China rückte durch eine historische Meldung im internationalen Warenverkehr vor einigen Wochen zumindest kurzzeitig enger an Europa. Ein Frachter glitt in Rekordzeit durch die Nordostpassage in der Arktis an der Nordküste Russlands ‒ ohne Eisbrecher und außerhalb des Hochsommers.
Das könnte den Welthandel massiv verändern, denn bisher fahren Schiffe auf dem Weg von China nach Europa über den Suezkanal. Die Route dauert bis zu sechs Wochen. Der Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung dauert in der Regel sogar fast acht Wochen.
Die "Istanbul Bridge" hat dagegen im Oktober die Nordostpassage genommen, wie damals unter anderem ntv berichtete. Von Ostchina ging es durch das Ostchinesische Meer, das Japanische Meer und die Beringstraße hindurch. Dann fuhr das Schiff fünf Tage entlang der russischen Küste bis nach Skandinavien. Nach 20 Tagen hatte die "Istanbul Bridge" den Hafen von Felixstowe in Großbritannien erreicht. Zwei Tage später schiffte sich der Frachter in den Hamburger Hafen ein. "Insbesondere für den Transport chinesischer Güter nach Europa können Kosten eingespart werden. Hier reden wir von einer Kostenersparnis um bis zu 50 Prozent bei günstiger Wetterlage", erklärte André Wolf vom Centrum für Europäische Politik (CEP).
Für Russland stellt die Nordostpassage eine attraktive Finanzquelle dar. Präsident Wladimir Putin will die Route zu einer wichtigen Handelsroute unter strategischer Kontrolle ausbauen: Moskau will gegen Gebühr Eisbrecher als Begleitschiffe bereitstellen und Durchfahrtsgebühren einstreichen. Weite Teile der Arktis sind nach wie vor über einen Großteil des Jahres von Eis bedeckt und damit nicht schiffbar. "Bis vor wenigen Jahren war es so, dass die Route, wenn überhaupt, nur im Hochsommer zugänglich war", ergänzt Wolf. Er betont:
"Jetzt hat es ein Containerschiff im Oktober bis nach Europa geschafft. Das ist für mich ein Zeichen für eine neue Zeit, in der der arktische Schiffsverkehr im globalen Transport zunehmend wichtiger wird."
Auch Klaus-Peter Saalbach geht davon aus, dass Schifffahrtsrouten durch die Arktis stark an Bedeutung gewinnen werden. "Man rechnet damit, dass die Vereisung in den 2030er und 2040er Jahren weitgehend zurückgegangen sein wird", sagte der Experte für Sicherheits- und Geopolitik ebenfalls bei ntv. Für China wird die "Polar Silk Road", wie das Reich der Mitte die Nordostpassage nennt, attraktiv, wenn Russland seine Kontrolle über den Seeweg zumindest für die Chinesen aufweicht, wie die Berliner Zeitung berichtet. Wenn diese Bedingung gegeben ist, werden zukünftig vermehrt chinesische Containerschiffe die Nordostpassage durchqueren.
Die Europäer dagegen schauen wie so oft vom Katzentisch zu und haben sich im ideologischen Elfenbeinturm eingerichtet, während ihre Wirtschaft weiter dahinsiecht. Dominik Pietzcker und Peer M. Strömgren resümieren daher:
"Die EU und einzelne skandinavische Staaten, wie zum Beispiel Norwegen, treten als schwache Akteure, als bloße Vertreter von Symbolpolitik ohne eigenes Machtgewicht auf. Schon jetzt gehört es zu den paradoxen Folgen des Ukraine-Kriegs, dass europäische Interessen und Positionen an globaler Relevanz verlieren. Die schwindende Durchsetzungsfähigkeit lässt sich ebenfalls an der europäischen Peripherie, zu der auch die Arktis gehört, ablesen.
Im hohen Norden wiederholt sich ein historisches Muster: die Verschiebung des Mächtegleichgewichts durch die Eröffnung einer neuen Handelsroute mit globaler Ausstrahlung. Doch Europa schaut bloß zu. Welche Chancen dadurch vergeben wurden, wird sich klar zeigen, wenn es, wieder einmal, zu spät ist."
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