Lawrow: NATO-Strategie im Pazifik ein "Weg ins Nichts"

Auf einem internationalen Symposium äußert Sergei Lawrow scharfe Kritik an den NATO-Plänen für "Abwehrkämpfe" im asiatisch-pazifischen Raum. Er warnt vor einem selbstmörderischen Abenteuer Europas gegen Russland und fordert eine Rückbesinnung auf gleichberechtigte Zusammenarbeit.

Die NATO-Staaten haben beschlossen, im asiatisch-pazifischen Raum sogenannte Verteidigungskriege fernab der eigenen Territorien zu führen. Dies sei ein "Weg ins Nichts", erklärt der russische Außenminister Sergei Lawrow beim internationalen Symposium "Die Zukunft gestalten" in Moskau.

"Liest man die NATO-Erklärung, so stellt man fest, dass dieses 'defensive' Bündnis zum Schutz des Territoriums seiner Mitglieder diese 'Abwehrkämpfe' im Südchinesischen Meer und in der Straße von Taiwan, tausend Meilen von seinen Küsten entfernt, führen will."

Beim NATO-Gipfel im Juli in Washington hätten die Staats- und Regierungschefs ihren Anspruch auf eine Führungsrolle des Bündnisses nicht nur im euro-atlantischen, sondern auch im asiatisch-pazifischen Raum bekräftigt. Der Krieg gegen Russland in Europa reiche den Westlern, vor allem den angelsächsischen Staaten, nicht, kommentierte Lawrow.

Ferner verlegen die Amerikaner gezielt NATO-Militärstrukturen in den Pazifik, so Lawrow. Sie machten keinen Hehl aus ihrer Absicht, den Druck auf China, Nordkorea und Russland zu erhöhen. Gleichzeitig werde die ASEAN-zentrierte regionale Sicherheits- und Kooperationsarchitektur in Südostasien unterminiert. Diese wurde über Jahrzehnte auf der Grundlage von Gleichberechtigung, gegenseitiger Interessenberücksichtigung und Konsens aufgebaut.

Weiter wies der russische Außenminister auf die Prozesse hin, in denen die USA und ihre Verbündeten anstelle der um ASEAN herum geschaffenen offenen Mechanismen "sogenannte kleine geometrische Allianzen wie AUKUS, QUAD und verschiedene Gruppen mit Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland" schaffen:

"Zu diesem Zweck versuchen sie auch, einige ASEAN-Mitglieder zu gewinnen, um diese Assoziation zu zerschlagen und die Konkurrenz zwischen den blockorientierten prowestlichen Konfigurationen auszuschalten."

Darüber hinaus bereiten die Angelsachsen Europa auf ein selbstmörderisches Abenteuer in Form eines direkten bewaffneten Konflikts mit Russland vor, sollte das Regime von Wladimir Selenskij scheitern, so Lawrow:

"Heute setzen die Angelsachsen darauf, unser Land mit den Händen des Kiewer Regimes zu besiegen, ebenso wie Hitler die meisten europäischen Länder unter die nationalsozialistischen Fahnen versammelte."

Überdies verwies der Außenminister auf die Aussage des offiziellen Vertreters des UNO-Generalsekretärs António Guterres bei einer Pressekonferenz, wonach die Berichte über die militärischen Pläne Russlands und Nordkoreas beim Generalsekretär "große Besorgnis" auslösten, da sie zu einer Internationalisierung der Ukraine-Krise führen könnten. Guterres habe sehr spät auf die Gefahr einer Internationalisierung des Konflikts in der Ukraine reagiert.

Lawrow merkte an, dass der UN-Generalsekretär fast drei Jahre, nachdem der Westen die Ukraine auf den Krieg vorbereitet und diesen Krieg direkt vor Ort geführt hatte, an die Internationalisierung erinnert habe. Er fügte hinzu, dass die Fakten schon lange und oft genannt worden seien, aber dass sich die Führung des UN-Sekretariats damals nicht um die Internationalisierung gekümmert habe.

Guterres solle seinen Sprecher Stéphane Dujarric auffordern, die Auslegung des Völkerrechts durch das Sekretariat der Weltorganisation im Ukraine-Konflikt klarer darzustellen, so Lawrow. Er erklärte, er habe von Dujarric keinen einzigen Kommentar gehört, der sich mit der gesetzlichen Vernichtung der russischen Sprache in allen Lebensbereichen in der Ukraine befasse:

"Der erste Artikel der UN-Charta – den kann man nicht ignorieren, wenn man dieses Dokument ernsthaft liest – sagt, dass alle die Menschenrechte achten müssen, unabhängig von Rasse, Geschlecht, Sprache und Religion. Auch das ist Teil der UN-Charta, auf die der Generalsekretär im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt verweist."

