Trotz eines jährlichen Verteidigungshaushaltes von über 700 Milliarden US-Dollar werde den USA in Kriegssimulationen gegen Russland oder China stets "der Arsch aufgerissen", wie RAND-Analyst David Ochmanek bei der Veranstaltung "A New American Way of War" des Center for a New American Security (CNAS) sagte. Bezeichnend dabei ist, dass diese Simulationen nicht etwa die Verteidigung der bedrohten USA durchspielen, sondern dass es sich dabei um konventionelle Kriege im Baltikum oder vor Taiwan handelt.
"Wir verlieren viele Leute. Wir verlieren viel Ausrüstung. Wir erreichen für gewöhnlich unsere Ziele zur Verhinderung der Aggression durch den Gegner nicht", meinte der Verteidigungsexperte weiter. Ochmanek gilt als ausgewiesener Kenner der Zustände im Pentagon, wo er schon während der Regierungszeit von Bill Clinton und Barack Obama im Büro des Verteidigungsministers gearbeitet hatte und für die Bereiche Strategie und Streitkräfteentwicklung zuständig war.
Bei den Kriegen mit US-Beteiligung in den 1990er Jahren und Anfang der 2000er genossen die Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Alliierten absolute Überlegenheit in sämtlichen Bereichen, was natürlich auch auf die Schwäche der damals angegriffenen Länder zurückzuführen war. Seitdem hat sich allerdings viel verändert. Und wenn man den Simulationen und Analysen des RAND-Instituts, einem dem US-Verteidigungsministerium nahestehenden Think Tanks, glauben will, dann haben die USA diese damalige Überlegenheit verloren.
In einem potenziellen Krieg gegen Russland oder China kämen sämtliche Teilstreitkräfte zum Zuge. Doch die Simulationen zeigen, dass die teuren Flugzeugträger, Zerstörer und Kampfjets, einst der ganze Stolz der US-Streitkräfte, äußerst verwundbar geworden sind. Statt einen potenziellen Gegner mit dieser enormen eigenen Feuerkraft einzuschüchtern, sind sie leichte Beute für die modernen Überschallraketen aus Russland geworden. Und sind die Flugzeugträger erst einmal zerstört oder so beschädigt, dass die Kampfjets nicht mehr landen können, dann bringen selbst die besten Tarnkappenfunktionen der F-35 oder F-22 nichts mehr. Robert Work, ein weiterer Teilnehmer an der CNAS-Veranstaltung und stellvertretender Verteidigungsminister von 2014 bis 2017, meinte dazu:
In jedem Fall, der mir bekannt ist, beherrscht die F-35 den Himmel, wenn sie in der Luft ist. Aber am Boden wird sie in großer Zahl vernichtet.
Dasselbe gilt natürlich auch für die Landstreitkräfte, die auf entsprechende Basen zwecks Versorgung angewiesen sind. Werden die Kampftruppen an vorderster Front von ihren Rückzugsmöglichkeiten abgeschnitten, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie auf verlorenem Posten auf sich allein gestellt sind. David Ochmanek meinte daher, dass die "Dinge, die auf komplexe Basisinfrastruktur wie Start- und Landebahnen und Benzintanks angewiesen sind, eine schwere Zeit haben werden. Dinge, die auf der Oberfläche des Meeres fahren, werden ebenso harte Zeiten haben."
Doch das Schlimmste laut Ochmanek ist, dass die USA nicht nur "Schläge gegen den Körper einstecken müssen, sondern auch stark am Kopf getroffen werden". Die Kommunikationssatelliten, drahtlose Netzwerke und andere Befehls- und Kontrollsysteme erleiden solche schweren Hackerangriffe und elektronischen Störungen, dass das "Gehirn und das Nervensystem, das all diese Stücke verbindet, unterdrückt, wenn nicht zerschlagen" wird.
Die US-Streitkräfte führen deshalb auch immer wieder Cyber- und Elektronische Kriegsführung bei Gefechtsübungen durch, doch die simulierten feindlichen Attacken führten immer wieder dazu, dass die US-Netzwerke effektiv lahmgelegt wurden und die Übungen abgebrochen werden mussten. Robert Work sagte dazu:
Wann immer wir eine Übung haben und die roten Kräfte (in Kriegssimulationen werden die eigenen Streitkräfte blau dargestellt, die feindlichen rot/Anm.) wirklich unser Kommandozentrum zerstören, stoppen wir die Übung und sagen, 'lasst uns von vorne beginnen'.
Die Chinesen nennen das "system destruction warfare", also systemzerstörende Kriegsführung, klärte Work das Publikum auf. Sie planen "die amerikanischen Schlachtnetzwerke schonungslos auf allen Gebieten anzugreifen, und sie üben es die ganze Zeit."
Obwohl das US-Verteidigungsbudget bereits über 700 Milliarden US-Dollar pro Jahr beträgt, also eine immense Summe, verglichen mit 168 Milliarden US-Dollar in China oder 63 Milliarden US-Dollar in Russland, fordern die Verteidigungsexperten deshalb nun noch mehr Geld. Zusätzliche 120 Milliarden US-Dollar für die nächsten fünf Jahre sollen vor allem in die Anschaffung neuer Offensiv- und Defensivraketen investiert werden. Der Ausstieg aus dem INF-Vertrag kommt deshalb wohl nicht ganz zufällig.
Die noch im Jahre 2000 für das Jahr 2020 angestrebte Doktrin des "Full Spectrum Dominance" der US-Streitkräfte, also einer völligen Dominanz auf sämtlichen Gebieten über jeden Gegner, erscheint angesichts dieses offensichtlich strategischen Ungleichgewichts in der konventionellen Kriegsführung als eine verblassende Traumvision.
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