Mit ihren 196 Mitgliedsstaaten und einem bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Regelwerk gilt die Organisation für ein Verbot der chemischen Waffen (OPCW) als eine der wenigen internationalen Organisationen, die noch den Ruf genießen, tatsächlich zum Wohle der Allgemeinheit zu agieren. Es waren zunächst Ende der 1980er die UdSSR und später die Russische Föderation, die federführend an der Gründung dieser Organisation beteiligt und bereits bei der Schaffung ihrer Vorläufer besonders aktiv waren.
Niemand Geringeres als Russland selbst hat hunderte Kontrolle durch das technische Sekretariat der OPCW in zahlreichen Chemieanlagen auf seinem Territorium durchlaufen und vorzeitig im September 2017 seine riesigen Lagerbestände an chemischen Waffen unter strenger Aufsicht der OPCW-Kontrolleure mittels flüssigen Verfahrens vernichten lassen.
Für die meisten Staaten der Welt demonstrierte Russland damit einen vorbildlichen Umgang mit giftigen Substanzen - nicht zuletzt im Unterschied zu den USA selbst, die immer noch schätzungsweise 3.000 Tonnen an Chemiewaffen in ihren Beständen haben. Die russische Delegation sah sich nach der Sitzung des OPCW-Exekutivrats am 4. April in Den Haag gezwungen, diese in Fachkreisen gut bekannten Tatsachen bei ihrem Presseauftritt noch einmal zum Ausdruck zu bringen. Denn sie ist nun, da die Hysterie um die so genannte Skripal-Affäre die Weltpolitik mittlerweile bereits seit einem Monat beschäftigt, mit dem Vorwurf des "gemeinsamen Westens" konfrontiert, geheime Labors für Chemiewaffen zu unterhalten, Kampfstoffe zu synthetisieren und diese auf europäischem Territorium einzusetzen.
Iran und China brachten mit Russland gemeinsamen Entwurf ein
Russland wandte sich an das internationale Gremium und arbeitete gemeinsam mit dem Iran und der Volksrepublik China einen Resolutionsentwurf aus, wonach Russland gemäß allen in der Chemiewaffen-Konvention vorgesehenen Verpflichtungen ihrer Mitglieder die Einsicht in die Ermittlungen und die Möglichkeit für eigene Analysen im so genannten Skripal-Fall bekommen müsse. Bei den mutmaßlich mittels Nervengift-Anschlags vergifteten Personen Sergej und Julia Skripal geht es um zwei russische Staatsbürger, wobei Erstgenannter neben der britischen auch noch eine russische Staatsbürgerschaft besitzen soll.
Zudem haben Russland und 13 weitere Staaten - Weißrussland, Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan, Syrien, Iran, Venezuela, Pakistan, Nicaragua und Kuba - eine Erklärung vorbereitet und diese vor der Debatte in Den Haag verlesen lassen. Wie Russlands Botschafter in den Niederlanden und Ständiger Vertreter bei der OPCW, Alexander Schulgin, es im Anschluss an die Sondersitzung betonte, bemühten sich die russische Delegation und ihre Unterstützer in der Diskussion um einen unaufgeregten, sachlichen Ton. Doch dieser würde durch schablonenhaften russophoben Ausfälle und "Ströme an Lügen und Verleumdungen" vonseiten der angelsächsischen Staaten gestört. Die russische Delegation habe sich daher gezwungen gesehen, auf diese Art des Diskurses einzusteigen und erinnerte die Teilnehmer an den Einsatz von Chemiewaffen vonseiten der USA und ihren Verbündeten in zahlreichen Kriegen wie in Vietnam, Kambodscha, im Iran-Irak-Krieg und in Syrien, so Schulgin.
Gemeinsames Vorgehen wäre gemäß OPCW-Regeln obligatorisch
Zur Abstimmung unter den 41 Mitgliedern des Exekutivrats hat Russland auch gemeinsam mit Iran und China einen Resolutionsentwurf eingebracht. Dieser sah vor, gemeinsame Ermittlungen mit Großbritannien in die Wege zu leiten. Außerdem hat Russland in der Resolution den Exekutivrat aufgerufen und verlangt, die notwendigen und obligatorischen Schritte im Sinne der Konvention zu veranlassen.
Mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit wäre die Resolution angenommen worden. Doch sie wurde "zum Bedauern" der russischen Delegation wegen der "strengen transatlantischen Disziplin der EU- und NATO-Staaten sowie einiger Ländern aus dem asiatischen Raum" gekippt. Russland "erdreiste sich" als "Täter" an den Ermittlungen gegen sich selbst teilnehmen zu wollen, so war das Hauptargument der Gegner des Resolutionsentwurfes, vorgetragen durch die Botschafter der USA und Großbritanniens.
Dennoch zeigte die Abstimmung eine Tendenz, die schwer zu übersehen ist: Wo es keinen Bündniszwang gibt, stimmten die Bündnisstaaten nicht gegen den russischen Entwurf.
23 Länder haben sich geweigert, dagegen zu stimmen oder sogar dafür gestimmt. Mehr als die Hälfte aller Mitglieder des Exekutivrats identifizieren sich nicht mit der Position Großbritanniens. Das beweist, dass das Bewusstsein wächst, das Verständnis dafür wächst, dass diese britische Politik schädlich ist", stellte Schulgin fest.
Der Botschafter warnte auch vor einer Intransparenz, die Großbritannien mittels der eigenen willkürlichen Inanspruchnahme eines unparteiischen Gremiums wie der OPCW an den Tag lege und kritisierte die Entscheidung der OPCW, die Ergebnisse der ersten Untersuchungen von den Proben vor Ort nur der britischen Seite auszuhändigen.
Großbritannien fürchtet unvoreingenommene Untersuchung
Dennoch hat sich der russische Vertreter trotz der Niederlage bei der Abstimmung im Exekutivrat zuversichtlich gezeigt: Er habe "wirklich das Gefühl, dass sie [die Briten - Anm. der Redaktion]Angst haben, dass in der Ermittlung alles geklärt wird und es deutlich wird, was tatsächlich passiert ist".
Schulgin beendete seine Ausführungen mit den Worten:
Sie haben Angst, für diese Verleumdungen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Aber ich glaube nicht, dass es ihnen gelingt, diese Haftung zu vermeiden und ich denke, dass der Zeitpunkt dafür naht.
Die rhetorische Schlacht geht unterdessen auch nach der von Russland einberufenen Sondersitzung des Exekutivrats ungebremst weiter. Der britische Außenminister nannte den russischen Vorschlag "pervers". Der russische Außenminister Sergei Lawrow warf Großbritannien und den USA seinerseits vor, das Völkerrecht zu untergraben. Die Situation um den Fall Skripal sei eine Bedrohung für internationale Sicherheit.