Europas Energiemarkt durchläuft weiterhin erzwungene Stresstests aufgrund von Kiews Kursk-Offensive. Kämpfe nahe der Gas-Messstation Sudscha im Kursker Gebiet ließen die Gaspreise kurzzeitig auf über 445 Euro steigen, bevor sie sich wieder zwischen 410 und 437 Euro einpendelten, was aber noch immer über dem Juli-Niveau liegt. Dies berichtet die russische Tageszeitung Wsgljad.
Die Sudscha-Station ist für die Messung und Kontrolle des Gases zuständig, das von Russland aus durch die Ukraine nach Europa fließt. Falls die Anlage beschädigt wird, könnte dies zu einer Unterbrechung des Gastransits durch die Ukraine führen.
In der Vergangenheit gab es eine weitere Route über die Station Sochranowka im Gebiet Lugansk. Diese wurde im Mai 2022 von der Ukraine geschlossen, nachdem sie die Kontrolle über dieses Gebiet verloren hatte. Seitdem fließt das Gas nur noch über die verbliebene Route durch Sudscha. Täglich werden etwa 40 Millionen Kubikmeter Gas durch diese Pipeline transportiert. Dieses Gas geht nach Österreich, in die Slowakei und teilweise nach Italien.
Sollte es zu einem Ausfall der Anlage kommen, wäre Österreich am stärksten von dem Lieferstopp betroffen. Wie die Zeitung Wsgljad berichtet, deckte Wien im Jahr 2023 noch 64 Prozent seines Bedarfs durch Gazprom. Am 13. August schlug das österreichische Energieministerium Alarm und warnte vor dem großen Risiko einer plötzlichen Unterbrechung der russischen Gaslieferungen. Das Gas sei entscheidend für das Funktionieren der exportorientierten Schwerindustrie des Landes.
Aus der Mitteilung des Ministeriums geht hervor:
"Solange die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen besteht, besteht auch ein enormes Risiko für entsprechende Lieferausfälle mit weitreichenden Folgen. Wir müssen so schnell wie möglich die Abhängigkeit Österreichs beenden."
Laut Angaben der Zeitung steht diese alarmistische Rhetorik des österreichischen Energieministeriums im starken Gegensatz zu den Aussagen von vor einem halben Jahr. Im Februar hatte die österreichische Energie- und Umweltministerin Leonore Gewessler erklärt, dass die Diversifizierung der Gaslieferungen beschleunigt werden müsse. Sie forderte die österreichischen Unternehmen auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den Anteil von russischem Gas an ihren Einkäufen zu reduzieren.
Insbesondere sprach Gewessler die Notwendigkeit an, den Vertrag zwischen dem größten österreichischen Energieunternehmen OMV und Gazprom zu kündigen. Dieser Vertrag ist bis in das Jahr 2040 gültig. Obwohl diese Lieferungen nicht unter die EU-Sanktionen fallen, geriet die österreichische Regierung wegen der fortgesetzten umfangreichen russischen Gaskäufe unter Druck aus Brüssel. Im September 2023 erklärte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, dass diese Käufe "moralisch unangenehm" seien, fügte jedoch hinzu, dass sie notwendig seien, um die Energiesicherheit des Landes zu gewährleisten.
Darüber hinaus hatte die österreichische Regierung geplant, zwischen 2027 und 2028 vollständig auf das "aggressive" russische Gas zu verzichten. Dies sollte durch die Energiewende und alternative Lieferungen aus Italien und Deutschland erreicht werden. Die Aussichten für eine rasche Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien in Österreich und der EU bleiben jedoch unklar, so die Zeitung.
Dennoch haben Lieferungen von US-Flüssiggas (LNG) einen erheblichen Teil des vom Markt verschwundenen russischen Gases ersetzt. Allerdings erwiesen sich die US-Partner als unzuverlässig. Im Januar dieses Jahres hat die Biden-Administration die Vergabe neuer LNG-Exportgenehmigungen ausgesetzt. Die vorhandenen LNG-Mengen erreichen Europa nur zu einem geringen Teil. Grund hierfür ist der, dass die gleichen Mengen von zahlungswilligeren asiatischen Märkten nachgefragt werden.
Indes verschafften weiterhin fließende Pipeline-Gaslieferungen aus der Ukraine den Europäern, insbesondere Österreich, die dringend benötigte Zeit zur Lösung des Energieversorgungsproblems. Kiews Entscheidung, den Gastransitvertrag, der 2024 ausläuft, nicht zu verlängern, schien diese Zeit auf ein Minimum zu verkürzen. Dank der Vermittlung der europäischen Seite konnte dieses Problem jedoch schnell gelöst werden. Man überzeugte die Ukraine, den Gastransit ohne Vertrag fortzusetzen. Zumal der Transit der Ukraine jährlich eine Milliarde Dollar einbringt.
Kiews Offensive auf Kursk könnte den Europäern diese dringend benötigte Zeit nun rauben. Die Verantwortung dafür läge weniger bei der Ukraine als bei Europa. Der faktische Angriff einer NATO-Stellvertreterarmee auf souveränes russisches Territorium wirft die Frage nach einem vollständigen Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen auf. Frühere Kompromisse, einschließlich direkter Energielieferungen, erscheinen vor diesem Hintergrund wenig überzeugend.
Russlands Verluste durch den Wegfall der Gaslieferungen nach Europa sind mittlerweile nicht mehr kritisch, berichtet die Zeitung Wsgljad. Der russische Marktanteil in der EU ist von einst rekordverdächtigen 40 Prozent auf nur noch 8 Prozent gesunken. Russland orientiert sich aktiv um und verlagert seine Lieferungen auf asiatische, nahöstliche und andere Märkte. Ein abruptes Ende der Gaslieferungen könnte jedoch katastrophale Folgen für einige europäische Länder haben.
Ein Gasdefizit in Ländern wie Österreich und der Slowakei würde zu einem Problem für ganz Europa werden. Denn dies würde zu einem weiteren Zerfall der gemeinsamen Märkte führen und die inneren Bindungen in der Europäischen Union schwächen. Europa, das weder eine klare Strategie noch konkrete Ziele im aktuellen Konflikt mit Russland hat, setzt seine Selbstbestrafung fort.
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