"Aus militärischer Sicht kein Sinn": Warum die USA Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abwarfen

Am 6. August 1945 wurde in Hiroshima erstmals eine Atomwaffe eingesetzt. Drei Tage später wurde auch die Stadt Nagasaki dieser Waffe ausgesetzt. RT berichtet über die Hintergründe der amerikanischen Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki.

von Swjatoslaw Knjasew

Die ersten Voraussetzungen für einen großen Krieg im Pazifik zeichneten sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts ab, als der amerikanische Kommandant Matthew Perry im Auftrag der US-Regierung die japanischen Behörden mit der Pistole auf die Brust dazu gezwungen hatte, die Politik des Isolationismus zu beenden. Die neuen Bedingungen waren so offensichtlich ungleich und damit nur für die US-Amerikaner vorteilhaft, dass das Gefühl der Demütigung unter Japanern lange Zeit erhalten blieb. Damals litten die meisten asiatischen Länder unter der Abhängigkeit von westlichen Mächten, und um seine Souveränität zu erhalten, musste Japan im Schnelldurchlauf eine technische Modernisierung durchführen.   

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Mit ihrem Handeln haben die USA Japan gezeigt, dass man mit roher Gewalt vermeintlich jedes Problem internationaler Beziehungen lösen kann. Schließlich begannen die Japaner, zum ersten Mal seit Jahrhunderten eine aktive, expansive Politik zu betreiben. Diese war zunächst gegen andere fernöstliche Länder gerichtet. Die ersten Opfer waren Korea, China und der russische Ferne Osten.

Pazifischer Kriegsschauplatz

1931 drang Japan von koreanischem Territorium aus in die Mandschurei ein, besetzte sie und installierte dort den Marionettenstaat Mandschukuo. Im Sommer 1937 begann Tokio einen umfassenden Krieg gegen China. Im selben Jahr fielen Shanghai, Peking und Nanjing. In Nanjing (damals Nanking) richtete die japanische Armee eines der entsetzlichsten Blutbäder in der Weltgeschichte an. Von Dezember 1937 bis Januar 1938 ermordete das japanische Militär, überwiegend mit Schwertern, bis zu 500.000 Zivilisten und unbewaffnete Soldaten. Dieses Massaker, das als "Massaker von Nanking" in die Geschichte einging, wurde von schrecklicher Folter und Vergewaltigungen begleitet. Insgesamt kostete die japanische Aggression gegen China 30 Millionen Menschen das Leben.

Im Jahr 1940 begann die japanische Expansion Richtung Indochina, im Jahr darauf griff Tokio britische und amerikanische Militärbasen (Hongkong, Pearl Harbor, Guam und Wake) sowie Malaysia, Burma und die Philippinen an. 1942 wurden Indonesien, Neuguinea, Australien, die Aleuten, Indien und Mikronesien Opfer der japanischen Aggression.

Doch 1942 geriet die japanische Offensive ins Wanken, 1943 verlor Japan die Initiative im pazifischen Raum, obwohl die japanischen Streitkräfte noch relativ stark waren. Der britische und amerikanische Gegenangriff kam allerdings auch eher langsam voran. Erst im Juni 1945 konnten die Amerikaner nach blutigen Kämpfen die Insel Okinawa besetzen, die seit 1879 zu Japan gehört.

Einen größeren Konflikt mit der Sowjetunion versuchte Japan trotz Attacken auf die sowjetischen Positionen am Chassansee und dem Fluss Chalchin Gol in den Jahren 1938 und 1939 erfolgreich zu vermeiden. Tokio war überzeugt, in der Roten Armee einen zu starken Gegner zu haben, und schloss 1941 einen Neutralitätspakt mit der UdSSR.

Adolf Hitler versuchte, seine japanischen Verbündeten dazu zu bringen, den Pakt zu brechen und die UdSSR von Osten aus anzugreifen, doch die sowjetischen Kundschafter und Diplomaten konnten Tokio davon überzeugen, dass der Preis für Japan zu hoch wäre, und so war der Vertrag de facto bis August 1945 in Kraft. Auf der Jalta-Konferenz im Februar 1945 sagte Josef Stalin den Westalliierten zu, sich nach dem Sieg über Nazi-Deutschland dem Krieg gegen Japan anzuschließen.

