Von Rainer Rupp
Die alternde britische Bulldogge hat sich in den Krieg gegen Russland verbissen und will nicht loslassen. Klugerweise will die lahme Dogge mit ihren morschen Knochen im blutigen Kampf nicht mehr selbst auftreten, sondern andere in den Ring schicken.
Das RUSI (Royal United Services Institute – Königliches Institut der Vereinten Waffengattungen) ist die älteste militärische Denkfabrik der Welt. Über Jahrhunderte hinweg gab es kein koloniales Massaker bis hin zum Völkermord, an dem RUSI im Namen Ihrer Britischen Majestät nicht mit geplant hätte.
Obwohl der aktuelle US-/NATO-Stellenvertreterkrieg noch nicht vorbei ist, bietet RUSI bereits die Plattform zur Planung des nächsten Ukraine-Kriegs gegen Russland an. Das zeigt immerhin, dass die RUSI-Analysten dazu flexibel genug sind, sich zumindest teilweise aus der US-/NATO-Scheinrealität des Mantras "Die Ukraine wird gewinnen" zu befreien.
Allerdings ruhen die Annahmen für einen, diesmal für die Ukraine erfolgreichen, zweiten Waffengang gegen Russland auf einem nicht weniger realitätsfernen Wunschdenken als im Februar 2022 zum Beginn des aktuellen Krieges, dessen katastrophale Folgen für die Ukraine unübersehbar sind. Diese werden noch jahrzehntelange Nachwirkungen für die Ukraine haben, womöglich bis zum Verlust der Staatlichkeit des Landes – ungeachtet der medienwirksamen, derzeit ablaufenden US-/NATO-ATACMS-Show.
Der nachfolgend besprochene RUSI-Artikel fordert die US-/NATO-Regierungen auf, bereits jetzt zu planen, wie man in der Ukraine einen "eingefrorenen Waffenstillstand" im Stil von Nord- und Südkorea nutzen kann, die westliche Schrumpf-Ukraine noch stärker als zuvor aufzurüsten, um sie auch in Zukunft noch besser als Rammbock gegen Russland einzusetzen.
Unausgesprochen setzt der Artikel eine Reihe von Unwahrscheinlichkeiten als Fakten voraus: z. B., dass sich Russland, das materiell den Krieg gegen die Ukraine inzwischen längst gewonnen hat, sich überhaupt auf einen "eingefrorenen Waffenstillstand" einlassen wird, zumal Moskau bereits weiß, wozu US/NATO diesen ausnutzen würde. Da westlichen und ukrainischen Beobachtern vor Ort zufolge der Zusammenbruch des ukrainischen Militärs nicht mehr fern ist, deutet statt auf einen "eingefrorenen Waffenstillstand" vieles auf eine Kapitulation mit russischem Diktatfrieden hin.
Eine weitere, unwahrscheinliche Voraussetzung, auf der der von RUSI vorgestellte Plan aufbaut, ist die Frage, ob bis dahin im prowestlichen Teil der Schrumpf-Ukraine genügen wehrfähige Soldaten nachgewachsen sind, ob diese sich ein zweites Mal als westliches Kanonenfutter verheizen lassen wollen und ob ihre Familien und die Zivilgesellschaft in der westlichen Schrumpf-Ukraine diesem Kurs zustimmen.
Überhaupt fragt man sich bei der Lektüre des RUSI-Beitrags, der am 14. November 2024 auf der Webseite des Instituts erschienen ist, ob das als Satire oder als strategische Blaupause gemeint ist. Der Titel lautet: "Overcoming the Challenges of Building a Future Force for Ukraine" (Bewältigung der Herausforderungen beim Aufbau einer zukünftigen Streitmacht für die Ukraine). Geschrieben ist das Werk von einem gewissen Andrei Sagorodnjuk, der gewiss kein Unbekannter unter den Kriegstreibern ist. Von 2019 bis 2020 war er Verteidigungsminister der Ukraine, zuvor war er Berater des ukrainischen Präsidenten Selenskij, und davor leitete er das Büro für Reformprojekte des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Aktuell ist er "Vorsitzender des Zentrums für Verteidigungsstrategien" in Kiew. Seinen RUSI-Artikel leitet er ein mit den Worten:
"Die Beendigung des Krieges und die Schaffung eines dauerhaften Friedens in der Ukraine sind ohne praktische Maßnahmen zur Abschreckung potenzieller, zukünftiger Wellen russischer Aggression nicht möglich. Die Ausarbeitung einer wirksamen Abschreckungsstrategie stellt jedoch ihre eigenen, einzigartigen Herausforderungen."
