"Missbrauch der Unternehmensführung", "berüchtigte Geschäfte", "fragwürdige Deals" – das alles warf der amerikanische Finanzinvestor William "Bill" Browder Michail Chodorkowski vor. Über den russischen Präsidenten Wladimir Putin hieß es hingegen: "Putin tut, was jeder Führer tun würde, um die Interessen seiner Nation zu verteidigen." Und: Putin habe eine Erfolgsgeschichte vorzuweisen, "indem er das Land aus dem Abgrund zurückgeholt" habe.
Im Januar 2004, am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos (Schweiz), erschien ein Artikel von Browder in der Global Agenda, dem Magazin der Veranstaltung. Veröffentlicht wurde der Beitrag auch in der englischsprachigen Online-Zeitung The Moscow Times.
Er begann mit den Worten:
Russland hat heute eine Reihe großer Probleme, aber der Kampf, den Präsident Wladimir Putin führt, um die Oligarchen davon abzuhalten, das Land zu übernehmen, muss einer der wichtigsten sein.
Browder ließ auch keinen Zweifel daran, wen er damals für einen der schlimmsten Oligarchen hielt – Chodorkowski. So schrieb der Amerikaner:
Sein vielleicht berüchtigtstes Geschäft, und das, das ihn fantastisch reich machte, war seine Übernahme der Ölgesellschaft Yukos vom Staat. In einer Reihe von Transaktionen mit der Regierung übernahm Chodorkowski erfolgreich die Kontrolle über 78 Prozent der Anteile an Yukos für eine sofortige Barzahlung von 310 Millionen Dollar sowie das Versprechen, 200 Millionen Dollar in die Zukunft zu investieren. Acht Monate, nachdem er sich die Kontrolle gesichert hatte, war der gleiche Anteil 12,6 Milliarden Dollar wert. Derzeit ist er 23,3 Milliarden Dollar wert. Wenn das sein einziger fragwürdiger Deal wäre, könnte man vielleicht argumentieren, dass wir das ignorieren sollten, was er getan hatte, weil er Yukos umgekrempelt hat. Leider gab es zu viele andere fragwürdige Geschäfte, um sein Verhalten zu ignorieren.
Was Browder, der im Dezember 2017 in Abwesenheit von einem Moskauer Gericht wegen vorsätzlichen Bankrotts und Steuerhinterziehung zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, damals besonders empörte:
Chodorkowski sammelte einen riesigen Haufen billiger Vermögenswerte von der Regierung und Minderheitsaktionären und startete dann eine beeindruckende Charme- und Lobbying-Offensive, um sich und seinen Reichtum zu legitimieren. Er war sehr erfolgreich darin, die Leute dazu zu bringen, seine nicht so ferne Vergangenheit zu vergessen.
Ganz anders dagegen Präsident Putin, für den er voll des Lobes ist: "Die Realität seiner Handlungen überraschte alle. Anstatt das Land zurückzudrängen, hat Putin ein Reformprogramm umgesetzt, das weitaus liberaler ist als alles, was im radikalsten Thinktank Washingtons hätte ausgedacht werden können", schwärmte der US-Investor. Über den Kampf des russischen Präsidenten gegen die Oligarchen schrieb er:
Es ist nicht verwunderlich, dass Putin 2003 in den Kampf eingestiegen ist, als Chodorkowski begann, die Duma-Kampagnen verschiedener politischer Parteien aktiv zu finanzieren. Putin konnte sich nicht zurücklehnen und zusehen, wie eine nicht gewählte Person ihren eigenen Reichtum in einer Weise nutzt, die solche potenziell verheerenden Folgen für die Nation hatte.
Und weiter hieß es in seinem Artikel:
Wem glauben wir, dass er im besten Interesse des Landes handelt? Dem Oligarchen, der einen persönlichen Nettowert von acht Milliarden Dollar aus dem Nichts angesammelt hat und fast jedes verfügbare Werkzeug benutzt hat, um seinen Reichtum zu mehren und es zu vermeiden, sein Glück mit den Menschen zu teilen? Oder dem Präsidenten, der eine vierjährige Erfolgsgeschichte vorweisen kann, indem er das Land aus dem Abgrund zurückholt und ein kleines Maß an Stabilität für seine schockierten und müden Bürger schafft?
Mehr zum Thema - Der Spiegel und Chodorkowski spekulieren über Russlands Zukunft "nach Putin"