Unternehmensberater zu RT Deutsch: "Iran hat Zweifel an Europas Fähigkeit zur Selbstbehauptung"

Der Austritt der USA aus dem JCPOA-Abkommen und die Ankündigung neuer Sanktionen gegen den Iran lässt europäische Unternehmen zögern, ihre Geschäftsbeziehungen mit dem Land aufrechtzuerhalten. Wir sprachen dazu mit einem Experten.

Dawood Nazirizadeh ist Inhaber der in Wiesbaden ansässigen Unternehmensberatung Nazirizadeh Consulting, die seit vielen Jahren deutschlandweit kleine und mittelständische Unternehmen dabei unterstützt, im Iran geschäftlich aktiv zu werden. Er berät auch iranische Unternehmen hinsichtlich eines möglichen Engagements in Deutschland. Für das Bundesland Rheinland-Pfalz vertritt Nazirizadeh die offizielle Kontaktstelle der rheinland-pfälzischen Wirtschaft im Iran.

Mit RT Deutsch sprach der Berater über mögliche Auswirkungen des Wiederauflebens der US-Sanktionspolitik für deutsch-iranische Wirtschaftskontakte. Das Interview führte Olga Banach.  

Was bedeutet der Ausstieg der Amerikaner aus dem JCPOA für die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen? 

Formal bleibt das sogenannte Atomabkommen ja in Kraft und deutsche und iranische Politiker beteuern ihre Absicht, diesen internationalen Vertrag weiterhin einzuhalten. In der Realität sehen wir aber große Zweifel auf der iranischen Seite, ob Deutschland bzw. die EU tatsächlich in der Lage sein werden, sich gegen die USA durchzusetzen. Noch größere Unsicherheit gibt es aufseiten deutscher bzw. europäischer Firmen. Vor allem die größeren Unternehmen befürchten, von sekundären US-Sanktionen getroffen zu werden. Das wird die sowieso vorhandene Zögerlichkeit beim Iran-Geschäft noch verstärken.

Werden die deutschen Firmen angesichts neuer US-Sanktionen vor Geschäften mit dem Iran zurückscheuen? Was werden die Hindernisse sein? Heiko Maas sagte während einer Pressekonferenz mit seinem russischen Amtskollegen, dass noch nicht klar sei, wie sich die Sanktionen gestalten werden und inwieweit diese auch deutsche Firmen treffen
könnten, die bereits im Iran tätig sind. Airbus kündigte an, alsbald, vor dem Erlass neuer Sanktionen, Materialien an die Iraner zu liefern, aber weitere Geschäfte zu unterlassen.
 

Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen in die USA haben, werden womöglich auf das kleinere Iran-Geschäft verzichten, wenn die EU nicht Mechanismen entwickelt, um ihre Firmen vor den Auswirkungen der US-Sekundärsanktionen zu schützen. In der Vergangenheit ist das ja gelungen. 1996 wehrte sich die EU mit dem "Blocking Statute" gegen solche US-Maßnahmen - das war aber nicht nur ein rechtlicher, sondern auch ein diplomatischer Erfolg, denn die USA räumten daraufhin Ausnahmeregelungen ein, um eine Klage vor der Welthandelsorganisation zu verhindern. Unter der derzeitigen US-Regierung sehen wir wenig Chancen für solche Ausnahmen. Natürlich kann da hartnäckige Diplomatie möglicherweise noch etwas bewegen. Bislang kündigen die USA jedoch drastische Maßnahmen gegen alle an, die weiterhin mit Iran Geschäfte machen.

Der Ausstieg der USA aus dem Abkommen ist ein klarer völkerrechtlicher Verstoß gegen eine UN-Resolution. Die USA hätten das im JCPOA vorgesehene Schlichtungsverfahren nutzen können, wenn sie befürchteten, dass Iran seine Verpflichtungen nicht einhält. Alle Äußerungen seitens der US-Politik sprechen dafür, dass die Vereinigten Staaten von ihrer gewählten Linie nicht abweichen werden.

Probleme für betroffene Firmen können Betätigungsverbote in den USA sein, Gelder könnten beschlagnahmt, Strafzahlungen verhängt werden. Dass Firmen mit geschäftlichen Beziehungen in die USA angesichts dessen ihr Iran-Geschäft – und sei dieses auch völlig legal nach internationalem Recht – noch einmal überdenken, ist nachvollziehbar.

Was erwarten Sie als Deutsch-Iraner, der sich für den Austausch zwischen beiden Ländern einsetzt, von der Regierung in Berlin? Ist der Austritt der Amerikaner eine Chance, sich von den Amerikanern zu emanzipieren? 

