"Kein einziger Freund in der Welt": Kanada fühlt sich im Saudi-Konflikt allein gelassen

Als Kanadas Regierung in entschlossenen Tweets ihre Haltung zu den Menschenrechten in Saudi-Arabien signalisierte, zählte Premier Justin Trudeau auf breite westliche Solidarität. Nun sieht sich Ottawa im Konflikt mit Riad aber zunehmend allein auf weiter Flur.

Der kanadische Premierminister Justin Trudeau, seine Minister und weite Teile der politischen wie medialen Öffentlichkeit zeigen sich ungehalten über die gedämpfte Solidarität, die Kanadas Regierung im diplomatischen Streit mit Saudi-Arabien bislang vonseiten westlicher Verbündeter erfährt.

Anlass war ein Tweet, in dem die kanadische Außenministerin Chrystia Freeland scharfe Kritik an der Verhaftung mehrerer sogenannter zivilgesellschaftlicher Aktivisten und Frauenrechtlerinnen wie der bekannten Anwältin Samar Badawi in der Golfmonarchie übte. Zuvor hatten die Vereinten Nationen sich in ähnlicher Weise besorgt über die Maßnahmen gezeigt.

Die Saudis haben die Kritik der kanadischen Regierung umgehend als unzulässige Einmischung zurückgewiesen, Kanadas Botschafter ausgewiesen, jüngste Vereinbarungen mit Ottawa in den Bereichen Handel und Investment sowie das Kanada-Geschäft der staatlichen Fluglinie eingefroren. Das saudische Außenministerium forderte Kanada dazu auf, seinen "großen Fehler [zu] bereinigen" und erklärte, man erwäge noch weitere Maßnahmen gegen das Land.

Russland und Ägypten gegen Einmischungspolitik - Nauert: "Klärt das untereinander!"

Analysten sehen die unerwartet harsche Reaktion Riads als Ausdruck der Entschlossenheit, auch gegenüber dem Westen Grenzen dahingehend zu setzen, inwieweit man bereit ist, Kritik an der eigenen Innenpolitik zu akzeptieren. Dies vor allem angesichts der Tatsache, dass die Führung in der Golfmonarchie sich in den letzten Jahren um einige innenpolitische Reformschritte bemüht hatte, zunehmend auf Distanz zu extremistischen und terroristischen Organisationen gegangen ist und sich aktiv um Deradikalisierung im eigenen Land bemüht. Mittlerweile ist die Zahl radikal-islamischer Kämpfer, die aus der Golfmonarchie in den Dschihad ziehen, deutlich gesunken. Westliche Politiker und Medien hatten dies auch vermehrt mit wohlwollenden Statements quittiert.

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Damit, dass Länder wie Ägypten und Russland, die in der Vergangenheit selbst vermehrt zum Ziel westlicher Moralpredigten in Sachen "Menschenrechte" geworden waren, sich im nunmehrigen diplomatischen Konflikt mit Riad solidarisieren, dürfte man in Ottawa noch gerechnet haben.

Was die kanadische Führung jedoch offenkundig überrascht hat, war, dass auch unter den Verbündeten im Westen weitgehend Stille herrschte - und das sogar noch, als Berichte über jüngste Fälle die Runde machten, in denen die Saudis Todesurteile gegen verurteilte Straftäter durch Enthaupten oder Kreuzigung vollstreckt hatten.

Auch die USA zeigten sich wenig bewegt durch den Konflikt zwischen dem Nachbarland und dem Verbündeten im Nahen Osten. So erklärte die Sprecherin des Außenministeriums, Heather Nauert:

Es ist Sache der Regierung von Saudi-Arabien und der Kanadier, das zu bereinigen. Beide Seiten müssen das gemeinsam diplomatisch klären. Wir können ihnen das nicht abnehmen.

Innenpolitische Kritiker werfen Trudeau Bigotterie vor

Am Ende blieb in Kanada selbst die unangenehme Situation nicht unbemerkt. Auf Twitter beklagte sich Rachel Curran, die frühere politische Leiterin des ehemaligen Premierministers Stephen Harper, mit einem Seitenhieb auf den amtierenden Regierungschef:

Wir haben in der ganzen weiten Welt nicht einen einzigen Freund. Das setzt einige Leistung voraus.

Premierminister Justin Trudeau bemühte sich wenig später um Schadensbegrenzung, indem er ankündigte, Kanada werde weiterhin diplomatische und politische Verbindungen mit Saudi-Arabien pflegen. So zitiert ihn der Guardianmit den Worten:

Wir haben Respekt vor der wichtigen Rolle [Saudi-Arabiens] in der Welt und anerkennen, dass sie in einer Vielzahl an Bereichen Fortschritte gemacht hatten.

Ganz aus seiner Haut kann der Liberale dann aber doch nicht heraus. Er betonte weiter:

Wir werden gleichzeitig weiterhin klar und deutlich Menschenrechtsagenden zu Hause und im Ausland ansprechen, wo immer wir dies als erforderlich betrachten.

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Dies ist offenbar nicht überall in gleichem Maße der Fall, meinen Kritiker Trudeaus und seiner robusten Haltungspolitik. So werfen ihm nicht nur konservative innenpolitische Gegner vor, es mit der Gewissensfreiheit nicht immer punktgenau zu nehmen, als seine Regierung ihre Förderungspolitik für Jugend-Sommerjobprojekte bei gemeinnützigen Trägern etwa von einer schriftlichen Erklärung abhängig machte, dass diese unter anderem den Schwangerschaftsabbruch als "Menschenrecht" anerkennen.

Auch im außenpolitischen Kontext werfen einige Kommentatoren der kanadischen Regierung vor, mit ihrer Konfrontationspolitik gegenüber den Saudis zum einen Doppelmoral zu praktizieren, zum anderen Kanadas außenpolitischen Interessen zu schaden.

So wirft Siavash Safavi auf dem Portal The Postmillennial Trudeau vor, Ländern wie Katar oder dem Iran gegenüber keine auch nur annähernd so kritische Haltung einzunehmen und sogar dann noch geschwiegen zu haben, als im Vorjahr ein kanadischer Staatsbürger im Iran starb und dessen Frau als Geisel genommen wurde.

"Was machen wir, wenn es mal eine richtige Krise gibt?"

Alex Lockie wiederum meint im Business Insider, dass Trudeaus Regierung mit ihrem öffentlichen Vorstoß einen folgenschweren Fehler begangen habe, der Kanada schaden würde – ohne damit für irgendjemanden etwas bewirkt zu haben. Stattdessen habe Kanada an Handelschancen verloren, an Einflussmöglichkeiten verloren und außerdem auch noch dafür gesorgt, dass kanadische Muslime nicht mehr auf direktem Wege zum Hadsch nach Mekka fliegen könnten.

Thomas Juneau, ein Professor an der Universität von Ottawa, winkt hingegen ab. "Die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Kanada sind sehr beschränkt, deshalb ist derzeit kein großer Schaden für Kanada zu befürchten."

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Dass Kanadas Regierung - abseits liberaler Presseorgane wie dem Guardian oder der New York Times sowie Politikern wie US-Senator Bernie Sanders - so wenig Unterstützung im Westen gefunden hat, bereitet ihm dennoch Sorgen:

Was aber ein Quell ernster Besorgnis sein sollte: Was machen wir, wenn es einmal eine richtige Krise gibt und wir dann alleine dastehen?