BRICS wird Nordamerikas Getreide-Hegemonie zerstören

Während des laufenden BRICS-Gipfeltreffens in Kasan wird die Gründung einer BRICS-Getreidebörse besprochen. Gegenwärtig liegen die Steuerhebel für Getreidepreise bei den USA und Frankreich. Es ist an der Zeit, sich von dieser unnötigen Abhängigkeit zu befreien.

Von Olga Samofalowa

Russlands Präsident Wladimir Putin hat während des BRICS-Gipfeltreffens vorgeschlagen, die Gründung einer Getreidebörse zu besprechen, die sich mit der Zeit in eine vollwertige Warenbörse verwandeln könnte.

Dem russischen Staatschef zufolge werde die Eröffnung einer BRICS-Getreidebörse helfen, gerechte Indikatoren für Getreidepreise auf internationaler Ebene zu bilden, "nationale Märkte vor negativen äußeren Einwirkungen, Spekulationen und Versuchen, ein künstliches Lebensmitteldefizit zu provozieren, zu schützen."

Aus historischen Gründen werden Marktpreise für Getreide an der Warenbörse von Chicago (Chicago Mercantile Exchange, CME) gebildet. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die USA zum größten Lieferanten von Getreide und Mais, deswegen begann der Handel mit Getreidekontrakten gerade auf einer US-amerikanischen Börse. Europa und Russland, die nach dem Krieg am Boden zerstört waren, konnten natürlich nicht mit den amerikanischen Landwirten konkurrieren.

In den 1980er Jahren begann der Getreidehandel auch an der französischen Warenbörse MATIF, weil Frankreich zum führenden Produzenten in Europa aufstieg.

Seitdem hat sich die globale Situation allerdings erheblich verändert. Nach Angaben der Union der Getreideexporteure, werden die BRICS, einschließlich der neuen Mitglieder, ab dem Jahr 2024 insgesamt 1,24 Milliarden Tonnen Getreide pro Jahr ernten, was mit 44 Prozent fast die Hälfte der weltweiten Produktion darstellt. Und ihr Verbrauch wird ungefähr die gleiche Menge betragen - 1,23 Milliarden Tonnen oder 44 Prozent der Weltproduktion.  Ursprünglich bestanden die BRICS aus fünf Staaten: Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Seit dem 1. Januar 2024 traten der Vereinigung außerdem Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Iran und Äthiopien bei.

Natürlich gehören die USA gemessen am Produktionsvolumen ebenfalls zu den Top-5 Getreideproduzenten. Mit 450 Millionen Tonnen belegen sie den zweiten Platz. Doch die restlichen Angehörigen der Top-5 sind BRICS-Staaten: China belegt den ersten Platz, Indien den dritten, Russland den vierten und Brasilien den fünften. Zusammengerechnet übersteigt ihre Getreideproduktion die der USA um ein Dreifaches. Frankreich belegt sogar den letzten Platz der Top-10 und liegt gemessen am Produktionsvolumen sogar hinter Russland zurück.

Heute erscheint es viel gerechter, wenn die BRICS-Staaten auf dem weltweiten Getreidemarkt "den Ton angeben" würden.

"Historisch passierte durch die Häfen Europas und der USA eine große Menge an Getreide, für die ein Preis angesetzt werden musste. Deswegen wurden die Preise an der Börse von Chicago gebildet. Diese Situation stellte alle zufrieden, weil Handelsregeln, darunter für Lieferungen und Zahlungen, ausgearbeitet wurden. Doch nun, als erhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Hauptspielern des Weltmarkts vorliegen, darunter im Hinblick auf Zahlungen, ermöglicht der Aufbau einer eigenen Finanzinfrastruktur, eine alternative Börse zu organisieren", sagt Jekaterina Nowikowa, Dozentin des Lehrstuhls für Wirtschaftstheorie der Russischen Plechanow-Wirtschaftsuniversität.

