Nach ihrer gestrigen dreistündigen Unterredung im Weißen Haus gaben US-Präsident Donald Trump und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu eine Pressekonferenz, bei der allerdings keine Fragen zugelassen waren. Indes sparte der Trump nicht mit Superlativen, als er das Ergebnis seiner Verhandlungen mit Netanjahu schilderte. So sprach er von einem "historischen Tag für den Frieden" und einem "großen Tag für die Zivilisation".
Der US-Präsident skizzierte ein Paket möglicher Regelungen für den Gazastreifen, über das bereits eine grundsätzliche Einigung mit Israel und anderen Ländern der Region erzielt worden sei. Kernpunkte dieser Abmachungen, denen die Hamas allerdings noch zustimmen muss und in deren Zentrum ein sofortiger Waffenstillstand steht, sind:
- Sofern beide Seiten zustimmen, würden sich die israelischen Truppen auf eine "vereinbarte Linie" zurückziehen, und jegliche Kampfhandlungen müssten sofort beendet werden.
- Innerhalb von 72 Stunden nach Zustimmung durch beide Seiten sollen alle Geiseln und Gefangene ausgetauscht werden. Mit ausgetauscht werden sollen auch die Leichname von Gefangenen, die sich in Verwahrung beider Seiten befinden.
- Sobald die Regelung akzeptiert worden ist, sollen die Hilfslieferungen nach Gaza wieder umfassend aufgenommen werden. Dazu gehört auch die Wiederherstellung der Wasser- und Stromversorgung sowie die Instandsetzung der Krankenhäuser. Die Verteilung der Hilfsgüter soll von der UNO, dem Roten Halbmond und weiteren internationalen und, wie es heißt, "unabhängigen" Organisationen vorgenommen werden.
- Die Bevölkerung des Gazastreifens soll auf ihrem Territorium bleiben dürfen, einen Zwang zum Verlassen des Gebiets soll es nicht geben. Ausreise und Rückkehr nach Gaza sollen freiwillig sein.
- Die Hamas darf keine politische Rolle mehr in Gaza spielen, verliert alle Funktionen in der Verwaltung und muss alle Waffen abgeben. Sofern Hamas-Mitglieder sich zu einer "friedlichen Koexistenz" bekennen, kann ihnen Amnestie gewährt werden beziehungsweise können sie aus Gaza ausreisen.
- Während einer Übergangsperiode darf Israel den Gazastreifen weder besetzen noch annektieren. Es soll eine Übergangsregierung von palästinensischen Technokraten gebildet werden. Diesem Komitee sollen auch internationale "Experten" angehören. Dieses Leitungsgremium soll wiederum von einem "Friedensrat" kontrolliert werden, dem US-Präsident Trump vorsitzt. Als weiteres Mitglied ist beispielsweise der frühere britische Premierminister Tony Blair im Gespräch. Vorgesehen ist eine Internationale Stabilisierungstruppe (ISF), die für innere Sicherheit des Gazastreifens sorgen und palästinensische Polizisten ausbilden soll.
- Für den Wiederaufbau des weitgehend in Schutt und Asche gelegten Gazastreifens ist ein sogenannter "Trump-Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung" vorgesehen, der internationale "Investoren"anziehen und für die in Gaza eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet werden soll. Garniert werden diese Pläne mit Projekten für den "interreligiösen Austausch", die den Frieden fördern sollen. Parallel soll auch die bestehende Palästinensische Autonomiebehörde (PA) "reformiert" werden, die als Kern eines palästinensischen Staates fungieren könnte. Allerdings beharrt Netanjahu im Zusammenhang mit dem 20-Punkte-Plan darauf, dass die in Aussicht gestellten Regelungen keinen Palästinenserstaat zur Folge haben dürften.
Während Trump den Stand der Verhandlungen so darstellte, also ob die beteiligten Parteien "kurz vor einer Einigung" stünden, sagte die Hamas bisher nur zu, den Friedensplan genau zu prüfen. Parallel zu den Gesprächen und der Pressekonferenz in Washington gingen die israelischen Angriffe auf Gaza weiter. So sollen allein gestern mindestens 39 Palästinenser durch israelischen Beschuss ums Leben gekommen sein, für den heutigen Dienstag werden bereits 25 Todesopfer gemeldet.
Obwohl arabische und muslimische Länder nach Darstellung des Weißen Hauses dem "Friedensplan" bereits zugestimmt haben, bleibt mehr als fraglich, ob die Hamas ihrer politischen Entmachtung und vollständigen Demilitarisierung zustimmen wird. Bislang hatte die Organisation eine Entwaffnung immer abgelehnt. Auch andere, nicht näher bezeichnete "Terror-Organisationen" müssten einem solchen Schritt zustimmen.
Sehr vage sind dagegen die Bedingungen formuliert, die Israel erfüllen muss. Nicht nur, dass die Regierungspartner Netanjahus bislang einen Abzug israelischer Truppen aus dem Gazastreifen abgelehnt oder für einen solchen Fall mit dem Bruch der Koalition gedroht haben. Abgesehen von der erwähnten 72-Stundenregelung scheint es bisher auch keinen konkreten Zeitplan für die Umsetzung des geplanten Abkommens zu geben. Unklar scheint zudem der Überwachungsmechanismus für das geplante Abkommen zu sein. Sollte die israelische Regierung erklären, dass die palästinensische Seite ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, wäre Israel offenbar nicht mehr an die Vereinbarungen gebunden.
Noch bevor die Hamas sich zu einer Zustimmung bereit erklärt hat, entsteht zusätzlicher Druck auf die Organisation durch die Zusage Trumps an Netanjahu, im Falle einer Ablehnung seitens der Hamas den israelischen Premier – und damit Israel – weiter unterstützen zu wollen.
Während ihres bereits vierten Treffens in diesem Jahr führten die beiden Staatsmänner auch ein Telefongespräch mit dem Emir von Katar. Das Telefonat stand im Zusammenhang mit dem Luftangriff Israels vom 9. September auf Doha, wo eine Delegation der Hamas zu Gesprächen mit Israel eingetroffen war. Bei dem israelischen Angriff waren sechs Menschen ums Leben gekommen, die eigentliche Hamas-Delegation jedoch unversehrt geblieben. Telefonisch teilte Netanjahu nun dem Emir sein Bedauern über die Verletzung der Souveränität Katars mit und versicherte, diese künftig respektieren zu wollen. Katar hatte nach der Bombardierung seiner Hauptstadt von Israel eine Entschuldigung erwartet.
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