Im wohl größten Steuerskandal der deutschen Geschichte, den "Cum Ex"-Geschäften, hat erstmals ein zentral beteiligter Finanzmarkt-Akteur vor Gericht ausgesagt. Ein 41-jähriger Aktienhändler, der wegen besonders schwerer Steuerhinterziehung angeklagt ist, beschrieb vor dem Bonner Landgericht die Beteiligten als profitgetriebene "Industrie" und als "ein riesiges Netzwerk von Unternehmen, Personen und Körperschaften, die in verschiedenen Rollen agierten." Umfangreich beschrieb er die Abläufe der Geschäfte, bei denen nach einem Hin- und Herschieben von Aktien Steuern auf Dividenden mehrfach erstattet wurden.
Verwendungszweck ist Hinweis auf "Cum Ex"-Geschäfte
Interessant war die Darstellung des Angeklagten, dass es bei den fragwürdigen Transaktionen eine Art Verwendungszweck gab. Dadurch hätte den Beteiligten klar gewesen sein müssen, dass es sich um "Cum Ex"-Geschäfte und damit keine echten Dividendenzahlungen gehandelt habe. Bisher ist aus der Bankenbranche zu hören, dass sie das mangels Transparenz am Markt gar nicht hätte wissen können.
Neben dem 41-Jährigen ist ein weiterer, 38 Jahre alter Brite angeklagt. Beide waren gemeinsam zunächst Aktienhändler bei der HypoVereinsbank (HVB) in London. 2008 gründete der heute 41-Jährige zusammen mit einem Partner eine Investmentberatung namens Ballance, die im großen Stil "Cum Ex"-Geschäfte vermittelte. Kunde wurde zum Beispiel die Hamburger Privatbank M.M. Warburg, die mit zwei verschiedenen Firmen aus ihrem Konzern als sogenannter Nebenbeteiligter in dem Gerichtsverfahren mit von der Partie ist. Drei andere Finanzinstitute sind ebenfalls Nebenbeteiligte – sie alle könnten kräftig zur Kasse gebeten werden.
Deutsche Bank involviert
Der Angeklagte beschrieb die Zusammenarbeit mit M.M. Warburg als sehr wichtig für sein Unternehmen – nach der Gründung von Ballance 2008 war ein Beratervertrag mit den Hamburgern nach seiner Darstellung eine Art Visitenkarte, um weitere Kunden zu bekommen. "Diese Unterstützung war ein bedeutender Meilenstein", sagte der Angeklagte. Neben Warburg nannte er auch die Deutsche Bank, seinen Ex-Arbeitgeber HVB und die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream sowie zahlreiche Weitere als Beteiligte bei "Cum Ex"-Geschäften.
Zu den konkreten Vorwürfen gegen ihn äußerte er sich zunächst nicht, dies war für Donnerstag geplant. Er machte aber deutlich, dass er von Steuerrecht wenig verstanden habe. So habe sich sein 2018 liquidiertes Unternehmen bei der rechtlichen Einschätzung auf Gutachten der Anwaltskanzlei Freshfields verlassen. Zudem nannte er den Namen eines deutschen Anwalts, der im Fokus der deutschen Justiz ist, bisher aber noch nicht vor Gericht stand. Dieser Anwalt habe 2006 – also noch zu HVB-Zeiten des Angeklagten – gesagt, "dass weder in ökonomischer noch in juristischer Hinsicht diese Transaktionen ein besonders riskantes Geschäft seien."
Damit wird die Verteidigungslinie klar: Der Angeklagte räumt seine Beteiligung an "Cum Ex"-Geschäften ein und gibt umfassend Einblick. Zugleich stellt er sich aber als eher technischer Konstrukteur dar, der keinen direkten Kundenkontakt hatte und in die rechtliche Bewertung nicht eingebunden war.
Prozess mit Symbolcharakter
Der Prozess gilt als wegweisend. Denn in der Öffentlichkeit gibt es zwar die einhellige Meinung, dass es bei der Mehrfacherstattung von Steuern nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann. Allerdings hat bisher noch kein Gericht entschieden, ob "Cum Ex" eine Straftat war oder nur dreiste Abzocke, die ein Schlupfloch im Gesetz nutzte. Dieses Schlupfloch wurde erst 2012 geschlossen – nach bisherigen Erkenntnissen gebe es das "Cum Ex"-Modell bereits seit den 1990er Jahren
Für den Justizminister Nordrhein-Westfalens, Peter Biesenbach (CDU), ist klar, dass es sich bei den"Cum Ex"-Geschäften "um organisierte Wirtschaftskriminalität ungeahnten Ausmaßes" handelt. Demnach gehe das Bonner Verfahren bis zum Bundesgerichtshof.
Schätzungen zufolge könnte "Cum Ex" dem deutschen Staat rund 30 Milliarden Euro gekostet haben.
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(dpa/ rt deutsch)