Herr Lawrow, ist in naher Zukunft eine Besserung der Beziehungen zwischen Russland und den USA zu erwarten?
In naher Zukunft wohl kaum. Die nicht durch uns angehäuften Probleme in den Beziehungen auszuräumen, wird nicht einfach sein. Denn der Aufbau von bilateralen Beziehungen ist ein beidseitiger Prozess, ein "Sich-aufeinander-Zubewegen".
Unser Land ist zu einer solchen Zusammenarbeit bereit, wir haben darüber mehrmals gesprochen. Wir gehen davon aus, dass Russland und die USA eine besondere Verantwortung tragen. Wir sind die größten Atommächte, UN-Gründungsstaaten und ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrates. Unsere Kooperation ist das Schlüsselelement in der Gewährleistung der Stabilität und der Vorhersagbarkeit der internationalen Angelegenheiten. Aber nicht alles hängt von uns ab: Wie man so sagt, braucht es zwei zum Tango.
Auf der amerikanischen Seite ist die Situation ziemlich verworren. Einerseits spricht Präsident Donald Trump über sein Interesse, "mit Russland gut auszukommen". Allerdings teilen bei weitem nicht alle in Washington sein Vorhaben. Davon zeugen solche unfreundlichen Schritte, wie verschiedene haltlose Anschuldigungen gegen uns, die Einführung von Finanz- und Wirtschaftssanktionen, die Beschlagnahmung von diplomatischem Eigentum, Entführungen unserer Bürger in Drittländer, allgemein den außenpolitischen Interessen Russlands entgegenzuwirken, Versuche, sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen. Es wird systemisch daran gearbeitet, praktisch alle Länder der Welt davon zu überzeugen, die Kontakte mit Russland zu reduzieren.
Viele amerikanische Politiker versuchen, einander beim Anheizen der Russophobie zu überbieten, und nutzen diesen Faktor für den innenpolitischen Kampf. Wir verstehen, dass sich dieser mit der sich nahenden Präsidentschaftswahl 2020 nur zuspitzen wird. Nichtsdestotrotz werden wir nicht aufgeben. Wir werden trotz Schwierigkeiten weiter nach Berührungspunkten mit den Amerikanern suchen.
Es ist wichtig, dass die Präsidenten Russlands und der USA die Einsicht über die Notwendigkeit teilen, die Beziehungen aus der Sackgasse herauszuführen. Bei dem Treffen im Juni in Osaka sprachen sich die Staatschefs für den Ausbau der wirtschaftlichen Kooperation, eine gemeinsame Beilegung der regionalen Krisen und für die Wiederaufnahme des Dialogs zur strategischen Stabilität aus und schätzten den Dialog über die Terrorbekämpfung positiv ein. Wladimir Putin lud Donald Trump zu den Feierlichkeiten anlässlich des 75. Jahrestages des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg nach Moskau ein.
Im Großen und Ganzen muss man zugeben, dass Washington inkonsequent, oft sogar unberechenbar vorgeht. Deswegen sind Prognosen über die Beziehungen mit den USA eine undankbare Sache. Aber ich wiederhole: Wir sind unsererseits bereit, geduldig daran zu arbeiten, diese wieder instand zu setzen. Natürlich vorausgesetzt, dass die russischen Interessen auf der Basis der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Respekts beachtet werden.
Unsere Diplomaten dürfen derzeit einige Gebäude in San Francisco, die russisches Eigentum sind, nur eingeschränkt nutzen. Was genau tun wir, um unser Eigentum zu schützen?
Washington hat sechs Objekte, die Russland gehören und im US-Außenministerium als diplomatisches Eigentum angemeldet sind, de facto enteignet. Neben zwei Gebäuden des Generalkonsulats in San Francisco sind das die Residenz des Generalkonsuls in Seattle, Landhäuser der Botschaft und der Ständigen Vertretung in New York und die Handelsvertretung in Washington. Uns wurde die konsularische Präsenz auf der Westküste völlig entzogen, dort, wo Zehntausende russische Bürger und Landsleute wohnen. Das US-Außenministerium verweigert uns das Recht, unsere Objekte zu besuchen. Das alles ist die gröbste Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der USA.
Diese, offen gesagt, flegelhaften Aktionen blieben unsererseits nicht unbeantwortet. Als Gegenmaßnahme schlossen wir das Generalkonsulat in Sankt Petersburg (das übrigens kein Eigentum der USA war). Wir erwägen verschiedene Möglichkeiten, das illegal beschlagnahmte russische Eigentum zurückzubekommen. Regelmäßig erörtern wir auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene die Fragen bezüglich der Pflichtverletzungen seitens Washington. Diese Arbeit wird fortgesetzt.
