Schaffe, schaffe, und doch wächst am Ende das Vermögen durch Kapital, nicht durch Fleiß. Dabei lautete das Motto vieler "Wirtschaftsexperten" lange "trickle down". Doch die Logik, der zufolge eine Förderung der Wohlhabenden und Konzerne zum langfristigen Nutzen der Gesellschaft beitrage, indem Vermögen in die unteren Schichten "durchsickere", scheint zunehmend haltloser. Vielmehr zeigen aktuelle Daten, wie Geld der unteren Einkommensklassen nach oben transferiert wurde.
Ein am Mittwoch von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) veröffentlichter Bericht zeigt auf, wie in den vergangenen 20 Jahren eine systematische Umverteilung von Vermögen stattgefunden hat, mit erheblichen Verlusten für die meisten Arbeitnehmer zugunsten von Kapital und Spitzenverdienern.
Die Studie zu Arbeitseinkommen und Ungleichheit der ILO basiert auf Daten aus 189 Ländern und bietet zwei neue Indikatoren für die wichtigsten Trends in der Arbeitswelt auf nationaler, regionaler und globaler Ebene. Einer liefert die ersten international vergleichbaren Zahlen über den Anteil am BIP, der über Löhne und Gehälter – und nicht über Kapital – an die Arbeitnehmer geht. Der zweite untersucht, wie das Arbeitseinkommen verteilt ist.
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Laut der Internationalen Arbeitsorganisation erhalten zehn Prozent der Spitzenverdiener fast die Hälfte des Lohns, während die untere Hälfte nur 6,4 Prozent abbekam. Die am niedrigsten bezahlten 20 Prozent der Arbeitnehmer weltweit, wozu etwa 650 Millionen Menschen zählen, erhielten der Statistik zufolge sogar weniger als ein Prozent des Gesamtlohns.
Mehr als drei Jahrhunderte arbeiten
Roger Gomis, ein Ökonom in der Statistikabteilung der ILO, bestätigte, dass ein Großteil der Arbeitnehmer weltweit "auffallend niedrige Bezahlung" erhalte, sodass Arbeiten für viele nicht ausreicht, um genug Geld zum Leben zu haben. Bei den reicheren Schichten mitzuhalten, ist bei bestehenden Verhältnissen für die ärmeren außerdem allein schon zeitlich nicht möglich:
Der Durchschnittslohn der unteren Hälfte der Arbeiter in der Welt beträgt nur 198 Dollar pro Monat, und die ärmsten zehn Prozent müssten mehr als drei Jahrhunderte arbeiten, um das gleiche zu verdienen wie die reichsten zehn Prozent in einem Jahr.
Zwar sind laut dem Bericht die Länder mit der größten Lohnungleichheit die DR Kongo, die Elfenbeinküste, Liberia, Niger und Uganda, doch von der Tendenz wachsender Ungleichheit sind Nationen mit starken Volkswirtschaften keinesfalls ausgenommen.
Die Daten zeigen, dass relativ gesehen ein Anstieg der Spitzenarbeitseinkommen mit Verlusten für alle anderen verbunden ist, wobei sowohl die Mittelschicht als auch die Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen ihren Anteil am Einkommen sinken sehen.
Und dies sei insbesondere in reicheren Ländern der Fall. So sei die Entwicklung der Einkommensverteilung zwischen 2004 und 2017 in mehreren Ländern mit hohem Einkommen nach einem "Hockeyschläger"-Muster verlaufen, heißt es in dem Bericht, es gab also erhebliche Ertragseinbußen in der mittleren und unteren Mittelklasse und hohe Gewinne an der Spitze.
Dieses Muster findet sich unter anderem in Deutschland, den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich.
Zu den Ländern, in denen der Anteil der Spitzenverdiener am nationalen Gehalt um mindestens einen Prozentpunkt gestiegen ist, gehören außerdem Indonesien, Italien und Pakistan.
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Laut Steven Kapsos, Leiter der Datenproduktion und -analyse bei der ILO, gibt es einen klaren Zusammenhand zwischen dem Reichtum weniger und er Armut der Vielen, denn die Daten zeigen,
dass ein Anstieg der Spitzenarbeitseinkommen relativ gesehen mit Verlusten für alle anderen verbunden ist, wobei sowohl Arbeitnehmer der Mittelschicht als auch der unteren Einkommensschichten vom Einkommensrückgang betroffen sind.
Würden andersherum die Einkommen derjenigen mit mittlerem oder niedrigem Einkommen steigen, wären die Gewinne breiter gestreut, und alle außer den Spitzenverdienern würden begünstigt.