonkow erinnerte daran, dass heute alle US-amerikanischen Raumfahrtprogramme zur Erforschung des Weltraums und für Starts in geostationäre Umlaufbahnen auf russische Triebwerke angewiesen sind. Bereits dies beweise ihren Vorteil gegenüber anderen Apparaten:
Bald werden in den USA das teurere BE-4 oder das Triebwerk für die Falcon Heavy in Teststarts erprobt. Wären sie betriebsgünstiger als russische Triebwerke, hätten die US-Amerikaner die unseren längst zugunsten ihrer Eigenentwicklungen aufgegeben.
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