Bei Assange-Besuch mutmaßlich ausspioniert: NDR erstattet Anzeige gegen dubiose Sicherheitsfirma

Die Firma Undercover Global war von 2012 bis April 2019 für die Überwachung der ecuadorianischen Botschaft in London zuständig – und soll Besucher von Julian Asssange, darunter Journalisten, ausgespäht haben. Nutznießer war wohl auch ein US-Geheimdienst.

Nach Besuchen von Journalisten des Norddeutschen Rundfunks (NDR) beim WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London hat der Sender Anzeige gegen ein Sicherheitsunternehmen gestellt. "Der NDR geht davon aus, dass seine Mitarbeiter ausgespäht wurden und so ihre Persönlichkeitsrechte und auch das Redaktionsgeheimnis verletzt wurden", teilte der Sender mit. Das volle Ausmaß der Ausspähung sei noch nicht bekannt.

Der NDR beruft sich auf Dokumente und Videoaufnahmen, die nach eigenen Angaben dem Sender sowie dem WDR vorliegen. Betroffen von der Überwachung seien demnach – neben Ärzten und Anwälten von Assange – offenbar auch deutsche Journalisten, darunter drei NDR-Mitarbeiter.

Die Besuche der Journalisten bei Assange in London fanden zwischen 2012 und Ende 2017 statt. Die Anzeige wegen des Verstoßes gegen datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Bestimmungen richte sich gegen das spanische Unternehmen Undercover Global, kurz UC, und ging am Donnerstag an den nationalen Gerichtshof in Madrid.

"Hohe Priorität für russische Staatsbürger"

Die ARD spricht auf der Webseite tagesschau.de von systematischer Videoüberwachung, Mitschnitten von Gesprächen, Vermerken über Gäste und ausgespähten Telefone. Neben Videoaufnahmen aus dem Innenleben der diplomatischen Liegenschaft in London und Tonmitschnitten von vertraulichen Gesprächen sollen Sicherheitsbedienstete der Firma auch Seriennummern von Mobiltelefonen erfasst haben.

Zudem sollen sie unter anderem Pässe kopiert, elektronische Geräte zerlegt und versteckte Mikrofone im Botschaftsgebäude angebracht haben. Hohe Priorität habe insbesondere auch "russischen Staatsbürgern" gegolten. Laut dem Bericht auf tagesschau.de, der sich auf Aussagen von früheren Mitarbeitern der genannten Firma bezieht, soll das gesammelte Material auch Auftraggebern in den USA bereitgestellt worden sein – mutmaßlich einem Nachrichtendienst.

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Laut den Äußerungen früherer Mitarbeiter des Unternehmens soll deren Chef, David Morales, nach einer Rückkehr aus den USA vor den Untergebenen geprahlt haben: "Ab jetzt spielen wir in der 1. Liga. … Wir arbeiten jetzt für die dunkle Seite.", wie tagesschau.de berichtet. Später soll Morales regelmäßig (bis zu zwei Mal monatlich) in die USA gereist sein, um Datenträger mit Material aus der ecuadorianischen Botschaft abzuliefern.

In einer Zeugenaussage soll ein ehemaliger Sicherheitsmitarbeiter über seinen früheren Chef geäußert haben: "David Morales antwortete – als ich ihn eindringlich fragte, wer seine 'amerikanischen Freunde' seien – es sei 'der Geheimdienst der Vereinigten Staaten'. Im September 2017 habe Morales einen engen Kreis von Mitarbeitern per Mail gebeten, "bitte nur sehr zurückhaltend über meinen Aufenthaltsort (besonders über meine Reisen in die USA) zu sprechen", berichtet nun tagesschau.de weiter.

Auslieferungsgesuch der USA könnte scheitern

Das beschuldigte Unternehmen weist jegliche Vorwürfe zurück.  Laut tagesschau.de räumte ein Anwalt von UC Global jedoch in einem Gespräch mit dem NDR und dem WDR ein, dass das Unternehmen mit US-amerikanischen Nachrichtendiensten zusammenarbeite – allerdings nicht bei der Überwachung der ecuadorianischen Botschaft in London. Zudem habe UC Global keinerlei Audioaufnahmen innerhalb der Botschaft angefertigt. Laut dem Bericht, soll die Sicherheitsfirma umgekehrt Mitarbeitern von WikiLeaks vorwerfen, verdeckte Tonaufnahmen angefertigt und die Vorwürfe konstruiert zu haben.

Assange sitzt derzeit in einem Londoner Gefängnis. Ein offizielles US-Auslieferungsersuchen zielt darauf ab, dass Großbritannien Julian Assange an die USA-Justiz ausliefert. Darüber muss ein britisches Gericht entscheiden. Nils Melzer, der Rechtswissenschaftler und zugleich offizieller UN-Sonderberichterstatter über Folter ist, wirft den USA, Großbritannien, Ecuador sowie Schweden im Fall Assange ein jahrelanges mörderisches Vorgehen vor. Er hatte Assange mit einem medizinischen Expertenteam vor einem halben Jahr im Gefängnis in London besucht. Bei diesem Besuch habe er bei Assange bereits Schäden durch Folter – unter anderem auch neurologische – festgestellt. Nach einem neuerlichen Besuch im Londoner Hochsicherheits-Gefängnis sei sein Zustand mittlerweile so schlecht, dass der UN-Sonderberichterstatter befürchtet, dass er sterben wird. "Das ist keine Übertreibung", so Melzer.

Sollten sich die Spionagevorwürfe gegen die spanische Sicherheitsfirma als wahr herausstellen, könnte dies auch Auswirkungen auf das Auslieferungsgesuch der USA haben. Denn sollten britische Richter – unter anderem wegen der Überwachung von Assanges Anwälten – zu dem Schluss kommen, dass den WikiLeaks-Gründer in den USA kein faires Verfahren erwartet, müssten sie – nach rechtsstaatlichen Prinzipien jedenfalls – das US-Gesuch ablehnen.

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