Von Andrei Koz
Drei Probleme des ukrainischen Militärs
Im Gebiet Kursk sind ukrainische Truppen vor allem in den Kreisen Korenewo und Gluschkowo aktiv. Doch ihre Angriffe bleiben erfolglos – sie stoßen auf den heftigen Widerstand des russischen Truppenverbands, der von Luftstreitkräften, Artillerie und Drohnenpiloten unterstützt wird. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums verliert Kiew hier im Durchschnitt über 300 Mann pro Tag.
Am 10. September machte Moskau einen Gegenzug. Verbände von Fallschirmjägern und der Marineinfanterie, die durch andere Einheiten verstärkt wurden, griffen die linke Flanke der ins Gebiet Kursk eingedrungenen ukrainischen Gruppierung an. Innerhalb von zwei Tagen wurden zehn Ortschaften befreit: Apanassowka, Bjachowo, Wischnewka, Wiktorowka, Wnesapnoje, Gordejewka, Krasnooktjabrskoje, Obuchowka, Snagost und 10. Oktjabr.
Das ist der erste große Gegenangriff der russischen Armee seit dem 7. August. Die Vorkräfte erweitern stetig die Kontrollzone. Doch von einem Zusammenbruch der ukrainischen Truppen zu sprechen, ist noch zu früh. Im Gebiet Kursk gibt es immer noch viele von ihnen, sie graben sich ein und haben nicht vor, die besetzten Stellungen ohne Weiteres aufzugeben. Doch Kiews Militär hat reichlich Probleme.
Erstens gibt es über dem Gebiet Kursk keinen Internetzugang über Starlink, mit dessen Hilfe die gesamte Leitung der ukrainischen Armee funktioniert. In zweieinhalb Jahren hat sich das ukrainische Militär daran sehr gewöhnt und fühlt sich nun ohne extrem unbequem. Dies wirkt sich auf die Koordinierung der Truppen, Geschwindigkeit der Entscheidungen und Lagekenntnis aus. Zweitens ist der Nachschub von Verstärkungen, Technik und Munition aus der Ukraine durch ständige Angriffe der russischen Luftstreitkräfte gegen ukrainische Aufmarschplätze im Gebiet Sumy erschwert.
Schließlich lassen Ausbildung und Motivation der ukrainischen Verbände in der zweiten und dritten Staffel der Invasionsgruppierung viel zu wünschen übrig. Es sind hauptsächlich Zivilisten von gestern, die einen zwei- bis dreimonatigen Ausbildungskurs durchlaufen hatten und von Kiew in die Hölle geworfen wurden. Ihnen stehen erfahrene Kämpfer gegenüber, die durch zweieinhalb Jahre Krieg gestählt wurden.
Kampf um die Städte
Das wichtigste Ergebnis der russischen Sommerkampagne im ehemaligen Gebiet Donezk der Ukraine ist das rapide Vorrücken des Truppenverbands Zentrum am Frontabschnitt Pokrowsk und das Erreichen des Westufers des Flusses Woltschja und des Karlowka-Stausees. An diesen natürlichen Grenzen versuchte das ukrainische Militär, eine Verteidigungslinie aufzubauen, schaffte es aber aus Zeitgründen nicht. Russische Vorkräfte eroberten einen ausgedehnten Brückenkopf und nahmen Nowogrodowka in wenigen Tagen ein. Diese Stadt mit einer Vorkriegsbevölkerung von 15.000 Einwohnern gab das ukrainische Militär praktisch kampflos auf.
Der Kampf um große Städte im Westen der Donezker Volksrepublik (DVR) hat begonnen. Nördlich von Nowogrodowka liegen Mirnograd und Pokrowsk, die vor dem Krieg jeweils 6.000 und 25.000 Einwohner hatten. Pokrowsk ist für Kiews Truppen besonders wichtig – über diese Stadt wurden jahrelang Technik und Personal aus dem von Kiew kontrollierten Teil des Gebiets Saporoschje in die DVR zusammengezogen. Das ukrainische Militär hat offensichtlich nicht vor, diesen logistischen Schlüsselknoten kampflos aufzugeben und verlegt dorthin eilig Reserven. Gegenwärtig verlaufen die Kämpfe wenige Kilometer östlich vom Stadtrand.