Das Manhattan-Projekt

Im Jahr 1939 übergab eine Gruppe von Physikern, mit Unterstützung von Albert Einstein, dem US-Präsidenten Franklin Roosevelt einen Brief, in dem davor gewarnt wurde, dass Hitler-Deutschland in absehbarer Zukunft eine Waffe von schrecklicher Zerstörungskraft entwickeln könnte - die Atombombe. Die amerikanischen Behörden zeigten sich sehr interessiert. Ebenfalls 1939 wurde das sogenannte Uran-Komitee als Teil des Nationalen Verteidigungskomitee der USA gegründet. Zunächst sollte es die potenzielle Bedrohung einschätzten und in der Folge die Produktion eigener Atomwaffen in die Wege leiten.

Die Amerikaner beschäftigten im Rahmen ihres Atomprogramms Immigranten aus Deutschland sowie Vertreter Großbritanniens und Kanadas. Im Jahr 1941 wurde in den USA ein spezielles Forschungs-und Entwicklungsbüro gegründet, und 1943 begann die Arbeit im Rahmen des sogenannten Manhattan-Projekts, die darauf abzielte, einsatzfähige Atomwaffen zu schaffen.

In der UdSSR geht der Beginn der Kernforschung ebenfalls auf die 1930er-Jahre zurück. Dank der Tätigkeit der sowjetischen Aufklärung und linksgerichteter westlicher Wissenschaftler erhielt Moskau seit 1941 zahlreiche Informationen über die Vorbereitung zur Entwicklung von Atomwaffen im Westen.

Trotz aller Schwierigkeiten in der Kriegszeit wurde die Kernforschung in der Sowjetunion in den Jahren 1942 und 1943 intensiviert. Dazu gehörte auch die aktive Suche nach Spionen innerhalb der amerikanischen Wissenschaftlichszentren.

Im Sommer 1945 hatten die Vereinigten Staaten drei Atombomben — die plutonischen "The Gadget" und "Fat Man" sowie die uranische "Little Boy". Am 16. Juli 1945 wurde in New Mexico ein Nukleartest mit "The Gadget" durchgeführt. Die amerikanische Führung war mit den Ergebnissen zufrieden. Doch gemäß den Erinnerungen des sowjetischen Aufklärers Pawel Sudoplatow war der Bauplan der ersten US-Atombombe bereits zwölf Tage, nachdem sie fertiggestellt wurde, in Moskau.

Als US-Präsident Harry Truman Stalin am 24. Juli 1945 in Potsdam höchstwahrscheinlich als versteckte Drohung erklärte, dass Amerika mit einer Waffe von "außergewöhnlicher Zerstörungskraft" ausgestattet sei, reagierte der sowjetische Staatchef mit einem Lächeln. Der britische Premierminister Winston Churchill, der bei diesem Gespräch anwesend war, zog daraus den Schluss, dass Stalin nicht verstanden habe, wovon die Rede war. Jedoch war der sowjetische Oberbefehlshaber über das Manhattan-Projekt vollkommen im Bilde und wies Außenminister Wjatscheslaw Molotow (1939 bis 1949 im Amt) nach dem Treffen mit dem amerikanischen Präsidenten an, mit dem Chef des sowjetischen Nuklearprogramms Kurtschatow "über die Beschleunigung unserer Arbeit zu sprechen".

Hiroshima und Nagasaki

Bereits im September 1944 wurde zwischen den USA und Großbritannien eine grundsätzliche Vereinbarung über die Möglichkeit der Anwendung von Atomwaffen gegen Japan getroffen. Im Mai 1945 lehnte der in Los Alamos ansässige Ausschuss aufgrund der "Möglichkeit eines Fehlers" und einer nicht ausreichend starken "psychologischen Wirkung" die Idee ab, nukleare Angriffe auf militärische Einrichtungen durchzuführen. Es wurde entschieden, Städte anzugreifen.

Ursprünglich stand auch Kyoto auf der Liste, aber der US-amerikanische Minister Henry Steamson bestand darauf, andere Ziele zu wählen, da er mit Kyoto schöne Erinnerungen verband — in dieser Stadt verbrachte er seine Flitterwochen.

