Mike Pompeos Behauptung, dass die iranischen Revolutionsgarden "Mordoperationen im Herzen Europas" durchführen, löste bei Sicherheitsexperten Befremden aus, da jegliche Beweise für die massiven Anschuldigungen fehlen.
Trotz der Tragweite der Anschuldigung gegenüber Teheran, die der US-Außenminister am Montag in seine aufsehenerregende Rede einfließen ließ, widmete er dieser nur eine Zeile der ansonsten mit Drohungen und Forderungen gespickten Litanei.
Heute führen die iranischen Al-Quds-Brigaden verdeckte Mordoperationen im Herzen Europas durch", behauptete Pompeo, ohne seine Aussage durch Belege zu untermauern.
Erstaunte Pressevertreter lauschten anschließend der Sprecherin des US-Außenministeriums Heather Nauert – um ebenfalls keine konkretere Einordnung der Aussage des ehemaligen CIA-Direktors zu erhalten.
Er [Pompeo] verfügt über Informationen und hat Zugang zu Berichten, im Gegensatz zu mir. Ich bin nicht im Stande, das im Detail zu kommentieren, aber ich kann sagen, dass der Minister mir versichert hat, dass es für diesen Punkt seiner Rede eine Basis gibt, hinter der er steht", wich Nauert aus.
Sich bei derart brisanten Behauptungen allein auf die "Versicherung" durch einen US-Minister zu verlassen, fällt Sicherheitsexperten zunehmend schwer, und selbst US-Diplomaten mit dem Spezialgebiet Iran wurden demnach von der brisanten Aussage Pompeos "kalt erwischt".
Worauf sich Pompeo beziehen mag, wenn er die Al-Quds-Brigaden verdeckter Mordoperationen in Europa bezichtigt, bleibt ebenso im Dunkeln wie die vermeintlichen Mordanschläge selbst. Dies vor allem aufgrund der Tatsache, dass sich nach allgemeinem Kenntnistand aktuell keine Morde in Europa zugetragen haben, die offiziell dem iranischen Staat zugeschrieben werden.
Schapur Bachtiar, der letzte Premierminister des Schah, wurde 1991 in Frankreich ermordet. Vier iranisch-kurdische Dissidenten wurden im folgenden Jahr in einem griechischen Restaurant namens Mykonos in Berlin niedergeschossen. Im Fall Mykonos erließ das Gericht im Jahr 1997 einen internationalen Haftbefehl gegen den damaligen iranischen Geheimdienstminister Hujjat al-Islam Ali Fallahian, was zu einer diplomatischen Krise zwischen etlichen EU-Staaten und Teheran führte.
Im Jahr 2012 erschütterte ein Bombenanschlag auf einen Bus mit israelischen Touristen die bulgarische Schwarzmeerstadt Burgas. Die bulgarische Regierung, Tel Aviv und Washington machten unmittelbar nach dem Anschlag eine in Bulgarien operierende und demnach vom Iran unterstützte Hisbollah-Zelle für die Bluttat verantwortlich. Andere wähnten das Terrornetzwerk Al-Qaida oder türkische Terroristen am Werk. Bis heute harrt das Attentat der Aufklärung.
Pompeos Anschuldigungen Richtung Teheran beziehen sich ohnehin auf aktuelle Ereignisse und hoben die Al-Quds-Brigaden hervor. Die jüngste Ermordung eines iranischen Dissidenten fand im November letzten Jahres in Den Haag statt, als ein Schütze Ahmad Mola Nissi, den Anführer der "Bewegung des Arabischen Kampfes für die Befreiung von Ahvaz" (ASMLA) in der niederländischen Stadt erschoss.
Bei den Ahvazis handelt es sich um Araber, die überwiegend in den iranischen Provinzen Chuzestan und Hormozgan angesiedelt sind. Beobachter und Sicherheitsexperten vermuten, dass der Mord an Nissi in Zusammenhang mit steigenden Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien stehen könnte.
Der bewaffnete Flügel der Separatistenbewegung hatte vor Nissis Tod die Verantwortung für mehrere Anschläge im Iran übernommen, die unter anderem im Januar 2017 zum Tod zweier Wachmannschaften der Revolutionsgarden führten.
Nissis Tochter sagte im vergangenen Jahr in einem Interview, dass der Tod ihres Vaters an die iranischen Staatsmorde in den 1990er-Jahren erinnere, verwahrte sich dennoch eines vorschnellen Urteils.
Europa scheint sicher zu sein, aber seien Sie vorsichtig. Der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran ist nicht auf den Nahen Osten beschränkt. Er breitet sich in Europa aus. Die Familie ist offen für alle Szenarien. Der Iran ist ein Hauptverdächtiger, aber nicht der einzige", sagte Hawra Nissi gegenüber Reuters.
Die niederländischen Ermittler konnte den Mord offiziell nicht den Revolutionsgarden zuschreiben.
Wenn Pompeo sich auf den Nissi-Mord bezog, gab er bislang geheime Informationen preis", heißt es dazu im Guardian.
Iraj Mesdaghi, ein in Schweden lebender iranischer Aktivist, der von 1981 bis 1991 im Iran im Gefängnis saß, stellte Pompeos Anschuldigung derweil in Frage.
"Es ist unwahrscheinlich, dass es wahr ist", sagte Mesdaghi, der sich nunmehr der Forschung über Menschenrechtsverletzungen im Iran verschrieben hat und mutmaßliche Aktivitäten der Revolutionsgarden in Europa beobachtet.
Es gibt keine Beweise für die Behauptung, dass sie [die Revolutionsgarden] solche Operationen in Europa durchführen.
Aus der EU gibt es seit den frühen 1990er-Jahren keine Anschuldigungen an die Adresse Teherans, wie sie nun von Pompeo vorgetragen wurden. Wesentlich stichhaltigere Indizien scheint es hingegen für die Ermordung zahlreicher Iraner in den vergangenen Jahren durch den israelischen Auslandsnachrichtendienst Mossad zu geben.