Von Rainer Rupp
Lord Robert Skidelsky ist altbekannt für seine kritische Haltung gegenüber der NATO, ihrer Expansion an Russlands Grenzen und ihrer militärischen Interventionen. In seinem Substack-Beitrag in englischer Sprache behandelt er fünf zentrale Themen: die Notwendigkeit einer europäischen Aufrüstung, den Status des Budapester Memorandums von 1994, die angebliche "Heiligkeit" internationaler Grenzen, die Wiederinkraftsetzung der Monroe-Doktrin durch die USA und den militärischen Keynesianismus als Mittel gegen wirtschaftliche Stagnation. Aus Platzgründen können nicht alle fünf Themen in diesem Artikel vorgestellt werden, aber der Rest wird umgehend an dieser Stelle veröffentlicht.
Eingangs bemerkt Lord Skidelsky, dass neue Entwicklungen, vor allem anhaltende alarmistische Äußerungen von EU- und NATO-Vertretern sowie ein Interview mit Lord George Robertson, ehemaliger NATO-Generalsekretär und Hauptverfasser der britischen "Strategischen Verteidigungsüberprüfung" (SDR) aus dem Jahr 2024, sowie die kürzliche Präsentation der neuen "US-Nationalen Sicherheitsstrategie 2025" (veröffentlicht am 4. Dezember) ihn veranlasst haben, zur Feder zu greifen, um die Diskussion wieder zurück auf den Boden des berühmten britischen "Common Sense", des "gesunden Menschenverstands", zurückzuholen.
Skidelsky beginnt mit einer scharfen Kritik der europäischen Aufrüstung und der damit einhergehenden "Bedrohungsinflation", angetrieben von Politik und Medien. Dabei erinnert er vor allem an Lord Robertsons SDR, die effektiv darauf abzielt, eine kriegsbereite Haltung in der gesamten Gesellschaft zu entfachen und zu verankern, und betont, dass das Vereinigte Königreich "besser auf hochintensive, langwierige Kriege vorbereitet" sein müsse und dass seine Kriegsfähigkeit sowie die Abschreckung "jeden Aspekt der Gesellschaft durchdringen" sollte. Das erinnert an Dr. Joseph Goebbels und seine Forderungen nach dem "totalen Krieg", der totalitär alle gesellschaftlichen Bereiche durchdrang.
Auch die Berliner Politblase bedient sich gerne am Nazi-Wortschatz des einstigen Reichspropagandaministers. Zusammen mit der anderen Nazi-Verbrechern hat dieser immer wieder die "Kriegstüchtigkeit" seiner deutschen Landsleute beschworen und die kriegsbereite Mentalität in der gesamten Gesellschaft gefordert. Wer das nicht glaubt, der suche in einem der vielen Archive mit Nazi-Zeitungen aus der Kriegszeit die Nummer 28 von Goebbels' Wochenzeitung Das Reich vom 9. Juli 1944.
Auf der Titelseite steht ein Kommentar aus der Feder des Nazi-Oberpropagandisten unter dem Aufmacher: "Kriegstüchtig wie nur je". Goebbels ging es damals darum, noch mehr Kanonenfutter für den bereits verlorenen Krieg gegen die Sowjets an die Front zu schicken, um noch zehn weitere Monate wie die Made im Speck zu leben, bzw. in seinem Fall, um seine eigene Lebenserwartung noch um diese Zeit zu verlängern. Da fragt man sich, ob die Parallelen zu heute rein zufällig sind.
Der eigentliche Skandal ist, dass ausgerechnet das Goebbels-Wort "Kriegstüchtigkeit" zum Markenzeichen eines SPD-Verteidigungsministers geworden ist. Aber kein Mensch in der Berliner Elitenblase scheint sich an diesem Tatbestand zu stören. Aber wenn ein führender Politiker der Opposition zum Abschluss seiner Rede einen eigentlich unverfänglichen Spruch sagt, der – wie man ihm später vorhält – auf der Klinge des Ehrendolches der SA gestanden hat. Bei den Heuchlern war die Hölle los, die Übernahme der Republik durch Nazis stand unmittelbar bevor. Vom Gericht wurde der betroffene Politiker als Nazi abgestempelt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Da konnte man wieder mal den Rechtsstaat des besten Deutschlands, das es je gab, in Aktion sehen.
