Vor 75 Jahren wurde sie von den Nazis in die Luft gesprengt, nun erstrahlt die Große Synagoge von Warschau wieder im Zentrum der Stadt. Der Gesang ihres einstigen Kantors Gershon Sirota hallt durch die Straßen. Allerdings nur für kurze Zeit: Zum Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto bringt die Künstlerin Gabi von Seltmann die Synagoge als Multimedia-Projektion an ihren früheren Standort zurück. Heute steht an der Stelle des jüdischen Gebetshauses ein fast 30-stöckiges Glashochhaus. In seinen Fenstern spiegelt sich nun die Große Synagoge und zieht die Blicke neugieriger Passanten auf sich.
"Viele Menschen wissen gar nicht mehr, dass hier einst die Synagoge stand", sagt von Seltmann, die das ändern wollte. Ihr Projekt entstand in Zusammenarbeit mit mehreren jüdischen Institutionen Warschaus. "Deswegen haben wir die Synagoge aus Archivmaterial wiederaufgebaut", sagt die Künstlerin. Für die virtuelle Rekonstruktion verwendete sie auch Fotos der Ruinen. Während der knapp sechsminütigen Projektion richtet sich das Gebäude aus dem Schutt wieder auf.
Fast eine Million Juden im Ghetto eingesperrt
Fast eine halbe Million Juden aus Warschau und Umgebung wurden während des Zweiten Weltkriegs im größten Ghetto der Nazis für die jüdische Bevölkerung eingesperrt. Es gab nur wenige Überlebende. Viele Menschen starben bereits in dem überfüllten Ghetto an Hunger oder Epidemien. Tausende wurden erschossen oder von den Nazis in Vernichtungslager deportiert.
Verzweifelt versuchten etwa 750 jüdische Aufständische schließlich, sich gegen die massenhafte Deportation in die NS-Todeslager zu wehren. Am 19. April 1943 fielen die ersten Schüsse ihrer Rebellion, die als Symbol des jüdischen Widerstands in die Geschichte einging. Die jungen Männer und Frauen wollten lieber mit Würde und im Kampf statt in den Lagern sterben. Nach fast einem Monat mussten sie sich geschlagen geben, die Deutschen waren zahlenmäßig weit überlegen.
Aufstand von den Nazis blutig niedergeschlagen
Nach der blutigen Niederschlagung ihres Widerstands wurde die Synagoge auf Befehl von SS-Gruppenführer Jürgen Stroop zerstört. Zur symbolträchtigen Sprengung schrieb er am 16. Mai 1943 in seinem Tagesbericht: "Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk Warschau mehr." Doch der Kampfgeist der jüdischen Aufständischen wurde bereits während der Krieges über die Grenzen Polens hinaus bekannt.
Auch 75 Jahre später will Polen ihren Mut ehren. Dazu werden tausende Freiwillige in der ganzen Stadt gelbe Osterglocken aus Papier verteilen, die an den Judenstern erinnern. Marek Edelman, der letzte überlebende Anführer des Aufstands, legte sie jedes Jahr bis zu seinem Tod 2009 vor dem Denkmal der Ghetto-Kämpfer nieder.
Polen: zwischen Gedenken und umstrittenem Holocaust-Gesetz
Vor dem zentralen Ehrenmal sind in diesem Jahr Feierlichkeiten mit Präsident Andrzej Duda geplant. Allerdings hatte Polen zu Jahresbeginn mit einem umstrittenen Holocaust-Gesetz die Regierung Israels sowie viele Juden auf der ganzen Welt verärgert. Die Vorschrift sieht Strafen für diejenigen vor, die dem polnischen Staat oder Volk die Verantwortung oder Mitverantwortung für Verbrechen des Nazi-Regimes zuschreiben.
Mehr zum Thema - Historische Aufarbeitung und Gedenken: Ein Keil zwischen Polen und Israel
Von Seltmann, deren Großvater in Auschwitz starb, will mit ihrem Projekt ein positives Zeichen setzen. Obwohl die Synagoge nur an einigen Abenden wieder an ihrem alten Standort erscheinen wird, will die Polin ihre Landsleute langfristig bewegen. "Das Projekt soll berühren. Ich hoffe, dass dadurch bei den Menschen ein Gefühl geweckt wird, das für länger bleibt."
(rt deutsch/dpa)