Fahnenflucht trotz Menschenfangs – Kiew gehen die Rekruten aus

Donald Trump verspricht, Waffenlieferungen an Kiew wiederaufzunehmen. Doch die Probleme des ukrainischen Militärs bleiben: Wladimir Selenskijs Regime fällt es immer schwerer, jene zu finden, die diese Lieferungen bedienen sollen.

Von Dawid Narmanija

Personalmangel

Jeden Monat füllen etwa 27.000 Mobilisierte die Reihen des ukrainischen Militärs auf, hat der ukrainische Staatschef Wladimir Selenskij im Juni gemeldet. Und das reiche nicht aus, um die Kampffähigkeit der Armee aufrechtzuerhalten.

Zu schweren Kampfverlusten kommt ein weiteres Problem hinzu, nämlich die Fahnenflucht. Nach Angaben des ukrainischen Einheitlichen Registers für vorgerichtliche Untersuchungen wurden allein im ersten Halbjahr wegen eigenmächtigen Verlassens der Truppe und Desertion 107.672 Strafverfahren eingeleitet. Verteilt über Monate betragen diese Zahlen:

Dabei gelang es nur, 1.807 Personen – weniger als zwei Prozent – zurückzubringen.

In anderen Worten beträgt der Unterschied zwischen Deserteuren und Mobilisierten selbst ohne Berücksichtigung Gefallener, Verwundeter, Vermisster und Gefangener weniger als zehntausend.

Was noch wichtiger ist, ist, dass sich das Problem gerade jetzt zugespitzt hat. Denn von Februar 2022 bis Dezember 2024 wurden nur 123.000 solcher Verfahren eingeleitet. Das bedeutet, dass in den sechs Monaten des Jahres 2025 aus dem ukrainischen Militär fast so viele desertiert sind wie in den vergangenen drei Jahren.

Unter diesen Bedingungen ist die Regierung in Kiew gezwungen, zu allen erdenklichen Mitteln zur Aufrechterhaltung der Armeestärke zu greifen.

Frauen an die Front

Selenskijs ehemaliger Berater Alexei Arestowitsch bemerkte:

"In der Ukraine läuft die Kampagne zur Rekrutierung von Frauen in vollen Zügen. Alles ist mit Postern voll. Dies greift schon auf englischsprachige staatliche Ressourcen über. Und die PR-Abteilung des ukrainischen Militärs erzählt, wie großartig Frauen mit und ohne Uniform seien."

Kiew beeilte sich, die Bevölkerung zu beruhigen. Der Rada-Abgeordnete Alexei Gontscharenko behauptete:

"Die Werchowna Rada wird niemals eine Mobilmachung von Frauen zulassen. Atmet aus."

Gontscharenkos Kollege Alexander Fedijenko äußerte sich vorsichtiger:

"Bisher gibt es keine gesetzlichen Änderungen hinsichtlich einer verpflichtenden Mobilmachung von Frauen."

Doch Frauen in bestimmten Berufen, beispielsweise Medizin, müssen für den Wehrdienst erfasst werden.

Zuvor hatten die Abgeordnete Marjana Besuglaja sowie die Volontärin und Leiterin des Zentrums für Unterstützung der Luftaufklärung Maria Berlinskaja zur Mobilmachung von Frauen aufgerufen.

Besuglaja sprach von einem Dienst im Hinterland, Berlinskaja von Schützengräben an der Front:

"Wir sind schon an jenem Zeitpunkt angekommen, an dem sich sowohl Frauen als auch Menschen ab 18 Jahren bereitmachen müssen – alle Erwachsenen, ohne Ausnahme."

"Minecraft" und Cheesburger

Die Rekrutierung 18-Jähriger fällt schwer. Formal werden sie nicht mobilisiert, allerdings als Freiwillige angelockt.