Die USA verhaften Russen weltweit unter falschem Vorwand und stecken sie ins Gefängnis. Hat Russland Angst, auf internationale Banditen angemessen zu reagieren?
Wir haben keine Angst. Aber wir werden es den Banditen auch nicht gleichtun, denn wir halten uns an das Völkerrecht.
"Die Jagd" nach Russen in Drittländern ist nichts weiter als eines der politischen Druckmittel der USA gegen Russland. Washington weigert sich entschieden, mit unseren Rechtsschutzorganen im Rahmen des Vertrages über die gegenseitige Rechtshilfe von 1999 zusammenzuarbeiten. Stattdessen üben sie Druck auf ihre Verbündeten und andere Staaten aus, um die Verhaftung russischer Bürger auf ihrem Territorium und eine darauf folgende Ausweisung in die USA durchzusetzen. All das geschieht heimlich, im Stillen, ohne überzeugende Beweise. Es kommt zu offensichtlichen Entführungen, so wie es mit Konstantin Jaroschenko 2010 in Liberia und Roman Selesnjow 2014 auf den Malediven der Fall war.
Selbstverständlich lassen wir unsere Leute nicht im Stich. Wir verfolgen jede Verhaftung mit Anfragen in Washington. Die russischen Behörden erarbeiten Maßnahmen für einen effizienteren Rechtsschutz unserer Bürger im Ausland. Das Außenministerium und russische Diplomaten in den USA ergreifen alle Maßnahmen, um die Rechte und Interessen unserer Landsleute, die in Not geraten sind, zu sichern. Wir versuchen, konsularische und rechtliche Hilfe für die festgenommenen Russen rund um die Uhr zu gewährleisten und die Bedingungen ihrer Inhaftierung zu erleichtern. Beim Kontakt mit Amerikanern fordern wir beharrlich die Freilassung unserer Bürger und streben ihre schnellstmögliche Rückkehr in die Heimat an. Das betrifft übrigens auch die bekannten Fälle der Russen Viktor But und Maria Butina.
Wir sprechen dieses Problem auf multilateralen Plattformen an, darunter im UN-Menschenrechtsrat. Wir arbeiten mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte, dem Hohen Kommissar der OSZE für nationale Minderheiten und dem Menschenrechtskommissar des Europarates zusammen.
Allerdings wissen wir, wie aggressiv das amerikanische System vorgeht und dass es keine gesetzeswidrigen Schritte scheut – deswegen können wir leider nicht garantieren, dass Vorfälle mit russischen Bürgern, die ins Ausland ausreisen, ausbleiben. In diesem Zusammenhang möchte ich die Gelegenheit nutzen und unseren Bürgern empfehlen, alle Risiken bei der Planung der Auslandsreisen sorgfältig abzuwägen, besonders in die Länder, die ein Auslieferungsabkommen mit den USA haben.
Warum soll Russland für die Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zahlen, wenn dort ständig gegen Russland provoziert wird?
Ich möchte klarstellen, dass es keine zusätzlichen Beiträge in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gibt. Unser Land leistet Zahlungen in den Haushalt des Europarates aufgrund der Satzung dieser Organisation sowie der Normen der russischen Gesetzgebung. Die Ausgaben für die Tätigkeit der PACE machen nur einen geringen Teil des Haushalts des Europarates aus.
Genauer gesagt hat die Mitgliedschaft im Europarat konkrete Vorteile für unsere Bürger und für das Land im Allgemeinen. Das sind sowohl die Vervollkommnung der nationalen Rechtsordnung als auch die Lösung einer ganzen Reihe von sozialen Aufgaben, humanitären Angelegenheiten sowie die Korruptionsbekämpfung. Ausnahmslos alle Ministerien und Behörden – es sind rund 20 –, die zur Zwischenbehördlichen Kommission zur Beteiligung Russlands am Europarat gehören, bekräftigen, wie wichtig eine aktive Arbeit in dieser Organisation ist und wie wichtig die Mechanismen von über 60 Konventionen sind, denen sich unser Land angeschlossen hat.
Was die Provokationen anbetrifft, so werden sie von einer aggressiven russlandfeindlichen Minderheit unter aktiver Anstiftung der USA, die einen Beobachterstatus im Europarat haben, umgesetzt. Das trübt natürlich die Atmosphäre und trägt nicht zur konstruktiven Arbeit in der PACE bei. Jedoch hat die vernünftige Mehrheit der PACE-Mitglieder, die die Rückkehr Russlands in diese parlamentarische Struktur unterstützt, die sinnlosen Aktionen bereits satt. Davon zeugt die Entscheidung, die in der Juni-Sitzung der PACE getroffen wurde, wonach die Vollmachten der russischen Delegation ohne jegliche Einschränkungen wiederherzustellen sind. Auf diese Weise wurde die Voraussetzung für die Wiederaufnahme unserer Zahlungen erfüllt.
