Russen als Menschen gezeigt – Filmfestival entfernt Doku "Russen im Krieg"

Eklat auf dem Filmfestival in Toronto: Die Programmdirektion hat die Vorführung der Dokumentation "Russians at war" gleich an drei Festivaltagen gecancelt. Grund waren Sicherheitsbedenken nach ultimativen Forderungen aus Kiew, den Film aus dem Programm abzusetzen.

Das internationale Filmfestival in Toronto (TIFF) hat alle Vorführungen des Dokumentarfilms "Russen im Krieg" der kanadisch-russischen Filmemacherin Anastasia Trofimowa abgesagt. Das Festival sah sich zu diesem "beispiellosen Schritt" gezwungen, "um die Sicherheit aller Festivalgäste, Mitarbeiter und Freiwilligen zu gewährleisten".

Zugleich wird in einer am Mittwoch veröffentlichten Mitteilung betont, dass der Film seinen Platz im Programm verdient habe, offenbar gab es jedoch Drohungen gegen die Veranstaltung. Die Entscheidung sei äußerst schwergefallen. "Als Kulturinstitution unterstützen wir einen zivilisierten Diskurs über und durch Filme, zu denen auch Meinungsverschiedenheiten gehören, und wir unterstützen uneingeschränkt friedliche Versammlungen. Wir haben jedoch Berichte erhalten, die auf mögliche Aktivitäten in den kommenden Tagen hinweisen, die erhebliche Risiken bergen."

Zum ersten Mal wurde der Film "Russen im Krieg" auf dem Filmfestival in Venedig am 5. September außerhalb des offiziellen Programms präsentiert. Da in dem zweistündigen Streifen die russischen Soldaten nicht als Mörder und Kriegsverbrecher, sondern als gewöhnliche Menschen gezeigt werden, hat die Premiere in der westlichen Presse heftige Diskussionen ausgelöst. Von der ukrainischen Seite wurde der Vorwurf der Verzerrung und der Täter-Opfer-Umkehr erhoben. 

Auch das offizielle Kiew hat sich auf hoher Regierungsebene zu Wort gemeldet. Der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, Andrei Jermak, schrieb am 6. September auf X: "Es ist sehr interessant, warum der Propagandafilm 'Russians at War' bei den Filmfestspielen in Venedig überhaupt gezeigt wurde. Und warum die Regisseurin Anastasia Trofimova sowie einige andere Figuren der russischen Kultur – ein Land, das täglich Ukrainer, unsere Kinder, tötet – überhaupt in der zivilisierten Welt arbeiten können. Das ist eine Schande. Und so etwas sollte es nicht geben. Stoppt diese Absurdität."

Daraufhin forderte der ukrainische Generalkonsul in Kanada, Oleg Nikolenko, die Organisatoren des Festivals in Toronto unmissverständlich auf, die Vorführungen des Films abzusagen. Er warf dem Regisseur vor, "die Realitäten des russischen Krieges gegen die Ukraine absichtlich zu verzerren". Es folgten russophobe Proteste vor dem Hauptquartier des Filmfestivals in Toronto. Auf ihren Plakaten schrieben die Demonstranten: "Propaganda tötet", "Stoppt Russland", "Stoppt die russische Propaganda", "Stoppt die Lügen" oder "Russland ist das Krebsgeschwür der Welt". 

Als die Vorführung schließlich "aus Sicherheitsgründen" abgesagt wurde, begrüßte der Generalkonsul die Absetzung. Auch Andrei Jermak meldete sich noch einmal zu Wort. Mit der Stellungnahme der Organisatoren gab er sich nicht zufrieden und nannte die Begründung "aus Sicherheitsgründen" manipulativ. Auf X forderte er nun ein komplettes Verbot des Films mit dem für Kiew üblichen rassistischen Verweis auf die "zivilisierte Welt", zu der neben dem Westen auch die Ukraine gehöre: 

"Die größte Gefahr ist Russland. Die Welt muss sich vereinen, um für einen gerechten Frieden zu kämpfen. Der Film sollte in der zivilisierten Welt verboten werden."

