"Werte"? Bitte nicht so laut: Merkels Mission in China

Bundeskanzlerin Merkel wird heute in China erwartet – mitsamt einer großen Wirtschaftsdelegation. Derweil fordern die Demonstranten in Hongkong und US-Botschafter Grenell von Merkel Solidarität im Namen der "westlichen Werte".

von Kani Tuyala

Heute reist Bundeskanzlerin Angela Merkel nach China. Die Reise ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Paradebeispiel für die blutleeren Phrasen über die "Werte", von denen die transatlantische Gemeinschaft und damit auch die Bundesregierung vermeintlich außenpolitisch geleitet werden.

Am Freitag wird Merkel mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang und mit Staatspräsident Xi Jinping zusammentreffen. Überschattet wird die Reise von den Protesten in Hongkong und dem von Washington vom Zaun gebrochenen Handelskrieg der USA mit China. An Merkels Seite reist das Who is who der deutschen Wirtschaft mit nach China – Spitzenvertreter von VW über BMW und BASF bis Daimler.

Derweil singen die Demonstranten in Hongkong die Hymne der ehemaligen und keinesfalls zimperlichen Kolonialherren aus Großbritannien, um ihrem Streben nach "Freiheit" den nötigen Nachdruck zu verleihen. Zuletzt wurde auch die Hymne aus dem "Land der Freien" auf den Hongkonger Straßen vernommen.

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Vor der Abreise Merkels appellierte der Anführer der Proteste, Joshua Wong, an die Kanzlerin und die deutsche Regierung, sich mit den Demonstranten zu solidarisieren und offenbarte dabei ein eigenwilliges Weltbild.

Wir wünschen uns, dass Sie den Mut und die Entschlossenheit gegen autoritäre Unrechtsregime zeigen, der Deutschland und Europa vor dem Ende des Kalten Krieges inspiriert hat und den Europa heute zeigt", hieß es in einem offenen Brief Wongs in der Bild-Zeitung.

Was für Berlin, Brüssel und Washington ein "Unrechtsregime" ist, hängt von vielem ab, allerdings ganz bestimmt nicht von der Situation der Bevölkerung im jeweiligen Land.

Wong mahnte Deutschland zudem, es solle auf der Hut sein, mit China Geschäfte zu machen, da China das internationale Völkerrecht nicht einhalte und wiederholt seine Versprechen gebrochen habe.

Deshalb appelieren wir an Sie, Frau Bundeskanzlerin Merkel: Bitte helfen Sie uns!

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Doch mit dem Völkerrecht stehen die Bundesregierung und deren engste Partner bekanntlich selbst immer wieder auf Kriegsfuß. Was also tun als "Führerin der freien Welt"? Wo die politischen Vertreter der westlichen Staatengemeinschaft sonst keine – wie fadenscheinig auch immer geartete – Möglichkeit auslassen, Staaten im Namen der Freiheit und Menschenrechte mit Strafandrohungen, Sanktionen oder gleich mit Krieg zu überziehen, herrscht im Fall Chinas auffällig lautes Schweigen.

Nun mag man über die Hintergründe der Proteste in Hongkong denken, was man will, das doppelte Maß ist augenscheinlich und offenbart damit, worum es immer geht, das Geschäftliche. Der Unterschied: In diesem Fall gibt China den Takt vor. Also wird aus Wandel durch Sanktionen und Regime Change ganz schnell wieder "Wandel durch Handel".

Es steht ja auch viel auf dem Spiel. Ganze drei Tage lang gedenkt die Kanzlerin in China zu verweilen, um den Sand wieder aus dem Getriebe der Beziehungen zwischen Deutschland, der EU und China zu entfernen. So wird etwa die neue Rechtslage beim Technologietransfer (Stichwort: Kuka) in Peking als protektionistisch betrachtet. Es wird darauf verwiesen, dass die deutschen Investitionen in China zuletzt um das Zwei- bis Dreifache gestiegen seien, während die chinesischen Investitionen in Deutschland zurückgegangen seien – in der ersten Jahreshälfte 2019 um 95 Prozent.

Es kann davon ausgegangen werden, dass Chinas Unzufriedenheit über diesen Sachverhalt auch Thema der bilateralen Gespräche sein wird. Und Angela Merkel wird sich hüten, allzu sehr die Werte-Kanzlerin zu geben.

Seit drei Jahren in Folge ist das Riesenreich China der größte deutsche Handelspartner mit einem Volumen von knapp 200 Milliarden Euro – vor den Niederlanden, den USA oder Frankreich. Zum zwölften Mal macht Merkel während ihrer Amtszeit als Kanzlerin nun schon Peking ihre Aufwartung.

Aller Voraussicht nach dürfte es bei der aktuellen Reise auch um das bereits 2012 ausgehandelte Investitionsabkommen zwischen der EU und China gehen. Seit 2014 wird nun schon am Vertragswerk gefeilt, und die Hoffnung lautet, das Abkommen bis Ende des Jahres unter Dach und Fach zu bringen. Auch die zuletzt etwas schwächelnde deutsche Exportwirtschaft ist auf neue Impulse aus China angewiesen.

Dass Merkel auf leisen Sohlen nach Peking reist, um auch ja kein Porzellan zu zerschlagen, rief zuletzt den Berliner US-Botschafter Richard Grenell auf den Plan. Dieser sah sich dazu veranlasst, Merkel an die gemeinsame Wertebasis zu erinnern und Solidarität im US-Handelskrieg mit China einzufordern.

Im Moment ist business as usual mit China ein Problem. Der Westen muss den Menschenrechten Vorrang einräumen. Hongkonger Demonstranten interessieren sich nicht für frühere Erfolge oder Ihr parteiisches Geschrei", mahnte Grenell nun auf Twitter.

Unterdessen warb der chinesische Botschafter in Berlin Wu Ken für eine deutsch-chinesische Zusammenarbeit gegen "Unilateralismus und Protektionismus", der den Freihandel und die Weltwirtschaftsordnung bedrohe. Insbesondere verwies der Diplomat auf die "Einschüchterungspolitik" der USA.

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