Die BRICS-Staaten sind ein wirtschaftlicher Zusammenschluss der Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Russland hat unter den BRICS-Mitgliedern das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Für die russische Regierung ist BRICS ein Gegengewicht zu den westlichen Wirtschaftszusammenschlüssen. Seit 1992 unterhält Russland diplomatische Beziehungen zu Südafrika auf allen Ebenen. Für das kommende Jahr plant Russland ein China-Afrika-Forum (FOCAC), um seine Verbindungen zum afrikanischen Kontinent zu vertiefen.
Cyril Prinsloo ist als Wirtschaftswissenschaftler am afrikanischen Think Tank "The South African Institute of International Affairs" (SAIIA) tätig. Zu seinem Forschungsgebiet gehören die wirtschaftlichen Entwicklungen durch Zusammenschlüsse wie BRICS. RT Deutsch sprach mit ihm über die Möglichkeiten des wirtschaftlichen Austausches jenseits der US-Sanktionen.
RT Deutsch: Das jüngste Treffen der BRICS-Staaten ging gerade zu Ende. Was waren die Hauptthemen/Gebiete der Zusammenarbeit, die besprochen wurden?
Cyril Prinsloo: Ich denke, wir können bei BRICS von zwei Dimensionen sprechen – BRICS als multilateraler Zusammenschluss und die bilateralen Möglichkeiten, welche dieser Zusammenschluss bietet. Ein Kernpunkt ist die vierte industrielle Revolution. Einige der BRICS, speziell China und Indien, sind wirklich federführend in der technologischen Entwicklung. In diesem Jahr ging es vermehrt um geistiges Eigentum im Zuge der Digitalisierung. Der andere Kernpunkt war die Wichtigkeit von Multinationalismus, die Bedrohung durch wachsenden Rassismus und das Gewicht multinationaler Institutionen wie der WTO. Die Treffen bieten den Ländern aber auch die Möglichkeit, sich bilateral zu begegnen. Zusammenkünfte dieser Art gab es zahlreiche am Rande des BRICS-Gipfels. Wladimir Putin vertiefte so die bilateralen Verbindungen zwischen Südafrika und Russland.
RT Deutsch: Wir sind, könnte man meinen, auf dem Scheideweg. Die alte Ordnung zerbricht. Letzte Woche forderte der deutsche Bundesaußenminister die Notwendigkeit, sich von den USA unabhängiger zu machen. Ist BRICS ein Weg, um Trumps Sanktionssucht zu entkommen?
Cyril Prinsloo: Eines der Hauptaspekte der BRICS ist es, neue globale Allianzen zu formen. Denn oft bleiben die Stimmen der Entwicklungsländer ungehört. Viele sehen ein Regulierungsproblem in den westlichen Ländern. Deshalb begann man damit, alternative Institutionen zu schaffen, und ich meine damit nicht miteinander konkurrierende Institutionen. Ich sehe diese eher als eine Ergänzung zu den bestehenden Institutionen. Sie sagten, dass der deutsche Bundesaußenminister sich für die Unabhängigkeit vom US-Dollar ausgesprochen hat. Die BRICS-Staaten fordern dies schon seit geraumer Zeit.
China bietet den afrikanischen Ländern eine Alternative zu europäischen Investitionen
RT Deutsch: Deutschland intensiviert seine Beziehungen zu Russland. Jüngst trafen sich Wladimir Putin und Angela Merkel in Berlin und legten in Zahlen offen, wie gut der wirtschaftliche Austausch der Länder funktioniert. Die US-Sanktionen haben also den gegenteiligen Effekt. Auch spielt China eine wichtigere Rolle. Wir hören immer von chinesischen Investitionen in Afrika, und diese werden vermehrt als negativ dargestellt. Was ist Ihre Ansicht hierzu?
Cyril Prinsloo: Ich würde nicht pauschal sagen, dass dies richtig oder falsch ist. Man muss verstehen, dass was die BRICS-Länder Afrika anbieten, eine Alternative ist. Über lange Zeit hinweg waren westliche Länder gute Partner in afrikanischen Ländern. Aber – für lange Zeit war dies auch die einzige Möglichkeit für die Afrikaner. Was wir über die letzten Jahrzehnte gesehen haben, besonders China aber gleichermaßen Indien, ist ein großer Investor in der Infrastruktur vieler Länder auf dem Kontinent. Das ist eine gute Sache. Sie füllen die Lücke, wo die afrikanischen Länder versagen.
Beispielsweise beklagen aber auch viele Länder, dass die chinesische Infrastruktur nicht ihren Sicherheitsstandards entspricht. Aber gleichzeitig kritisieren sie die Firmen aus den europäischen Ländern, denn diese sind ihnen hier zu strikt. Das funktioniert also ebenfalls nicht.
Es ist ein beiderseitiges Geschäft. Wenn ausländische Investoren in die afrikanischen Länder kommen, müssen sie sich dort an die Regeln halten, Umweltauflagen, Arbeitsschutz ... Die Überwachung obliegt den Regierungen und Behörden der Länder. Aber dies funktioniert nicht immer, aufgrund schwacher Regierungssysteme, das Fehlen von Möglichkeiten. Die Behörden sind nicht so ausgestattet, als das sie der Überwachung gerecht werden könnten.
