Nach neuesten Erkenntnissen kam einer der Attentäter von Paris womöglich als Flüchtling getarnt über die Balkanroute nach Europa. Dies legt zumindest ein gefundener Pass an einem der Tatorte nahe, der sich bereits als gefälscht herausstellte. Zudem gibt es Konfusion um griechische Quellen, die frühzeitig die Meldung verbreiteten, einer der Attentäter habe sich zuvor in Griechenland registriert. Nun wurde jedoch in Serbien ein Flüchtling aufgegriffen, dessen Pass dieselben Daten trägt. Alles möglicherweise gezielte Provokationen?
Noch ist der Fall, trotz einiger "offizieller" Verlautbarungen, nicht abschließend geklärt. Klar ist jedoch bereits, dass es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Attentäter um in Europa aufgewachsene und lebende Extremisten handelte, die sich in den Armenvierteln der Großstädte zunehmend radikalisierten. Selbst die Planung der Attentate soll von Belgien aus mitorganisiert worden sein.
Nichtsdestotrotz befeuern die Anschläge vom vergangenen Freitag nun auch die Flüchtlingsdebatte und geben rechtskonservativen Positionen in Europa, Kanada und den USA Aufwind. Damit würde ein entscheidender Teil des Kalküls, mit dem der "Islamische Staat" seine Terrorakte verübt, aufgehen.
In Ungarn verabschiedete das Parlament nun ein Gesetz, das es der Regierung erlaubt, Klage am Europäischen Gerichtshof gegen das EU-Quotensystem zur Verteilung von Flüchtlingen zu erheben. In den USA und Kanada laufen mehr als ein Dutzend Bundesstaaten gegen die Entscheidung ihrer Zentralregierungen Sturm, weiterhin syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Auch die neue rechtskonservative Regierung in Polen hat angekündigt, künftig keinen Flüchtlingen mehr Schutz zu gewähren. Mit Sicherheit keine spontanen Entscheidungen, sondern bereits beschlossene Maßnahmen, die lediglich noch auf ein Ereignis gewartet haben, das diese Positionen stärkt.
Doch neben der Provokation einer möglichst heftigen militärischen Reaktion seitens der westlichen Staaten, die die islamische Welt zunehmend radikalisieren und gegen den meist ohnehin schon mit Skepsis gesehenen Westen aufhetzen soll, ist es auch das erklärte Ziel der Dschihadisten, die Welt in zwei Teile zu spalten.
Im englisch-sprachigen IS-Magazin Dabig erschien zu Beginn des Jahres ein Artikel mit dem Titel "Die Beseitigung der Grauzone". Die Internetseite Memri beobachtet die ideologischen Debatten des IS und analysiert die Positonen der Extremisten. Das Ergebnis: Ziel des IS ist es, dass es künftig keine Grauzone mehr geben soll, in der Muslime, Christen, Juden und Nicht- oder Andersgläubige friedlich zusammenleben. Gesucht wird die totale Konfrontation.
In den Gesellschaften des Westens soll deshalb gezielt Angst, Hass und Misstrauen gegen Muslime gesät werden. Die wichtigsten Verbündeten im Geiste für dieses Ziel des IS: Die westlichen Scharfmacher vom rechten Rand. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien sollen in Europa und Übersee an Popularität gewinnen, um die Regierungen zu einer restriktiven Politik gegen Einwanderer, Flüchtlinge und Muslime im Allgemeinen zu zwingen. Mit Erfolg, wie es scheint. Der endgültigen Spaltung der Welt - als Grundvoraussetzung für den totalen Endkampf - kommen die Ideologen offenbar einen Schritt weiter.
Dass diese Sehnsucht der Bildung voneinander abgeschotteter feindlicher Lager nicht einseitig ist, zeigen jedoch auch bis heute einflussreiche Werke wie Samuel P. Huntingtons "Kampf der Kulturen" - in dem der US-Ideologe zum totalen Kampf gegen die muslimische Welt aufruft - und die apokalyptisch anmutenden Positionen evangelikaler Christen in den USA, die in den Kriegen der Bush II-Regierung das Werk Gottes sehen.
Die Extremisten und radikalen Kräfte auf beiden Seiten - so sehr sie sich von außen betrachtet feindlich gegenüberstehen - drehen in trauter Eintracht gemeinsam an der Eskalationsspirale.
Dass dieses Kalkül durchaus aufgehen kann und sich gegen die besonnenen, versöhnenden Stimmen aus der gesellschaftlichen Mitte durchsetzt, darauf deuten auch die außenpolitischen Reaktionen Frankreichs auf die Pariser Anschläge hin.
Nachdem am Montag französische Kampfjets die syrische Stadt Rakka, die sich in den Händen des IS befindet, angriffen, rief Frankreich gestern den "EU-Bündnisfall" aus und ersucht seine europäischen Partnerstaaten um militärische Unterstützung. Erstmals seit Bestehen der EU-Verträge wurde so Artikel 42, Absatz 7 aktiviert:
"Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats schulden die anderen Mitgliedsstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung."
Wie genau diese "Hilfe und Unterstützung" aussehen soll, wird in den nächsten Tagen geklärt werden. Klar ist bisher nur: Die radikalen Kräfte in der arabischen Welt und im Westen reiben sich bereits die Hände. Von einander getrennt, aber doch irgendwie gemeinsam.