In sechs Kilometern südwestlich von Nowogrodowka liegt die Stadt Selidowo, die vor dem Krieg 24.000 Einwohner zählte. Es ist das Zentrum des ukrainischen befestigten Raums entlang der Linie Pokrowsk–Selidowo–Kurachowo. Die Befreiung von Selidowo birgt für Kiew die Gefahr eines Zusammenbruchs der Front an diesem Abschnitt und wird russischen Kräften ermöglichen, der ukrainischen Gruppierung in die Flanken zu fallen. Wie auch Pokrowsk wurde diese Stadt vom ukrainischen Militär auf eine lange Verteidigung vorbereitet. Die Sturmeinheiten des russischen Truppenverbands Zentrum erreichten den Stadtrand, allerdings hat sich ihr weiterer Vormarsch erheblich verlangsamt.
Weiter südlich rückten russische Truppen in die 10.000-Einwohner-Stadt Ukrainsk ein und drängen Kiews Militär täglich zurück. Diese Stadt wurde für den Betrieb des Bergwerks "Ukraine" aufgebaut, das 1,8 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr förderte. Hinter ihr liegt die 12.000-Einwohner-Stadt Gornjak, die für Kiews Wirtschaft nicht weniger wichtig ist. Von dort aus eröffnet sich ein direkter Weg auf die Stadt Kurachowo, die vor dem Krieg 19.000 Bewohner zählte.
Aus dem Osten, von Georgijewka und Maximilianowka, rücken Einheiten des Truppenverbands Süd nach Kurachowo vor. Sie werden von Kräften unterstützt, die zuvor an Kämpfen um die Stadt Krasnogorowka mit einer Bevölkerung von 15.000 Einwohnern vor dem Krieg beteiligt waren. Die vollständige Befreiung von Krasnogorowka meldete Russlands Verteidigungsministerium Anfang September. Somit hörte der große befestigte Raum des ukrainischen Militärs, der Awdejewka, Peski, Krasnogorowka und Marjinka umfasste und die Hauptstadt der DVR aus dem Westen bedrohte, auf, zu existieren.
Einkesseln und blockieren
Am Frontabschnitt Donezk Süd gib es beträchtliche Fortschritte im Kampf um die Stadt Ugledar, die sich für die russische Armee zuvor lange als harte Nuss erwiesen hatte. Die Stadt steht auf einer Anhöhe, von der das Umland hervorragend sichtbar ist. Frontangriffe brachten keinen Erfolg, deswegen wurde die Taktik geändert – die Stadt wird umzingelt, um die Garnison von der Versorgung abzuschneiden.
Östlich und nordöstlich von Ugledar haben Einheiten des russischen Truppenverbands Süd in erbitterten Kämpfen das Dorf Wodjanoje eingenommen und stürmen inzwischen die Bergwerke Juschnodonbasskaja Nummer 1 und Juschnodonbasskaja Nummer 3. Weiter westlich befreite der Truppenverband Ost die Ortschaft Pretschistowka an der Straße nach Bogojawlenka. Über diese Straße wird aus Kurachowo über Uspenowka die Garnison von Ugledar versorgt.
Sobald Bogojawlenka eingenommen wird, wird die ukrainische Garnison von Ugledar eingekesselt. Die herbstliche Schlammperiode wird ihre Versorgung über Felder verhindern, und der Laubfall wird ihnen ein Verstecken in den Wäldern unmöglich machen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Ugledars Garnison einen Durchbruch versuchen wird, solange sich der Ring nicht vollständig geschlossen hat. Russlands Kommando schaffte für das ukrainische Militär das gleiche Dilemma wie in Bachmut. Egal, welche Variante die ukrainischen Generäle wählen, wird der Verlust von Ugledar Kiew die Kontrolle über die letzte große Stadt am Frontabschnitt Donezk Süd entziehen.
Nach offiziellen Angaben des russischen Verteidigungsministeriums hat das ukrainische Militär in der vergangenen Woche 16.960 Soldaten verloren. In diesem Zeitraum befreiten Russlands Streitkräfte 18 Ortschaften, davon zehn im Gebiet Kursk.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 16. September bei RIA Nowosti.
Andrei Koz ist ein Kriegsberichterstatter der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.
Mehr zum Thema: "Mehrere Kessel" – Was dem ukrainischen Militär im Donbass droht