Natürlich würde ich mich über eine selbstbewusste Politik Deutschlands bzw. Europas freuen. Auch wenn man keine Unternehmen zwingen kann, sich im Iran zu betätigen, erwarte ich doch Maßnahmen, die den deutschen Firmen ermöglichen, ihre Geschäfte im Iran weiterhin abzuwickeln. Es werden ja eine Reihe von Optionen diskutiert, z. B. was den Zahlungsverkehr und die Möglichkeit von Investitionen angeht. Wir haben durch die ganze Gültigkeitsdauer des JCPOA hindurch mit diesen Problemen gekämpft. Iran hat immer bemängelt, dass die wirtschaftlichen Vorteile, die es durch seine Zustimmung zum sogenannten Atomabkommen erhalten sollte, nur sehr bedingt eingetreten sind.  Will man, dass Iran dem Vertrag treu bleibt, muss man jetzt die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Nur mit der Sicherheit, dass die eigenen Regierungen hinter dem Abkommen stehen und ihre Unternehmen absichern werden, kann man die Firmen zum Engagement in Iran ermutigen.

Mein Rat ist außerdem, mit Iran einen Austausch in allen zivilgesellschaftlichen Bereichen auf Augenhöhe zu betreiben. Beide Länder haben einander in wissenschaftlicher und kultureller Hinsicht viel zu bieten und sind in diesbezüglich auch lange verbunden. Wir sollten diese Möglichkeiten ausbauen, sie fördern auch die Begegnungen und das gegenseitige Verständnis der Menschen.

Wird es wieder zu einer Welle von Protesten im Iran kommen? Die Stimmung im Iran erschien mir - bei meinem letzten Besuch - sehr schlecht und die Kritik
gegenüber der Regierung sehr offen

Es gab und gibt immer wieder Proteste in Iran und eine Diskussionskultur, die hierzulande wenig wahrgenommen wird. Die politischen Strukturen führen z. B. immer dazu, dass jeder Präsident seine Politik im Parlament unter lebhaften Diskussionen durchkämpfen muss, da es keinen Fraktionszwang wie in Deutschland gibt. In Iran gibt es nicht diese festen Parteistrukturen, sondern immer wieder wechselnde Bündnisse. Die Regierungspolitik wird traditionell diskutiert und kritisiert und es gehen auch häufig Menschen auf die Straße, um gegen Missstände zu protestieren. Wenn das in kleinerem Ausmaß stattfindet, wird davon in Europa natürlich nicht berichtet.

Rohani sagte in seiner Rede nach der Bekanntmachung eines Austritts durch Donald Trump, dass sich die iranische Bevölkerung nicht vor der Zukunft fürchten müsse. Was muss nun passieren, um die Situation im Iran zu verbessern und den jungen Menschen wieder eine Perspektive zu geben? 

Iran hat eine Reihe von Problemen, an denen es nicht dem Ausland die Schuld geben kann. Zur Lösung dieser Themen braucht es keine oder nur in geringerem Ausmaß ausländische Hilfe. Regierung und Parlament arbeiten z. B. nun endlich zusammen an überfälligen Reformen im Bankenbereich. Es bleiben aber die Probleme durch notleidende Kredite, die die Investitionsschwäche des Landes verstärken und die ein Erbe früherer Regierungen sind. Die Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft ist ein großes Thema. Hier muss der privatwirtschaftliche Bereich weiter gestärkt werden. Iran hat sehr gut ausgebildete junge Leute, aber dieses große Problem mit der Arbeitslosigkeit. Natürlich wären ausländische Investitionen in die sanierungsbedürftigen Produktionsanlagen aller Industrien hilfreich. Die Produktivität liegt in vielen Bereichen unter dem weltweiten Durchschnitt. Inländische Investoren sollten ermutigt werden. In der Ölwirtschaft hat es z. B. kürzlich den ersten Abschluss für langfristiges Engagement eines privaten inländischen Unternehmens unter dem Dach des neuen "Iran Petroleum Contract" gegeben.

Ganz große Probleme gibt es im Umweltbereich. Das größte ist vermutlich die Wasserkrise. Sie wird sich verschlimmern, selbst bei optimalen Anstrengungen. Hier sollte das Bewusstsein der Bevölkerung gestärkt und der Einsatz aller gesellschaftlichen Kräfte zu ihrer Bewältigung gefördert werden. Es gäbe genug Einsatzmöglichkeiten für die vielen naturwissenschaftlich und technisch ausgebildeten jungen Leute. An der Umsetzung und Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Beispiel im Bereich der Landwirtschaft mangelt es. Hieran ist das knappe Budget der Regierung schuld, aber auch mangelndes Bewusstsein für die Dringlichkeit dieser Probleme.

Wenn Iran es schafft, seine teils sehr zähen Abläufe zu verbessern und alle oft streitenden Interessengruppen zu vereinen, dann kann das Land durchaus selbstbewusst in die Zukunft schauen. Wir haben gesehen, dass trotz harter Sanktionen Iran nicht in einem solch desolaten Zustand war wie beispielsweise der Irak, dessen Sanktionierung hunderttausende Menschenleben gekostet hat. Iran hat sich auch unter widrigen Bedingungen weiterentwickelt, konnte aber natürlich sein Potenzial nicht ausschöpfen.

Natürlich wünschen wir uns, dass eine solche angespannte Situation nicht wieder entsteht und das Land sich im Austausch mit internationalen Partnern entwickelt. Daran sollte die ganze Welt ein Interesse haben.