Aber zurück zu Lord Skidelsky. Im weiteren Verlauf seines Artikels nimmt er den jüngsten Auftritt von Ex-NATO-Chef Lord Robertson auf dem "London Defence Conference Investment Forum im Dezember 2025" der britischen Rüstungsindustrie ins Visier. Dort verstärkte dieser seine Forderungen und nannte Russland die primäre Bedrohung für das Vereinigte Königreich. Er argumentierte, dass der Kreml Großbritannien als Stellvertreter der USA sehe und die Insel daher zu den ersten Zielen gehöre, falls Russland seine Streitkräfte wiederaufbauen könnte. Robertson plädierte für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP mit US-Unterstützung oder sogar sieben Prozent ohne die USA.
Skidelsky zitiert Robertsons Warnungen vor angeblich geplanten russischen Angriffen auf Länder wie Moldawien, Armenien oder Aserbaidschan und kritisiert die Widersprüchlichkeit in Robertsons Darstellung, die für jeden ersichtlich sei: Auf der einen Seite beschreibt Roberson Russland als im vollen wirtschaftlichen Niedergang und im Scheitern begriffen sowie als militärisch inkompetent, das in der Ukraine immer nur "um Millimeter auf einmal vorrückt". Zudem stehe Russland vor dem demografischen Kollaps. Aber dann, im nächsten Atemzug, beschriebt Robertson Russland als existenzielle Bedrohung für ganz Europa.
Für Lord Skidelsky sind diese Behauptungen unvereinbar und ein Beispiel für Paranoia oder Bedrohungsinflation. Er verweist auf "Grauzonen-Krieg"-Aktivitäten wie Cyberangriffe oder Desinformation, die laut NATO angeblich die Unterscheidung zwischen Frieden und Krieg auflösen. Eine Erhöhung der Militärausgaben des Vereinigten Königreichs um vier Prozent des BIP für eine "gesamtgesellschaftliche" Verteidigung hält er bereits für absurd.
Ähnlich alarmistische Töne – so Skidelsky – habe er in einer Debatte im House of Lords vom 8. Dezember gehört, wo Peers wie Lord Coaker, Baroness Goldie und Lord Stirrup eine Mobilisierung forderten und die Gleichgültigkeit der Jugend in Bezug auf den Krieg beklagten. Das Ziel müsse sein, Großbritannien auf eine Kriegsbereitschaft und Kriegstüchtigkeit wie in Frankreich oder Deutschland zu bringen. Gerade an diesem letzten Satz kann man erkennen, wie die elitären NATO-Kriegstreiber die Propagandalügen der jeweiligen Bündnispartner übernehmen, um die einen Leute anzufeuern.
Nachfolgend eine kurze Biografie von Lord Robert Skidelsky
Geboren als Robert Jacob Alexander Skidelsky am 25. April 1939, ist er ein renommierter britischer Wirtschaftshistoriker, Autor und Life-Peer im House of Lords (seit 1991 erhoben). Er ist Emeritus Professor für Politische Ökonomie an der University of Warwick und vor allem bekannt für seine preisgekrönte dreibändige Biografie von John Maynard Keynes (1983–2000), die als das maßgebliche Werk über den Ökonomen gilt.
Skidelsky wurde in Harbin (Mandschurei) als Sohn britischer Untertanen russisch-jüdischer Herkunft geboren. Er studierte am Jesus College in Oxford und hatte akademische Positionen an der Johns Hopkins University, dem North London Polytechnic und Warwick inne. Politisch begann er bei der Labour-Partei und war später Mitbegründer der Social Democratic Party. Kurzzeitig diente er als konservativer Sprecher im House of Lords, bevor er 1999 gefeuert wurde, weil er sich gegen die "NATO-Bombardierung Jugoslawiens" ausgesprochen hatte.
Skidelskys kritischer Antimilitarismus, insbesondere zum Russland-Ukraine-Konflikt, betont Diplomatie statt Eskalation. Er argumentiert – in Anlehnung an Warnungen von Persönlichkeiten wie George Kennan –, dass die Osterweiterung der NATO russische Sicherheitsbedenken provoziert habe, und lehnt die Darstellung eines "unprovozierten" russischen Angriffskrieges ab. Er kritisiert die westliche Politik, weil sie Verhandlungen verweigert, trotz begrenzter Unterstützung auf einen totalen ukrainischen Sieg besteht und dabei eine nukleare Eskalation riskiert.
Seine Haltung basiert auf einer realistischen Sichtweise: Autokratien und Demokratien können koexistieren, ohne in einen permanenten Konflikt zu geraten, und Kriege wie der in der Ukraine resultieren teilweise aus westlicher Hybris beim Versuch, der Welt eine neoliberale Ordnung aufzuzwingen. Diese prinzipielle Ablehnung von Militarismus stimmt mit seinen früheren antiinterventionistischen Positionen überein und priorisiert Friedensverhandlungen gegenüber Regimewechseln oder unbefristeten Stellvertreterkriegen.
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