Am 25. Juli genehmigte Truman eine Liste der Ziele für mögliche nukleare Angriffe, darunter Hiroshima und Nagasaki. Am nächsten Tag brachte der Kreuzer "Indianapolis" die Bombe "Little Boy" zur 509. gemischten Luftfahrtgruppe auf die Pazifikinsel Tinian. Am 28. Juli unterzeichnete der damalige Vorstand des Vereinigten Komitees der Stabschefs George Marshall den Befehl zum Einsatz von Atomwaffen. Fünf Tage später, am 2. August 1945, wurden alle für die Montage von "Fat Man" notwendigen Komponenten nach Tinian geliefert.

Das Ziel des ersten Nuklearschlages war die siebtgröße Stadt in Japan, Hiroshima, wo damals etwa 245.000 Menschen lebten. In dieser Stadt befand sich der Hauptsitz der 3. Division und der 2. Hauptarmee. Am frühen Morgen des 6. August hob der B-29-Bomber "Enola Gay" unter dem Kommando von Colonel Paul Tibbets von Tinian aus ab und nahm Kurs auf Japan. Um 8:00 Uhr erreichte das Flugzeug den Himmel über Hiroshima und warf die Bombe "Little Boy" ab, die 576 Meter über die Erdoberfläche explodierte. Um 08:15 Uhr blieben in Hiroshima alle Uhren stehen.

Die Temperatur unter der Plasmakugel, die sich infolge der Explosion gebildet hatte, erreichte 4.000 Grad Celsius. Ungefähr 80.000 Einwohner starben sofort. Viele von ihnen zerfielen im Bruchteil einer Sekunde zu Asche.

Die Lichtstrahlung hinterließ dunkle Silhouetten menschlicher Körper an den Wänden von Gebäuden. Noch in Häusern im Umkreis von 19 Kilometern splitterte Glas. Die Brände, die in der Stadt entstanden waren, vereinigten sich mit einem Tornado. Dadurch wurden jene Menschen getötet, die sich direkt nach der Explosion zu retten versuchten.

Am 9. August nahm ein weiterer amerikanischer Bomber Kurs auf die Stadt Kokuru, doch der Himmel über dieser Stadt war zu stark bewölkt, und so beschlossen die Piloten, auf ein Ersatzziel auszuweichen - Nagasaki. Die Bombe wurde abgeworfen, als sich in den Wolken eine Lücke bildete, durch die ein Stadion zu sehen war. "Fat Man" explodierte in einer Höhe von 500 Metern, und obwohl die Kraft der Explosion größer war als in Hiroshima, richtete die Bombe aufgrund des hügeligen Geländes und des großen Industriegebiets, in dem sich keine Wohngebäude befanden, einen geringeren Schaden an. Während der Bombardierung und unmittelbar danach starben 60.000 bis 80.000 Menschen.

Eine Weile nach dem Angriff stellten die Ärzte fest, dass Menschen, die sich scheinbar von den Verletzungen und dem psychologischen Schock erholt hatten, später Symptome einer neuen, bis dahin unbekannten Krankheit aufwiesen. Die Zahl der daran Verstorbenen erreichte drei bis vier Wochen nach der Explosion ihren Höhepunkt. So lernte die Welt die Auswirkungen atomarer Strahlung auf den menschlichen Körper kennen.

Bis 1950 wurde die Gesamtzahl der Opfer der Bombardierung von Hiroshima infolge der Explosion und ihrer Nachwirkungen auf ungefähr 200.000 Menschen geschätzt, in Nagasaki auf gut 140.000.

Ursachen und Konsequenzen

Auf dem asiatischen Festland befand sich zu dieser Zeit eine mächtige Kwantung-Armee, in die Tokio große Hoffnungen gesetzt hatte. Einigen Schätzungen zufolge betrug die Zahl der Soldaten der Kwantung-Armee über eine Million Menschen. Darüber hinaus wurde Japan von Kollaborationsarmeen unterstützt, deren Anzahl in die Hundertausende ging.

Am 8. August 1945 erklärte die Sowjetunion Japan den Krieg. Und bereits am nächsten Tag griff die Rote Armee mit Unterstützung ihrer mongolischen Verbündeten die Kwantung-Armee an.