Lawrow forderte die Experten des Symposiums auf, darüber nachzudenken, wann der Westen sein Gewissen wiederentdecken könnte und was die Länder der globalen Mehrheit tun sollten, um den Prozess des "Erwachens" ihrer westlichen Kollegen zu beschleunigen. Oder wie die westlichen Staaten dazu gebracht werden könnten, sich auf der Weltbühne anständig zu benehmen:

"Und wann werden die vielen klugen Köpfe im Westen begreifen, dass neokoloniale Ambitionen schädlich sind, auch für den Westen selbst, dass Arroganz seinen Ruf zerstört?"

Er erinnerte an den Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, der gesagt habe, Europa sei ein blühender Garten mit einem Dschungel drum herum. Er zitierte auch US-Außenminister Antony Blinken, der gesagt habe, dass alle, die nicht am Tisch der Demokratie säßen, auf der Speisekarte stünden. Er sei entsetzt gewesen, als er es gelesen habe, meinte Lawrow.

Des Weiteren betonte er, dass die Länder des eurasischen Kontinents ihr Schicksal ohne Einmischung von außen selbst bestimmen und ihre Probleme so lösen sollten, dass das große Eurasien zur Schaffung einer stabilen multipolaren Welt beiträgt. Er wies außerdem darauf hin, dass "dummdreiste Vorschläge für Angriffe mit westlichen Langstreckensystemen tief in russisches Gebiet unterbreitet werden":

"Ich werde nicht über die Sinnlosigkeit der Idee sprechen, bis zum Sieg gegen Russland zu kämpfen. Zumindest senkt dies die Chancen potenzieller Teilnehmer an einem solchen Krieg auf eine Rolle in der multipolaren Zukunft erheblich."

Er erläuterte, dass im Juli unter seinem Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen offene Debatten über die Prinzipien des Zusammenlebens der Staaten in einer multipolaren Welt stattgefunden hätten.

Sie hätten eine Reihe konkreter Maßnahmen zur Wiederherstellung des Vertrauens und zur Stabilisierung der internationalen Lage zur Diskussion gestellt. Sie würden diesen Dialog auch auf anderen multilateralen Plattformen fortsetzen, unter anderem noch in diesem Monat in Rio de Janeiro beim G20-Gipfel. Bislang sei der Dialog auf offizieller zwischenstaatlicher Ebene jedoch nur schleppend vorangekommen.

"Der Westen versucht weiterhin, sich einseitige Vorteile zu verschaffen, und schreckt dabei vor keiner Methode zurück, einschließlich ‒ und ich betone dies mit Bedauern ‒ der Privatisierung der Sekretariate internationaler Organisationen."

Er bedauerte auch, dass die derzeitigen Führungseliten vieler europäischer Länder offensichtlich keine Perspektive in einer multipolaren Welt sähen und ihr Heil "beim Hegemon in Übersee" suchten:

"Die deutsche Regierung hat sich schändlicherweise mit der demütigenden Zerstörung der 'Nord Stream'-Pipelines abgefunden, die den grundlegenden Interessen der deutschen Wirtschaft und des deutschen Volkes schadet."

Lawrow sagte, Berlin habe die Entscheidung der USA, amerikanische Mittelstreckenraketen auf deutschem Territorium zu stationieren, nun begrüßt. Bundeskanzler Olaf Scholz habe die Entscheidung schlicht als gut bezeichnet.

Wie es heißt, sei die Kehrseite dieses "aggressiven Kampfes gegen Unliebsame", so der russische Außenminister, dass der Westen selbst den Ast absäge, auf dem er sitze ‒ er zerstöre das globale System der Arbeitsteilung, das er seit Anfang der 1990er Jahre weltweit propagiert habe:

"In den westlichen Hauptstädten hat man über Nacht Prinzipien wie fairen Wettbewerb, die Unverletzlichkeit des Eigentums, die Unschuldsvermutung und vieles mehr vergessen."

So sei beispielsweise der Dollar, der jahrzehntelang als gemeinsames Gut der gesamten Menschheit gepriesen worden sei, in eine Waffe zur Unterdrückung und Bestrafung geopolitischer Konkurrenten und ungehorsamer Staaten verwandelt worden. Damit hätten sie den Dollar als Weltreservewährung und internationales Zahlungsmittel praktisch abgeschafft und das System der Globalisierung, das sie jahrelang gefördert hätten, selbst demontiert.

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