Die Gewalttaten der ukrainischen Armee in Bezug auf die Einwohner der Volksrepubliken Donezk und Lugansk können einen unmöglich gleichgültig lassen. Friedliche Einwohner, Kinder und Verteidiger dieser Republiken werden getötet. Medien berichten, die dortigen Einwohner hätten sich selbst an den Präsidenten der Russischen Föderation mit der Bitte gewandt, Truppen einzuführen. Sollte man die Ukraine zum Frieden zwingen, wie dies in Georgien der Fall war?
Die Lage im Donbass bleibt wirklich höchst beunruhigend. Bis jetzt wurde fast nichts für die Waffenruhe getan, und der Beschuss dauert an. Mit Trauer nehmen wir das Leid der Bevölkerung der nicht anerkannten Republiken wahr.
Die Signale, die der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij während seines Wahlkampfes und gleich nach der Wahl gesendet hatte, waren recht widersprüchlich. Wir rechnen damit, dass die jüngsten Beteuerungen Kiews über die Bereitschaft, die Minsker Vereinbarungen völlig umzusetzen, zur realen Politik nach der vorgezogenen Wahl zur Werchowna Rada führen werden. Das Wichtigste ist es, dem Krieg ein Ende zu bereiten, den Bürgern aus dem Südosten der Ukraine Gehör zu schenken, die wollen, dass der Frieden einkehrt, dass sie ruhig in ihrer russischen Muttersprache sprechen dürfen, dass ihre sozialen und wirtschaftlichen Rechte eingehalten werden. All das wurde im Minsker Maßnahmenkomplex festgehalten.
Ich möchte hoffen, dass die neue ukrainische Staatsführung die verlustreiche Richtlinie des Poroschenko-Regimes nicht fortsetzen wird und das gegebene Vertrauen in reale Schritte zur Friedensstiftung für die Bürger in der Ukraine umwandeln kann. Die langersehnte Auflösung der Streitkräfte und Munition der Kriegsparteien in der Staniza Luganskaja, die Ende Juni begann und zweieinhalb Jahre lang von der vorigen Staatsmacht verhindert wurde, bekräftigt überzeugend, dass sich Fortschritte bei Vorhandensein eines politischen Willens erzielen lassen.
Hat Russland vor, die Volksrepubliken Donezk und Lugansk als unabhängig anzuerkennen?
Unsere Meinung zu dieser Frage ist gut bekannt. Im Einklang mit dem Minsker Maßnahmenkomplex, einer dessen Garanten Russland ist, soll dem Donbass ein Sonderstatus verliehen werden, der auf einer ständigen Grundlage in der Verfassung der Ukraine verankert werden soll. Wir finden, dass es notwendig ist, sich heutzutage auf die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu konzentrieren, die durch die Resolution des UN-Sicherheitsrates festgehalten und bindend sind.
Die ukrainische Führung soll den eigenen Bürgern "das Gesicht kehren": die Politik der wirtschaftlichen Erdrückung des Donbass aufgeben, das Recht der Einwohner von Donezk und Lugansk, in ihrer Muttersprache zu sprechen, anerkennen, ihre heiligen Feiertage zu begehen und ihre nationalen Helden zu ehren. Ohne dies ist es zumindest unseriös, über die mögliche Wiederherstellung des Vertrauens der Einwohner der Volksrepubliken Donezk und Lugansk zum offiziellen Kiew zu sprechen. Natürlich bleibt die absolut wichtigste Bedingung die Anbahnung eines inhaltsreichen direkten Dialogs zwischen Kiew und den nicht anerkannten Volksrepubliken, so wie es die Minsker Vereinbarungen erfordern. Hierfür muss eine konstruktive Arbeit der Kontaktgruppe in Gang gebracht werden, in der Kiew, Donezk und Lugansk unter Mitwirkung Russlands und der OSZE vertreten sind. In diesem Fall wird auch das Normandie-Format zur Unterstützung der Kontaktgruppe effizient sein. Denkbar sind auch andere Formen der Unterstützung von außen für die Regelung im Donbass, wenn das für alle Parteien akzeptabel ist und die Minsker Vereinbarungen nicht aushöhlt. Diese Position wurde von Präsident Wladimir Putin deutlich bekräftigt, darunter im Telefonat mit Präsident Wladimir Selenskij am 10. Juli.