RT Deutsch: Ist es richtig, dass es zwischen Südafrika und Russland einen Deal zur Nuklearenergie geben sollte, dieser aber scheiterte? Weshalb?
Cyril Prinsloo: Ja, dies wurde über eine lange Zeit zwischen Russland und Südafrika diskutiert. Wir brauchen mehr Elektrizität. Neben Russland verhandelte die Regierung auch mit Südkorea, Frankreich und China. Wir sprachen mit vielen über nukleare Energie für Südafrika. Es gibt aber von der Regierung Südafrikas eine Richtungsänderung. Finanziell ist es bislang nicht umsetzbar, und man wird sich mehr mit erneuerbaren Energien beschäftigen. Erneuerbare Energien, die unser Elektrizitätssystem ergänzen statt massiver Investitionen. Zwischen Russland und Südafrika gibt es aber eine gute Kooperation in der Medizin zur Bekämpfung von Krebs in Südafrika.
Im letzten Jahr sahen wir die Entwicklung, afrikanische Länder miteinzubeziehen. Der russische Außenminister Sergei Lawrow etablierte einen Afrika-Gipfel, um die Beziehungen zu stärken. Wir konnten dies von den Russen durchweg in Asien beobachten, und jetzt scheint der nächste Schritt Richtung Afrika gemacht.
Der russische Außenminister Sergei Lawrow sagte hierzu:
Wir haben uns darüber geeinigt, einen Rahmen politischer Dokumente vorzubereiten, die ein Konzept der Kooperation in den kommenden Jahren erstellen und auch zahlreiche praktische Projekte für die Umsetzung in der nahen Zukunft. Wir bereiten jetzt ein Treffen von russischen und AU-Experten vor.
RT Deutsch: Welche Probleme internationaler Zusammenarbeit gibt es noch? Was sind die Hauptsorgen der Regierung Südafrikas?
Cyril Prinsloo: Ein Hauptproblem ist das langsame Wirtschaftswachstum. Wir sprechen immer von einer dreifachen Herausforderung: Armut, Ungleichheit und Qualität. Unser Präsident hat in den letzten Monaten viele Auslandsreisen unternommen, unter anderem nach Saudi-Arabien, mit dem Ziel, mehr Arbeitsplätze im Land zu schaffen.
RT Deutsch: Wie sieht es mit der African Continental Free Trade Area (AfCFTA) aus? Wann wird diese Freihandelszone Wirklichkeit werden?
Cyril Prinsloo: Viele afrikanische Länder kamen in den letzten Monaten hierfür zusammen. Es ist ein massives unterfangen. Wir reden hier von über 55 Ländern. Nicht alle haben unterzeichnet (44 der Länder haben unterzeichnet). Es beinhaltet aber auch ein großartiges Potenzial für die afrikanischen Länder. Viele unserer Partner versuchen, einen gemeinsamen Markt zu schaffen. Ziel ist, 55 Länder zu vereinen. Dies ist natürlich im Sinne von Bevölkerung und Kaufkraft enorm attraktiv. Eines der Herausforderungen war immer der fehlende Handel zwischen den afrikanischen Ländern.
RT Deutsch: Wo sehen Sie Ihr Land in den nächsten 20 Jahren?
Cyril Prinsloo: Das Land hat sehr viel Potenzial, und innerhalb der letzten 20 Jahre ist sehr viel passiert. Wir müssen uns aber auch mit der Landreform befassen, Gleichheit und Armut. Das Land hat gezeigt, dass es resistent ist. Im Bezug auf die Landreform empfehle ich ein Statement unseres Präsidenten in der Financial Times.
Ich bin in der 11. Generation Südafrikaner. Für mich ist dies mein Land, ich habe kein anderes. Meine Ansicht ist, ja das Land hat sehr viel durchgemacht, aber die Regierung versucht, dagegen anzugehen. Zwei, drei, vier Jahrhunderte der Ungerechtigkeit können nicht innerhalb der nächsten Generation beseitigt werden.
RT Deutsch: Verpasst Europa die Zukunft Afrikas? Wir lesen in der westlichen Presse meist über afrikanische Flüchtlinge und afrikanische Staaten, die scheinbar versagen, und die Menschen zur Flucht zwingen, aber kaum über wirtschaftliche Möglichkeiten. Es gibt eine konstante Debatte über Fluchtzentren der EU, die man auf dem afrikanischen Kontinent einrichten könnte, um gegen die Massenzuwanderung und Schmuggler anzugehen.
Cyril Prinsloo: Ja, der Kontinent muss sich vielen Herausforderungen stellen. Aber es geht auch um die am schnellsten wachsenden Märkte und das Bevölkerungswachstum. Ruanda zählt zu der am schnellsten wachsenden Wirtschaft, das Wachstum hier aber beginnt auf dem niedrigsten Niveau – also schier aus dem Nichts heraus. China hat die Möglichkeiten aufgezeigt, die es auf dem Kontinent gibt. Hinzu kommt das angesprochene Freihandelsabkommen. Ich bin quer durch den Kontinent gereist, und ich kann Ihnen versichern, dass man dort den freundlichsten Menschen begegnet und dass kann ich nicht immer über Europäer sagen. Nationalismus und Protektionismus sind ein Trend, den wir nicht nur in Europa, sondern auch in den USA sehen. Es ist aber kein Trend in den Entwicklungsländern.