Am Donnerstag hat der historische Gefangenenaustausch in der türkischen Hauptstadt Ankara unter der Koordination des Geheimdienstes der Türkei stattgefunden. Die Operation umfasste den gegenseitigen Austausch von 26 Bürgern, von denen 24 in Gefängnissen in sieben verschiedenen Staaten (USA, Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen, Russland und Weißrussland) saßen. Zehn Personen, darunter zwei Kinder, wurden von westlichen Ländern an Russland übergeben. Im Gegenzug hat die russische Regierung zwölf Personen an Deutschland und weitere vier an die USA übergeben.
Diese Operation geht als der größte Austausch zwischen Washington, Moskau und Berlin in die moderne Geschichte ein. Trotz der aktuellen Spannungen in den Beziehungen zwischen dem Westen und Russland ist es möglich gewesen, dass sich alle Parteien über so einen großangelegten Deal geeinigt hatten. Experten diskutieren bereits über mögliche außenpolitische Folgen, ob diese Operation zu einer Veränderung der Beziehungen führen wird und ob der Erfolg des Austauschs die Verhandlungen über die Ukraine beeinflussen kann.
In Bezug auf die Beilegung des militärischen Konflikts zwischen Moskau und Kiew haben die von der Zeitung RBC befragten Experten die einhellige Meinung geäußert, wonach eine Veränderung der Situation kaum zu erwarten ist.
Laut Fjodor Lukjanow, dem Chefredakteur der Zeitschrift Russia in Global Affairs, werde der jüngste historische Gefangenenaustausch zwischen Russland und westlichen Ländern nicht zu Verhandlungen zwischen Moskau und Washington über andere wichtige Angelegenheiten führen.
"Das ist eine völlig andere Ebene der Beziehungen. Seit dem Beginn der Feindseligkeiten gab es recht aufsehenerregende Beispiele für Austausche mit der Ukraine, die unter Zustimmung von den westlichen Ländern stattgefunden haben. Auch damals entstand die Frage, ob dies ein Anzeichen für eine Änderung der Atmosphäre sei. Nein, ist es nicht. Eigentlich hat sich nichts geändert", erklärte Lukjanow gegenüber RBC.
Bei Gefangenenaustauschen handele es sich um einen ganz besonderen Bereich der Beziehungen, der aus dem Kalten Krieg bekannt sei. In der aktuellen Situation habe sich dabei nur das Ausmaß geändert. "Aber ich würde daraus keine politischen Schlussfolgerungen über den Verlauf des Konflikts ziehen", fügte er hinzu.
Bestenfalls könnte dies der Beginn eines sehr langwierigen Prozesses bei der Wiederaufnahme der Kommunikation zwischen Moskau und Washington sein, meinte Andrei Kortunow, wissenschaftlicher Leiter des Russischen Rates für internationale Angelegenheiten.
"Ich fürchte, man muss nicht besonders optimistisch sein, weil es noch keine gute Zeit für einen mehr konstruktiven Dialog ist. Die Wahlkampagne in den USA ist in vollem Gang und der derzeitige US-Präsident ist eine Lame Duck. Daher sind seine Möglichkeiten eingeschränkter als zuvor", so Kortunow. Die Biden-Administration habe weniger Spielraum, was von ihren politischen Gegnern im aktuellen Wahlkampf ausgenutzt werde", erklärte der Experte.
Zudem wies Kortunow darauf hin, dass allein die Wiederaufnahme der Kommunikation zwischen Moskau und Washington unter den aktuellen Bedingungen bereits eine bedeutende Errungenschaft darstelle. Allerdings garantiere dies keine Fortschritte bei der Lösung der Schlüsselfragen in den bilateralen Beziehungen. "Hier muss man noch einige Zeit warten."
Auch die Politologin Tatjana Stanowaja bezweifelt, dass der Gefangenenaustausch die Situation um die Ukraine beeinflussen werde. "Die russischen Behörden können gewisse Hoffnungen darauf haben, dass, da man sich auf diese Frage geeinigt hat, dies bedeutet, dass es ein gewisses Potenzial gibt. Für den Westen wird es jedoch keine Bedeutung haben", erklärte sie gegenüber RBC. Die entscheidende Rolle würden solche Faktoren spielen wie die US-Wahlergebnisse und die jeweilige Lage sowohl in den USA als auch in der Ukraine.
Lukjanow führte weiter aus, dass der Gefangenenaustausch auch deshalb keinen Einfluss auf den Verlauf der US-Wahlen haben werde, da die Frage des Austauschs von der Biden-Administration behandelt worden sei. Biden habe sich aber aus dem Wahlkampf zurückgezogen. "Hätte der Austausch zum Beispiel Ende Oktober stattgefunden, könnte man voraussetzen, dass Kamala Harris dies als einen Verdienst ihrer Administration darstellen würde. Aber es bleiben noch drei Monate bis zu den Wahlen. Alles wird vergessen sein", betonte der Experte.
Kortunow wies darauf hin, dass in den USA Ereignisse wie Gefangenenaustausche immer als ein großer außenpolitischer Erfolg wahrgenommen würden, wenn sich unter den Freigelassenen US-Bürger befänden. "Jedoch müssen wir berücksichtigen, dass diese Entscheidung von der Biden-Administration getroffen wurde. Aber es ist Harris, die sich zur Wahl stellt, daher ist der Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen sehr indirekt", so der Experte abschließend.
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