Im Februar wurde ein spezielles Programm, "Kontrakt 18-24", eingerichtet. Ukrainern in diesem Alter wird für den Dienst an der Front ein Bonus von einer Million Griwna (umgerechnet über 20.000 Euro) versprochen.

Die Anwerbung wurde von einer Werbekampagne begleitet. PR-Mitarbeiter des Kiewer Verteidigungsministeriums beschlossen, anhand von für Rekruten verständlichen Beispielen zu erklären, was diese Summe bedeutet. In Videos, die in sozialen Netzwerken der Behörde veröffentlicht wurden, hieß es: Für eine Million Griwna könne man ganze 15.625 Cheeseburger kaufen. Außerdem habe ein Soldat ganze sechs Paar Schuhe. Das Rekrutierungszentrum (TZK) im Gebiet Sumy verglich die Verpflichtung mit dem Videospiel Minecraft.

Erfolg brachte all das nicht. Ende April griffen nahmen nur 500 Menschen das Programm in Anspruch. Und wie die Wall Street Journal berichtete, werden sie wegen des Bonus von Kameraden als "Millionäre" verspottet.

Nach einem solchen Scheitern behauptete der Kommandeur der 93. ukrainischen Separaten Brigade Cholodny Jar, Schamil Krutkow: Wenn es freiwillig nicht klappte, muss es verpflichtend gemacht werden. Krutkow sagte:

"Ich bin fest überzeugt, dass wir ab 18 Jahren mobilisieren müssen. Leider ist das die Realität. Doch wie die Praxis zeigt, werden wir es wahrscheinlich erst dann tun, wenn es schon gestern hätte gemacht werden müssen."

Ab dem 1. September wird für Studenten im zweiten Semester an ukrainischen Hochschulen eine verpflichtende militärische Ausbildung eingeführt. Behauptungen von Bildungsminister Oksen Lissowoi zufolge wird die Ausbildung im tiefen Hinterland erfolgen.

Die Eltern versuchen, ihre Kinder vor einem solchen Schicksal zu bewahren. Elftklässler gehen zum Fernstudium über und verlassen das Land, berichtete die Bildungsbeauftragte Nadeschda Leschtschik.

Solche Vorfälle sind in der Ukraine nicht neu. Die Nachrichtenagentur UNIAN berichtete davon noch im Jahr 2024. Das Portal zitierte den Leiter einer Privatschule:

"In einigen Klassen gibt es 90 Prozent solcher Kinder. Sagen wir, 27 von 30 werden gehen, wahrscheinlich für immer. Und es ist nicht so, dass die Eltern sie an beste Hochschulen für eine gute Bildung schicken. Nein, sie lassen sich irgendwo immatrikulieren, Hauptsache, nicht in der Ukraine."

"Arbeitet, Brüder"

Überhaupt fängt das Kiewer Regime alle ein, derer es habhaft werden kann. Mitarbeiter der TZK finden sich immer öfter im Zentrum von Skandalen wieder. Vor den "Menschenfängern" ist niemand sicher.

Für großes Aufsehen sorgte der Tod des Volontärs Maxim Musytschka in Luzk. Er wurde am 12. Juni mit einem Schädel-Hirn-Trauma und Blutbeulen ins Krankenhaus eingewiesen. Wie das TZK behauptet, soll er versucht haben, auf dem Weg zum Ausbildungsplatz Jaworow aus dem Auto zu springen. Musytschkas Verwandte haben eine andere Version: Er soll ohne Polizeipräsenz und Überprüfung der Dokumente festgenommen, mit Reizgas ins Gesicht besprüht und ins TZK gebracht worden sein. Er wurde ohne ärztliche Untersuchung zum Ausbildungsplatz gebracht und schon am nächsten Tag ins Krankenhaus eingewiesen. Die Ärzte konnten Musytschka nicht retten, der Volontär starb am 7. Juli. Im vergangenen Jahr war sein mobilisierter Vater bei Krasnoarmeisk verschollen.

