Der ehemalige britische Premier Boris Johnson erklärte am Wochenende gegenüber der Süddeutschen Zeitung am Rande einer Konferenz in Kiew: "Wir brauchen definitiv auch eine Taurus-Lieferung, definitiv." Er verstehe das Zögern aus der deutschen Geschichte, aber es gehe jetzt "um eine klare Haltung in einer entscheidenden Frage".
Die Süddeutsche konstruiert in ihrer Berichterstattung daraus ein Dilemma für Olaf Scholz ‒ schließlich habe er zugesagt, im Einklang mit den USA zu handeln, die nun auf dem Weg zu einer Freigabe von Storm Shadow und ATACMS seien.
Im Vorlauf zum Besuch des aktuellen britischen Ministerpräsidenten Keir Starmer in Washington hatten mehrere britische Medien erwartet, dass bei dieser Gelegenheit die USA und Großbritannien gemeinsam erklären würden, die Ukraine dürfe Raketen mit großer Reichweite auch gegen russisches Gebiet in den Grenzen von 2013 einsetzen. Auch US-Außenminister Antony Blinken hatte Andeutungen in diese Richtung gemacht.
Nach der Ansage des russischen Präsidenten Wladimir Putin, ein Einsatz dieser Raketen werde als Kriegsbeteiligung gewertet, weil die Ukraine sie gar nicht selbst nutzen könne, kam aus dem Pentagon die Aussage, es gebe keine Pläne in diese Richtung. Mittlerweile hat auch die britische Times bestätigt, dass die Bedienung aller Langstreckenraketen durch NATO-Personal erfolgen muss.
Die britischen Konservativen bestehen immer noch auf einem Einsatz der britischen Storm-Shadow-Raketen und erklärten, "jede weitere Verzögerung" werde "Präsident Putin ermutigen".
Auch der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter bleibt trotz der klaren russischen Aussage ungerührt bei seiner Forderung nach einer Lieferung der Taurus-Raketen, deren Reichweite nur von den US-JASSM erreicht wird, die bisher zumindest offiziell ebenfalls nicht geliefert wurden. Das Gespräch zwischen mehreren hohen deutschen Luftwaffenoffizieren, das Anfang des Jahres öffentlich wurde, hat jedoch bestätigt, dass auch im Fall der Taurus die Beteiligung deutschen Bedienpersonals unverzichtbar wäre.
Boris Johnson bleibt mit seiner Forderung an Bundeskanzler Scholz der Rolle treu, die er bereits zu Beginn des Jahres 2022 gespielt hat, als er persönlich die Friedensverhandlungen in Istanbul, die kurz vor einem erfolgreichen Abschluss standen, abbrechen ließ. In den mehr als zwei Jahren seit seiner Intervention haben Hunderttausende ihr Leben verloren.
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