Papst Franziskus hat erstmals für die gesamte katholische Kirche eine Meldepflicht für Fälle sexuellen Missbrauchs erlassen – und damit einen für viele überfälligen Schritt vollzogen. Für Kleriker und auch für Ordensleute werde ab Juni die Verpflichtung eingeführt, innerhalb der Kirche Missbrauch und Vertuschung umgehend anzuzeigen, teilte der Vatikan am Donnerstag mit. Opfer kritisierten allerdings prompt, dass eine Meldepflicht an staatliche Stellen nicht vorgesehen ist.
In dem apostolischen Schreiben namens "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt) heißt es, die katholischen Diözesen in aller Welt müssten binnen eines Jahres "eine oder mehrere dauerhafte und der Öffentlichkeit leicht zugängliche" Anlaufstellen für Anzeigen einrichten. In Deutschland existieren diese bereits, wie die Deutsche Bischofskonferenz erklärte.
Im Vatikan war die Rede von einem wichtigen Schritt. Während die Meldung von Missbrauchsfällen "bis dato in einem gewissen Sinne dem persönlichen Gewissen überlassen war, wird sie nunmehr zu einer universell gültigen Rechtsvorschrift", erklärte der redaktionelle Leiter der Kommunikationsabteilung des Vatikans, Andrea Tornielli.
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Weitere zentrale Punkte in dem neuen Gesetz: Derjenige, der Missbrauch zur Anzeige bringt, soll geschützt werden und keinerlei "Diskriminierung" erleben. "Qualifizierte" Laien – also nicht geweihte Personen – sollen zudem bei Ermittlungen helfen können. Zudem weitete der Vatikan den Opferbegriff offiziell auf Ordensschwestern und Priesteramtskandidaten aus. Auch Machtmissbrauch gelte als Form des Missbrauchs, hieß es.
Keine Meldepflicht an zivile Stellen
Zudem will Franziskus aufs Tempo drücken, die Verfahren in Rom und in den Diözesen vor Ort sollen sich nicht mehr ewig hinziehen. Deshalb hat er feste Fristen für Reaktionen auf Missbrauchsanzeigen angeordnet.
Die kirchlichen Stellen werden zwar angehalten, staatliche Ermittler zu unterstützen. Allerdings besteht keine Meldepflicht an zivile Stellen – ein heikler Punkt. Denn dies fordern Missbrauchsopfer seit Langem.
Ein gut gemeintes ist noch nicht ein gut gemachtes Gesetz", sagte der Sprecher des Opferverbands "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, der Deutschen Presse-Agentur. "Die Kirche darf nicht weiter versuchen, alles allein ermitteln zu wollen, sondern sobald ein Verdacht glaubhaft besteht, müssen die Staatsanwaltschaften eingeschaltet werden."
Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) betonte, dass "die schrecklichen Missbrauchstaten keine interne Angelegenheit der katholischen Kirche" seien. Jeder Fall müsse von einem Strafgericht beurteilt werden, zudem müssten Staatsanwaltschaften die Chance bekommen, zu ermitteln. Barley mahnte, bringe die Kirche die Fälle nicht vor Gericht, bleibe die "Mauer des Schweigens" erhalten, die den Missbrauch zuletzt jahrzehntelang verschleiert habe.
Der Vatikan argumentiert dagegen, dass Ermittler vor allem in weniger demokratischen Ländern nicht geeignet sein könnten, sich der Missbrauchsthematik anzunehmen.
Angesichts des Missbrauchsskandals steckt die Kirche deshalb seit Jahren in vielen Ländern der Welt – auch in Deutschland – in einer ihrer schwersten Krisen. Während des Pontifikats von Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. war ans Licht gekommen, dass sich Geistliche massenhaft an Kindern vergangen hatten und von Oberen gedeckt wurden. Franziskus stand nun stark unter Druck, seinen Worten von einer "Null Toleranz"-Politik endlich auch Taten folgen zu lassen.
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Nach dem Anti-Missbrauchs-Gipfel, zu dem der Papst Ende Februar die Vorsitzenden aller Bischofskonferenz in den Vatikan geladen hatte, wurden diese Forderungen noch lauter. Zuletzt stellte Franziskus einzig für den kleinen Vatikanstaat – in dem kaum Kinder leben – entsprechende Regeln auf. Mit dem jetzt veröffentlichten sogenannten Motu proprio will Franziskus offenbar überzeugender vorgehen.
Doch fraglich bleibt, wie genau die Kirchen vor Ort mit den Regeln umgehen.
Für Deutschland werden wir zeitnah prüfen, welche möglichen Auswirkungen das Dokument vor allem auf unsere nationalen Leitlinien hat", sagte der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Stephan Ackermann.
Dass bei Weitem nicht jeder auf Franziskus' Linie ist, zeigte sich erst kürzlich wieder sehr deutlich – ausgerechnet am Beispiel seines Vorgängers Benedikt. Der hatte in einem Schreiben die sexuelle Revolution der 1968er Jahre und die Säkularisierung der westlichen Gesellschaft für den sexuellen Missbrauch von Kindern in der Kirche verantwortlich gemacht. Von der eigenen Verantwortung der Kirche, sowohl für die Leiden der Opfer als auch für die Verschleierung der unzähligen Fälle, wurde damit vorrangig abgelenkt. Eine Denkweise, die bisher vielerorts eine rigorose Aufarbeitung der Missbrauchsfälle verhindert hat.
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(dpa/ rt deutsch)