"Die Idee der Gründung einer Getreidebörse für BRICS-Länder ist durchaus sinnvoll: je mehr Möglichkeiten es gibt, die Preise ohne Einfluss westlicher Finanzinstitute zu bestimmen, desto mehr Möglichkeiten werden unsere Anbauer haben, ihre Produktion gewinnbringend zu veräußern. Ein bedeutender Vorteil liegt darin, dass im Rahmen der Getreide- und Warenbörse der BRICS auch ein gemeinsames Zahlungssystem erschaffen wird, das sich nicht auf den US-Dollar stützen wird", erklärt Natalja Sgurskaja, Geschäftsführerin des Getreidelieferunternehmens Semliza.

Nowikowa stimmt der Ansicht zu, dass eine neue Börse helfen könnte, gerechtere Getreidepreise zu bilden, die die Interessen aller Marktteilnehmer berücksichtigen. "Darüber hinaus könnte der Preis für den inneren Markt der BRICS mit einem kleinen Rabatt, und für den äußeren Markt nach Marktpreisen gebildet werden", so Nowikowa.

"Das neue System wird die größten Getreideproduzenten unabhängiger vom westlichen Block machen, der mithilfe von Finanzinstrumenten den Warenpreis künstlich in die Höhe oder in die Tiefe treiben und damit zahlreiche Wirtschaften aus dem Gleichgewicht bringen kann", fügt Nowikowa hinzu.

Wie genau können die USA die Preise drücken und den Weltmarkt des Getreides beeinflussen? Beispielsweise kann das US-Wirtschaftsministerium eine niedrigere Ernte des russischen Getreides prognostizieren, ohne dass dafür gewichtige Gründe vorliegen. So untertrieb die Behörde im Jahr 2021 ihre Prognose unbegründet gleich um 12,5 Millionen Tonnen Getreide für Russland. Das führte sofort zu einem Anstieg der Weltmarktpreise, und der Getreidepreis in den Schwarzmeerhäfen stieg um 20 Dollar.

Sollten die USA es wünschen, können sie damit über einen rapiden Preisanstieg ein künstliches Getreidedefizit auf dem Weltmarkt provozieren und ärmere Länder ohne Brot und Russland ohne zusätzliche Exporteinkünfte lassen.

Wie kann ein weltweiter Anstieg von Getreidepreisen zu einem Katastrophenszenario führen? Wenn die Exportpreise schnell ansteigen, wird ein Marktüberschuss innerhalb Russlands erschaffen. Dann sollten entweder die Preise im russischen Inland steigen, oder die Exporteure liefern sämtliches Getreide ins Ausland, was ein physisches Defizit auf dem Binnenmarkt verursachen kann. In solchen Situationen verhängen Regierungen in der Regel per Dekret ein Exportverbot. Somit werden die Preise und der Verbrauch im Inland stabil gehalten und die Krise bekämpft. Doch selbstverständlich bringt dies Russland um die Einnahmen aus dem Getreideverkauf, die einen erheblichen Teil der Haushaltseinnahmen ausmachen. Beispielsweise hätte Russlands Staatshaushalt im Jahr 2024 durch Ausfuhrzölle für Getreide und Ölpflanzen 215 Milliarden Rubel (umgerechnet 2,06 Milliarden Euro) erhalten sollen.

Nicht zu vergessen sind die Finanzsanktionen, die den Handel, darunter den Getreidehandel, beeinträchtigen. "Wegen der Sanktionen können Waren aus bestimmten Ländern überhaupt nicht zum Handel an der Börse zugelassen werden", führt Nowikowa aus.

"In praktischer Hinsicht kann die neue Börse Termingeschäfte ausschließen, um Spekulationen zu vermeiden, und ausschließlich Teilnehmer der BRICS zum Handeln zulassen. Sollte es in Russland eine schlechte Ernte geben, wird es Waren aus eigenen Vorräten an die Börse stellen können, und bei einer neuen Rekordernte die Situation umkehren und die eigenen Vorräte aufstocken, um die Getreidepreise an der BRICS-Börse zu stabilisieren. Doch zuallererst müssen Probleme mit Auslandszahlungen und danach mit Logistik und Versicherung von Lieferungen gelöst werden", sagt Wladimir Tschernow, Analyst bei Freedom Finance Global.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad am 24. Oktober.

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