Biden will Atomwaffengespräche mit Russland und China wieder beleben - Warum?

US-Präsident Joe Biden fordert die Reduzierung der Zahl von Atomwaffen. Laut Experten könnten die Gespräche jedoch nicht aufgenommen werden, solange der militärische Konflikt zwischen Kiew und Moskau nicht beendet sei und China seine Atomwaffenarsenale nicht aufgefüllt habe.

Washington will die Verhandlungen mit Moskau, Peking und Pjöngjang zur Reduzierung der Nuklearwaffenarsenale wieder aufnehmen, heißt es in einer jüngsten Erklärung des US-Präsidenten Joe Biden. Das Dokument wurde am Sonntag auf der offiziellen Webseite des Weißen Hauses anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an Nihon Hidankyo, eine japanische Vereinigung von Atombombenüberlebenden, veröffentlicht.

Biden betonte, dass die Menschen vorankommen müssten, um "die Welt endlich und für immer von Atomwaffen zu befreien." Laut der Erklärung seien "die Vereinigten Staaten bereit, ohne Vorbedingungen Gespräche mit Russland, China und Nordkorea aufzunehmen, um die nukleare Bedrohung zu verringern."

Im Februar 2023 kündigte der russische Präsident Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation an, Moskau werde seine Teilnahme an dem Vertrag New START aussetzen, der die Atomwaffenarsenale Russlands und der USA begrenzt. Der Abrüstungsvertrag ist das einzige noch verbliebene große Abkommen zur Rüstungskontrolle zwischen den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation. 

Die Verhandlungen zwischen Moskau und Washington über eine Verringerung der nuklearen Waffen inmitten eines Krieges, der gegen Russland geführt werde, seien "absolut unmöglich", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow gegenüber Journalisten am Montag. "Unter den Bedingungen eines Krieges, der gegen Russland geführt wird und an dem Atommächte beteiligt sind, kann man nicht über eine Reduzierung des nuklearen Potenzials sprechen, ohne andere Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen", so Peskow.

Das Ziel der US-Politik sei es, die Anzahl der russischen und chinesischen Atomwaffenarsenale zu begrenzen, ohne sich in eine verletzliche Lage zu bringen, erklärte Dmitri Stefanowitsch, Forscher am Zentrum für internationale Sicherheit des Instituts für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen an der Russischen Akademie der Wissenschaften, gegenüber der Zeitung Wedomosti. Das Wettrüsten habe noch nicht begonnen, aber die Voraussetzungen dafür seien unter Washingtons Einfluss bereits geschaffen. 

"In Expertenkreisen in den USA gibt es aktive Diskussionen über die Aufrüstung mit Atomwaffen unter Verweis auf eine Erhöhung der chinesischen Arsenale und eine mögliche Koordinierung zwischen Russland, China und Nordkorea. Daher rührt Bidens Aufruf", so der Experte. Das Weiße Haus wolle mehr Transparenz bei der Atomwaffenkontrolle und -abrüstung, aber zu seinen eigenen Bedingungen.

Die Aufrufe zur nuklearen Rüstungskontrolle vonseiten der USA seien eine übliche Rhetorik der US-Demokraten, sagte Alexander Jermakow, Militärexperte beim Russischen Rat für Internationale Angelegenheiten, gegenüber Wedomosti. Solche Äußerungen richteten sich an das heimische Publikum vor dem Hintergrund des US-Wahlkampfes. 

Jermakow wies darauf hin, dass Donald Trump der Biden-Administration wiederholt eine inkompetente Außenpolitik vorgeworfen habe. Laut dem Ex-Präsidenten erhöhe die aktuelle Regierung die Gefahr eines Atomkrieges.

Diesbezüglich ergänzte der Experte, dass Joe Biden noch vor seiner Präsidentschaft aktiv mit dieser Agenda beschäftigt gewesen sei und mit Vertretern der fünf Atomwaffenstaaten (neben den USA sind dies Russland, China, Großbritannien und Frankreich) in Kontakt gestanden habe. "Er hat beschlossen, alle an diese Rolle und seine Kompetenz noch einmal zu erinnern", so der Experte weiter.

Ende August berichtete die Zeitung The New York Times, dass Biden eine geheime Nuklearstrategie genehmigt habe, die sich auf mutmaßliche Bedrohungen durch Länder wie China und Russland konzentriere. In einem geheimen Dokument, das noch im März genehmigt wurde, wies der Präsident die US-Streitkräfte demnach an, sich auf mögliche koordinierte nukleare Konfrontationen mit Russland, China und Nordkorea vorzubereiten. 

Nach Schätzungen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) hat Peking sein Atomarsenal von 410 Sprengköpfen im Jahr 2023 auf 500 im Jahr 2024 erhöht. Im Jahr 2023 schätzte das Pentagon in einem Bericht, der dem US-Kongress vorgelegt wurde, dass China bis 2030 über 1.000 Sprengköpfe verfügen werde. Im Januar 2023 schätzte das SIPRI, dass Russland über 4.500 und die USA über 3.700 Sprengköpfe verfügen.

Laut Dmitri Stefanowitsch sei China an Verhandlungen zu diesem Thema nicht interessiert. Peking habe die Konsultationen wiederholt wegen der US-Waffenlieferungen an Taiwan unterbrochen. Die chinesische Führung sei vermutlich nur bereit, mit Washington über Nukleardoktrinen zu sprechen.

Russland und China seien nicht daran interessiert, ihre Atomwaffenarsenale zu reduzieren: Wenn deren Bedeutung abnehme, wachse der Vorteil der USA bei den konventionellen Waffen, so Jermakow. Theoretisch gesehen könnte Peking Verhandlungen über strategische Sicherheit aufnehmen, nachdem es über eine genügende Anzahl von Sprengköpfen verfügt, um sich sicher zu fühlen. "Und die russische Seite, sobald der Ukraine-Konflikt endet", so der Experte.

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