Die Filmemacherin Anastasia Trofimowa war eine erklärte Gegnerin der russischen Militäroperation. Durch Zufall kam sie jedoch in Kontakt zu einem russischen Soldaten aus dem Donbass, einem Gegner des Kiewer Regimes, wobei das Kennenlernen, wie sie später erklärte, vor seiner freiwilligen Meldung zum Dienst erfolgte. Er bot ihr an, in seinem Bataillon zu filmen, und sie sagte zu. Daraus entstand ein Filmprojekt mit einem siebenmonatigen Aufenthalt nahe und an der Front auf den Territorien der Volksrepubliken Donezk und Lugansk.

Normalerweise ist es unmöglich, ohne die ausdrückliche Drehgenehmigung des russischen Verteidigungsministeriums im Kriegsgebiet zu filmen. Doch die Filmemacherin gelangte in eine Militäreinheit, in der sie das Vertrauen des Bataillonskommandeurs und schließlich des Brigadekommandeurs gewinnen und den Kampfalltag der Soldaten und eines Teams von Ärzten dokumentieren konnte. Die Soldaten, die zu Wort kamen, zeigten oft Unverständnis über die russischen Kriegsziele in der Ukraine oder kritisierten die Militärführung. Aber in dem Film kamen auch Protagonisten zu Wort, die sich im patriotischen Sinne äußerten. Die Schrecken des Krieges, den Schmerz, die Zweifel und die Trauer zeigte die Filmemacherin aus nächster Nähe. 

Doch die Neutralität der Beobachterin und ihre Nähe zu den Soldaten, die laut westlichem Narrativ unentwegt Kriegsverbrechen gegen die Ukrainer begehen, lösten Empörung aus. Auch die Tatsache, dass die Regisseurin Anastasia Trofimowa in den Jahren 2015 bis 2017 vier Dokumentarfilme für RT gedreht hat, wurde ihr von der westlichen Presse zur Last gelegt. Auf einer Pressekonferenz in Venedig wurde sie gefragt, ob es "ethisch vertretbar" sei, russische Soldaten angesichts der Kriegsverbrechen, die die russische Armee während ihrer laufenden Invasion in der Ukraine begangen habe, zu vermenschlichen.

"Ich finde es ein bisschen seltsam zu fragen, ob wir jemanden vermenschlichen könnten oder nicht. Gibt es also Listen von Menschen, die wir vermenschlichen dürfen und solche, die wir nicht vermenschlichen dürfen? Natürlich müssen wir jeden vermenschlichen. Dies ist eine große Tragödie, vor allem für unsere Region und für die ganze Welt", sagte Trofimowa.

Auch in einigen russischen Medien wurde der Film bereits kommentiert. Der Filmkritiker Jegor Moskwitin nannte den Film im Gespräch mit dem Nachrichtenportal BusinnesFM talentiert. Es sei von der Regisseurin äußerst mutig gewesen, sich in ein Kriegsgebiet zu begeben. Sie habe dort das Vertrauen ihrer Protagonisten gewonnen, die sich ihrem Gegenüber öffneten. Er wies auch auf die besondere Spannung des Films hin: "Vom Anfang bis zum Ende hofft man, dass mit ihnen alles gut ausgeht." Außerdem seien die Figuren so ausgewählt, dass sie nicht nur eine Sichtweise auf die Ereignisse bieten und die Qualität des Dokumentarfilms nicht vermindern. Als größte Stärke des Films nannte er den Umstand, dass er die Figuren "wie Menschen aussehen" lässt. 

"Und dieser Moment, in dem das russische Militär, die Freiwilligen, die Sanitäter und die mobilisierten Menschen die Möglichkeit haben, auf der Leinwand wie menschliche Wesen auszusehen, ist wirklich viel wert, und ich denke, das ist das wichtigste Merkmal dieses Films", sagte Moskwitin. 

Das TIFF stellte in seiner Erklärung klar, dass es sich bei "Russen im Krieg" offiziell um eine kanadisch-französische Koproduktion handelt, die von mehreren kanadischen Behörden auf Bundes- und Provinzebene finanziell unterstützt wurden. "Unseres Wissens wurde [der Film] ohne das Wissen oder die Beteiligung russischer Behörden gedreht. Unserer Ansicht nach sollte dieser Film auf keinen Fall als russische Propaganda betrachtet werden." Das Festival zeigte sich entschlossen, den Film "zu zeigen, sobald dies sicher möglich ist". 

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