"Kein Grund anzuhalten" – NATO stellt Armee gegen Russland auf

Die ukrainische Regierung und die NATO-Staaten verhandeln über die Entsendung von 40.000 bis 200.000 westlichen Soldaten an die Front. Einige europäische Staatschefs unterstützen die Idee bereits. "RIA Nowosti" analysiert die mögliche Reaktion seitens Moskaus.

Von Michail Katkow

Pflugscharen zu Schwertern

In seiner Ansprache an die ukrainischen Bürger anlässlich des "Einigkeitstages" verkündete der ukrainische Staatschef Wladimir Selenskij, dass er das Schwert wähle. Die Kraft des Volkes bestehe in der Einigkeit, erinnerte er. "Es geht um uns, darüber, wozu wir fähig sind, wenn wir nicht irgendwelche eigenen Ambitionen wählen, sondern die Ukraine und ihre Interessen. Wenn wir statt des Shitstorms das Schwert wählen. Das ist die Einigkeit, die nötig ist, um das Recht, in Frieden zu leben, zu erringen", sagte der Anführer des Kiewer Regimes.

Parallel dazu gestand er in einem Interview für die Nachrichtenagentur Bloomberg ein, dass er keinen Sinn darin sehe, das Mobilisierungsalter von 26 auf 18 Jahre herabzusetzen, weil die Ukraine so viele Soldaten nicht bewaffnen könne. "Wozu noch mehr junge Menschen mobilisieren? Damit es noch mehr Waffenlose gibt?", erklärte Selenskij.

Der ukrainische Staatschef schlug der EU und den USA vor, mindestens 200.000 Militärangehörige zu schicken, und zwar nicht nach Kiew, sondern an die Front. Freilich geht es dabei bisher um eine Friedensmission nach der Einstellung der Kampfhandlungen.

Das Oberhaupt des Kiewer Regimes vermutet, dass die Kräfte der EU nicht ausreichen werden, weswegen die USA unbedingt an diesem Einsatz teilnehmen sollten. "Das kann nicht ohne die Vereinigten Staaten geschehen, selbst, wenn einige europäische Freunde anders denken. Es ist unmöglich, niemand wird das ohne die USA riskieren", betonte er.

Als Alternative schlug Selenskij vor, die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Dann müssten nach seiner Behauptung die westlichen Partner weder das ukrainische Militär finanzieren, noch die Leben der eigenen Soldaten an den ukrainischen Grenzen aufs Spiel setzen. "Wir haben 800.000 Soldaten. Wenn es weder einen NATO-Beitritt noch klare Sicherheitsgarantien noch ein ausländisches Kontingent gibt, werden wir eine Millionenarmee benötigen. Sie muss ernährt werden, doch wer wird das tun? Wenn Europa sagt, dass es nicht nur sich selbst, sondern auch die europäischen Werte verteidigt, lasst uns logischerweise diese Armee unterstützen – mit Waffen, Soldaten und so weiter", schlussfolgerte er.

Neue Welt

Die Regierung in Kiew verhandelt mit der NATO über die Stationierung von bis zu 50.000 ausländischer Soldaten entlang der tausende Kilometer langen Frontlinie im Rahmen einer Regulierung des Konflikts, berichtet die Zeitung Financial Times unter Verweis auf Teilnehmer der Gespräche. Diese Formation könnte im Rahmen einer Koalition unter der Führung Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande mit Unterstützung der baltischen und nordeuropäischen Staaten aufgestellt werden.

An eine Gruppierung mit einer Stärke von 200.000 Soldaten glaubt im Westen indes niemand. Wie Reuters anmerkt, wäre das die Stärke der gesamten Armee Frankreichs. In der Normandie landeten im Jahr 1944 etwa 156.000 Soldaten, erinnert die Financial Times.

Nach Ansicht des ehemaligen Assistenten des NATO-Generalsekretärs, Camille Grand, würden auch 40.000 Soldaten ausreichen. Eine solche Gruppierung sei stark genug, um nicht zu einem leichten Ziel für Russlands Streitkräfte zu werden und bei Bedarf Verstärkung in das Gebiet der Eskalation zu verlegen.

Angaben von The Wall Street Journal zufolge soll Donald Trump Interesse an diesem Projekt bekundet haben. Der Hauptbefürworter dieses Vorhabens sei aber Emmanuel Macron. Er habe bereits mit Selenskij und dem britischen Ministerpräsidenten Keir Starmer gesprochen, meldet The Telegraph. Die Einzelheiten des Gesprächs werden geheim gehalten, doch Quellen zufolge hat Starmer noch keine endgültige Zustimmung gegeben. Die Fragen nach einer potenziellen Bedrohung für diese Truppen und ob dies nicht zu einer Eskalation führen könnte, bleiben ungelöst.