Derzeit versucht man im Westen, die Geschichte umzuschreiben und den Beitrag der UdSSR zum Sieg sowohl über das faschistische Deutschland als auch über das militaristische Japan herunterzuspielen. Jedoch zwang der sowjetische Eintritt in den Krieg in der Nacht zum 9. August aufgrund der Bündnistreue die japanische Führung dazu, am 15. August die Kapitulation zu verkünden. Der Angriff der Roten Armee auf die Kräfte der Kwantung-Armee entwickelte sich schnell, und im Großen und Ganzen führte das zum Ende des Zweiten Weltkriegs", sagte der Historiker im Museum des Sieges Alexander Michailow im Gespräch mit RT.

Gemäß dem Experten nahm die Rote Armee mehr als 600.000 japanische Soldaten und Offiziere gefangen, darunter 148 Generäle. Michailow rief dazu auf, den Einfluss der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki auf die Beendigung des Krieges nicht zu überschätzen. "Die Japaner waren vom Anfang an entschlossen, bis zum Ende gegen die USA und Großbritannien zu kämpfen", betonte er.

Wie der Japanologe Wiktor Kusminkow von der Russischen Akademie der Wissenschaften meinte, sei die "militärische Zweckmäßigkeit", Japan mit Nuklearwaffen zu schlagen, nur die offizielle Version der Führung der Vereinigten Staaten.

"Die Amerikaner sagten, sie hätten im Sommer 1945 einen Krieg mit Japan auf deren Territorium beginnen wollen. Hier wurden laut der Führung der USA verzweifelter Widerstand der Japaner und daraus folgend inakzeptable Verluste der US-Armee erwartet. Und die Atombomben sollten Japan angeblich doch noch zur Kapitulation zwingen", erklärte der Experte.

Laut Kusminkows Kollegen Waleri Kistanow hält die amerikanische Version keiner Kritik stand.

Es gab keine militärische Notwendigkeit für diese barbarische Bombardierung. Heute wird diese Tatsache sogar von einigen westlichen Forschern anerkannt. In der Tat wollte Truman in erster Linie die UdSSR mit der Zerstörungskraft der neuen Waffe einschüchtern und in zweiter Linie die enormen Kosten ihrer Entwicklung rechtfertigen. Aber es war allen klar, dass der sowjetische Kriegseintritt diesen beenden würde", sagte er.

Kusminkow stimmt mit diesen Schlussfolgerungen überein: "Das offizielle Tokio hatte gehofft, dass Moskau Vermittler in Verhandlungen werden könnte, aber der Eintritt der UdSSR in den Krieg hat Japan keine Chance gelassen."

Kistanow betonte, dass einfache Leute und Vertreter der Elite in Japan auf verschiedene Art und Weise über die Tragödie von Hiroshima und Nagasaki sprächen. "Die normalen Japaner erinnern sich an diese Katastrophe so, wie sie wirklich war. Aber die Behörden und die Presse versuchen, einige Aspekte zu verschweigen. Zum Beispiel spricht man in Zeitungen und im Fernsehen sehr oft über die Bombardements, ohne dabei zu erwähnen, welches Land sie ausgeführt hat. Die jeweils amtierenden US-Präsidenten haben lange Zeit überhaupt keine Gedenkstätten besucht, die den Opfern der Bombardements gewidmet sind. Der erste war Barack Obama, aber auch er entschuldigte sich nicht bei den Nachkommen der Opfer." Jedoch habe sich der japanische Premierminister Shinzo Abe auch nicht für Pearl Harbor entschuldigt, merkte er an.

Laut Kusminkow hätten die Atombomben Japan sehr stark verändert. "Im Land gibt es eine große Gruppe von 'Unantastbaren' - hibakusha -, Kinder von Müttern, die der Strahlung ausgesetzt worden waren. Viele von ihnen sagten, andere Eltern hätten nicht gewünscht, dass ihre Kinder hibakusha heirateten. Die Folgen der Bombardierungen sind in das Bewusstsein der Menschen eingedrungen. Deshalb sind viele Japaner konsequente Unterstützer des vollen Verzichts auf Kernenergie", schloss der Experte ab.