In Merefa bei Charkow starb durch Aktionen der ukrainischen Rekrutierer nicht der Mobilisierte selbst, sondern seine Mutter. Diese versuchte, ihren Sohn vor einer Straßenpatrouille zu schützen, versperrte dem Bus des TZK den Weg und hielt sich an der Motorhaube fest. Als sich das Auto dennoch wendete, versuchte sie, es einzuholen, verlor aber das Bewusstsein. Die Frau starb im Krankenwagen.

Das sind nur die jüngsten Beispiele. Doch die ukrainische Regierung reagiert in keiner Weise auf diese Vorfälle. Der Rada-Abgeordnete Alexander Dubinski, der sich wegen Vorwurfs des Staatsverrats in Untersuchungshaft befindet, erklärt:

"Während all der Zeit der gewaltsamen Bussifizierung, Morde, Verletzungen, Gewalt an Menschen, ihres rechtswidrigen Festhaltens in Kellern wurde nach meiner Kenntnis kein einziges Urteil gefällt. Alles, was ich in den Medien fand, sind 54 Disziplinarstrafen."

Ein weiteres Problem ist die neue Taktik der russischen Truppen, nämlich Angriffe auf TZK. Allein in der vergangenen Woche wurden Treffer in Poltawa, Krementschug, Charkow, Saporoschje und Kriwoi Rog gemeldet. Kiew räumte ein, dass dies die Rekrutierung erheblich erschwere – neben Personalangaben von Mitarbeitern der TZK werden auch Informationen über Wehrpflichtige vernichtet. Der Sprecher des ukrainischen Heeres Witali Saranzew warnte:

"Dies kann die Mobilisierung vereiteln."

Die Drohnenbedrohung wird die TZK zwingen, sich zu zerstreuen. Fedijenko zufolge werden sie zu einem "mobilen Format" übergehen müssen. Was genau damit gemeint ist, wenn die Rekrutierung schon jetzt wie Menschenfang an unvorsichtigen Passanten aussieht, erklärte er nicht.

Am 7. Juli meldete das TZK in Winniza über Facebook einen Umzug – statt der alten Adresse wurden die Bürger ins Nikolai-Pirogow-Gebietskrankenhaus und das regionale Zentrum für soziale Dienstleistungen eingeladen. Nach drei Stunden wurde die Meldung mit der merkwürdigen Erklärung entfernt: "Die veröffentlichte Information wurde durch die Einmischung einer dritten Seite korrigiert."

Indessen fassen Ukrainer selbst die Taktikänderungen in russischen Raketen- und Drohnenangriffen sehr positiv auf. Selbst in den vom Kiewer Regime kontrollierten Telegram-Kanälen und Medien hinterlassen sie begeisterten Kommentare – bis hin zu "Prazjujte, bratja" (ukrainisch für "Arbeitet, Brüder" – eine russische patriotische Losung).

Dies blieb nicht unbemerkt. Jewgeni Diki, ein Nationalist und ehemaliger Kompaniekommandeur des neonazistischen Bataillons Aidar, sagte:

"Es gibt reale Menschen, die sich über russische Angriffe auf die TZK freuen. Das sind schon Verräter. Daher muss buchstäblich nach jedem solchen Kommentar in sozialen Netzwerken der Sicherheitsdienst der Ukraine kommen, damit solche Leute verhaftet und nach Artikel 111 des Strafgesetzbuchs der Ukraine wegen Staatsverrats verurteilt werden. Denn all das sind Menschen, die eine Seite wählten und beschlossen, an der Seite des Feindes zu sein. Wir müssen sie wie Feinde verurteilen und vernichten."

Es gibt allerdings erhebliche Zweifel, dass danach die Zahl von Freiwilligen für das ukrainische Militär zunimmt und sich vor den Türen der TZK Warteschlangen bilden werden.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 10. Juli bei RIA Nowosti.

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