Litauen ist von vornherein zu allem bereit. "Wir haben mit den Verbündeten und Partnern erörtert, wie es aussehen soll, und wir haben es mit der Ukraine erörtert. Ich habe keine Zweifel, dass die litauische Flagge dort nicht fehlen wird", behauptete Litauens Außenminister Kęstutis Budrys.

Der wahrscheinliche nächste Bundeskanzler Friedrich Merz berichtete gegenüber der Welt, dass Berlin an einer Friedensmission in der Ukraine gemäß den Normen des Völkerrechts teilnehmen müsse. Er fügte hinzu, er wünsche, dass das Mandat dazu auf Grundlage einer Übereinkunft mit Russland erteilt werde.

Ein solcher Konsens ist unwahrscheinlich. Im Dezember schloss der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow, nicht aus, dass dies ein Gegenstand von Verhandlungen sein könnte. Er rief aber dazu auf, nichts zu übereilen. Russlands Außenminister Sergei Lawrow warnte: Britische und französische "Friedenstruppen" seien vonseiten Moskaus nicht erwünscht.

"Eine Intervention von NATO-Kräften in der Ukraine birgt das Risiko einer unkontrollierten Eskalation des Konflikts und ist für Russland inakzeptabel", betonte die Pressesprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa.

Rechtzeitig

Denis Denissow, Experte der Finanzuniversität bei der Regierung Russlands, merkte in einem Gespräch mit RIA Nowosti an, dass es heute keine Gründe gebe, ernsthaft über eine Stationierung von Friedenstruppen zu diskutieren. "Erstens ist es merkwürdig, von solchen Dingen während der Kämpfe zu sprechen. Moskau führt eine erfolgreiche Offensive, der Gegner verlässt einen Ort nach dem anderen, verzichtet aber nach wie vor nicht auf die gestellten Forderungen. Unter diesen Bedingungen hat es keinen Sinn, die Operation einzustellen", erklärt er.

Denissow fügt hinzu, dass sich in der Regel die UNO mit Friedensmissionen befasse. Dazu sei allerdings eine Einwilligung seitens aller Parteien notwendig. Berücksichtige man Moskaus Vetorecht beim UN-Sicherheitsrat, sei diese Idee gar nicht umsetzbar. "Selbst wenn es erlaubt wird, die Mission im Rahmen der EU zu organisieren, stellt sich ohne Moskaus Zustimmung gleich die Frage nach der Sicherheit der Friedenstruppen. Unter solchen Bedingungen werden wohl kaum viele Europäer bereit sein, sich in den Donbass zu begeben", führt er aus.

Vorschläge bezüglich einer Friedensmission würden schon seit 2014 regelmäßig geäußert. Sie seien aber eher ein Instrument des Informationskriegs, als ein Versuch, einen nachhaltigen Waffenstillstand sicherzustellen, schlussfolgert der Experte.

Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Rossija w globalnoj politike (Russland in der globalen Politik) meint ebenfalls, dass die Gespräche über Friedenstruppen mit einer Regulierung des Konflikts nichts zu tun hätten. Vor allem sei es sinnlos, über Sicherheitsgarantien nur mit einer Konfliktpartei zu verhandeln.

"Es könnte sich um einen Nebelvorhang handeln, um einen Versuch, die Aufmerksamkeit von etwas Wichtigerem oder einem späteren Ultimatum an Russland abzulenken. Doch die zweite Variante ist von vornherein zum Scheitern verurteilt", betont der Politologe.

Indessen habe das Thema einer Friedensmission im Rahmen möglicher Abkommen über die Beendigung des Konflikts und das Erreichen eines dauerhaften Friedens zweifellos eine Existenzberechtigung. "Mehr noch, es ist ein notwendiges Element einer künftigen, uns noch nicht bekannten Konstruktion", erklärt Lukjanow.

Alle Experten sind sich sicher: Russland wird niemals einer Stationierung von Friedenstruppen aus NATO-Staaten zustimmen, weil sie de facto an dem Konflikt aufseiten der Ukraine teilnehmen. Ihr Erscheinen wird Moskau als eine alternative Form der Integration Kiews in die NATO bewerten.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 28. Januar bei RIA Nowosti.

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