Als nächstes betont der Autor die Notwendigkeit einer erneuten Aufrüstung: "NATO 2.0 für die Ukraine". Sein Leitmotiv ist: "Robuste Abschreckung gegen künftige russische Aggressionen". Dabei unterscheidet er zwischen "Abschreckung durch Verweigerung" und "Abschreckung durch Bestrafung". Letzteres sei zwecklos, da Russland ja bekanntlich nicht einmal vor Millionenverluste an Soldaten, Ausrüstung und Ressourcen zurückschrecke.
Durch eine "Abschreckung durch Verweigerung" werde dagegen sichergestellt, dass der Gegner unfähig wird, seine Ziele zu erreichen. Das kann z. B. dadurch erreicht werden, dass durch Westsanktionen Russland auf das technische Niveau eines Staates der Dritten Welt herabsinkt oder dass die Ukraine sich mit Westhilfe zu einer Hightech-Wirtschaft mit revolutionärer Militärtechnologie verwandelt, die große Mengen Waffen herstellt.
Die Lösung dieser Aufgabe heißt laut Autor Sagorodnjuk: Ein Komplettumbau des ukrainischen Militärs, flankiert von wirtschaftlicher Resilienz, sozialer Stabilität und – (Achtung Real-Satire) und Rechtsstaatlichkeit. Denn ohne diese "Säulen" sei Frieden ohnehin nur ein kurzlebiges Intermezzo.
Die Ukraine soll laut Analyse denn auch möglichst schnell in die NATO integriert werden. Dabei wird betont, dass die Ukraine militärisch für die NATO ein "Asset" (also eine Bereicherung) und nicht eine "Liability" (Belastung) sei. Weiter wird argumentiert, dass die (Rest) Ukraine – um ihre militärische Aufgabe gegen Russland besser zu erfüllen – unbedingt eine vollwertige, moderne Luftwaffe mit einer ausreichenden Zahl von Flugzeugen haben müsse. Weil das für die Ukraine zu teuer käme, müsste das im Rahmen einer Kostenaufteilung von den anderen NATO-Mitgliedern getragen werden.
Zugleich lockt der Autor mit dem Zukunftsbild einer wirtschaftlichen und industriellen Wundermaschine namens Ukraine. Die Ukraine würde sich Südkorea zum Vorbild nehmen, wo wirtschaftlicher Aufschwung trotz dauerhafter militärischer Bedrohung verwirklicht wurde. Die "Vision" des Autors: Eine stabile Wirtschaft, die langfristig in der Lage ist, eine starke Militärmaschine zu finanzieren und gleichzeitig internationale Investoren anzuziehen.
In dem RUSI-Artikel lobt der Autor die ukrainische Rüstungsindustrie in den Himmel. Im Gegensatz zu den schwerfälligen westlichen Verteidigungsindustrien sei diese "agil", arbeite rund um die Uhr und kenne keine bürokratischen Bremsklötze. Die Ukraine könne so Kosten senken und die Produktion beschleunigen.
Zu guter Letzt kann es sich der Autor nicht verkneifen, US/NATO für die aktuellen militärischen Probleme der Ukraine verantwortlich zu machen. In einer langen Litanei listet er die Versäumnisse und die Schwächen der bisherigen NATO-Hilfen auf.
Mehr dazu in Teil II., das am Sonntag veröffentlicht wird.
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