Von Geworg Mirsajan
Die Führung des Nordatlantischen Bündnisses hat angekündigt, sich aktiver in ostasiatische Angelegenheiten einzumischen. Angeblich reagiert sie damit auf das Vorgehen Chinas.
Zum einen geht es dabei um die chinesische Zusammenarbeit mit Russland. "Die wachsende Annäherung zwischen Russland und seinen autoritären Freunden in Asien macht unsere Arbeit mit Freunden in der indopazifischen Region noch wichtiger", sagt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Die westlichen Staaten suchen einen Sündenbock dafür und finden ihn in der Person der chinesischen Genossen, die Russland ihrer Meinung nach alles geliefert haben, was es braucht, um sich der "zivilisierten Welt" entgegenzustellen.
Zum anderen bedrohen Chinas Aktivitäten angeblich die Sicherheit Europas. "In der Öffentlichkeit gibt Präsident Xi vor, den Konflikt in der Ukraine zu meiden, um Sanktionen zu vermeiden und die Handelsbeziehungen zu erhalten. In Wirklichkeit unterstützt China jedoch den größten militärischen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg, während es gleichzeitig gute Beziehungen zum Westen aufrechterhalten will", so Jens Stoltenberg dazu.
China bestreitet natürlich alle Anschuldigungen. "Die NATO ist ein Produkt des Kalten Krieges und die größte Militärmacht der Welt. Anstatt China zu verunglimpfen und mit allen möglichen Erklärungen anzugreifen, sollte sich die NATO der Rolle bewusst werden, die das Bündnis in der Ukraine-Krise gespielt hat", sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Lin Jian. China sei weder ein Verursacher noch eine Partei in der Ukraine-Krise:
"Ich rate den betroffenen Parteien, die Verantwortung nicht weiter abzuschieben und keine Zwietracht zu säen, kein Öl ins Feuer zu gießen und keine blockübergreifende Konfrontation zu provozieren. Tun Sie stattdessen etwas Nützliches für die politische Lösung der Krise."
Darüber hinaus betont Peking, dass die NATO in Ostasien nichts zu suchen hat. Allein schon deshalb, weil die Organisation nur Konflikte und Kriege mit sich bringen wird. Die chinesische Botschaft in Washington unterstreicht das in einer Erklärung:
"Alle Länder in der asiatisch-pazifischen Region sind der Förderung von Frieden und Entwicklung verpflichtet. Die Amerikaner müssen diese Verpflichtung respektieren und sich ebenfalls für Frieden und Entwicklung einsetzen, anstatt Blockkonfrontation und Konflikte in die Region zu bringen."
Die Amerikaner lassen diese Vorwürfe jedoch allem Anschein nach an sich vorbeigehen. Für sie ist das Auftauchen der NATO in Ostasien bereits eine beschlossene Sache, sie wird unter jeder nächsten Regierung umgesetzt werden. Und die Vorwürfe über Chinas Rolle in der Ukraine-Krise sind da nur Vorwand sowie rhetorisches Mittel, um die europäischen Länder unter Druck zu setzen und sie zu zwingen, die NATO-Erweiterung nach Fernost zu unterstützen.
Wadim Truchatschew, außerordentlicher Professor an der Russischen Staatsuniversität, erklärt gegenüber der Zeitung Wsgljad:
"Tatsache ist, dass Europa versucht, eine echte Verwicklung in eine militärische Konfrontation mit China zu vermeiden. Und es ist motiviert durch die Tatsache, dass es sich bereits die Konfrontation mit Russland nur schwer leisten kann. Es ist bereit, die Vereinigten Staaten verbal zu unterstützen, aber es ist nicht einmal bereit, Geld zu dieser Konfrontation beizusteuern, geschweige denn sein Militär an Chinas Küsten zu schicken."
Und das Entsenden von Truppen könnte durchaus auf die Tagesordnung kommen. Die Amerikaner sind wirklich dabei, aus der NATO einen globalen Akteur oder eine Polizeiorganisation mit Zuständigkeit für die gesamte Erdkugel zu machen.
Sie schrecken nicht davor zurück, offen darüber zu sprechen. Sie behaupten, dass nicht nur US-amerikanische Stützpunkte, sondern auch europäische Basen zur Eindämmung Chinas beitragen müssen. Kleinere Missionen gab es bereits, jetzt treiben die USA das Thema der Schaffung von schnellen Eingreiftruppen der NATO voran. Aktuell bestehen sie aus 30.000 Soldaten, sollen aber auf 300.000 aufgestockt werden, erinnert Andrei Klinzewitsch, Leiter des Zentrums für das Studium militärischer und politischer Konflikte im Interview für diese Publikation.
Eine Art internationaler Streitkräfte sollen es werden, polnische, deutsche, französische und italienische Soldaten, aber ohne nationale Unterordnung.
"Das heißt, dass ein NATO-General jederzeit zum Telefonhörer greifen kann und auf Anweisung aus Washington eine Anweisung an bestimmte Einheiten schreibt, ohne dass die nationalen Parlamente zustimmen müssen. Und schon fliegen die Truppen los, um eine multinationale Aufgabe zu erfüllen", beschreibt Klinzewitsch die Idee.
Der zögerliche Widerstand Europas gegen die Aussicht auf solche Einsätze ist das letzte Problem auf dem Weg der fernöstlichen Expansion der nordatlantischen Allianz. Zumal es im Fernen Osten genügend Staaten gibt, die bereit sind, den Eintritt der NATO in diese Region zu unterstützen.
Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea werden als wichtige Partner des Bündnisses angesehen. Das sind die Länder, die den Aufstieg Chinas sehr fürchten. Sie sind viel stärker von den Vereinigten Staaten abhängig als Indien und werden auf dem NATO-Gipfel in Washington vertreten sein. Nach den Worten des stellvertretenden US-Außenministers Kurt Campbell ist die indo-pazifische Region "heute stärker mit Europa verbunden als je zuvor."
Und schließlich verfügen die USA über einige Knüppel – zum Beispiel den AUKUS-Block (bestehend aus Australien, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten), der gerade als Instrument zur Eindämmung der Volksrepublik China gedacht ist. Andrei Klinzewitsch dazu:
"Der AUKUS-Block wird sich wahrscheinlich vergrößern – es werden weitere Länder hinzukommen, höchstwahrscheinlich Japan und Südkorea. Und dann wird dieser Block eine Art Einigungsvertrag mit der NATO unterzeichnen, woraufhin das Bündnis zu einem globalen Bündnis wird."
China ist sich der hohen Wahrscheinlichkeit von NATO-Aktivitäten in Ostasien und im Pazifik bewusst und auch der Tatsache, dass es seine Politik daran anpassen muss. Militärisch ist Peking laut Klinzewitsch auf jeden Fall vorbereitet:
"Die Chinesen haben ihre militärisch-industrielle Maschine bereits auf Hochtouren laufen lassen. Sie legen serienweise Flugzeugträger aus, bauen Hyperschallwaffen, errichten Stützpunkte auf großen künstlichen Inseln in Gebieten, die sie gerne kontrollieren würden. Die Chinesen haben den Amerikanern einen Rüstungswettlauf aufgezwungen, und dieser Prozess wird sich fortsetzen, ohne dass sich die NATO dorthin bewegt."
Aber auch die Außenpolitik wird geändert werden müssen. Es ist noch nicht lange her, da nutzte Peking die Ukraine-Krise, um international zu punkten. Und das nicht nur durch seine Friedensinitiativen.
So werfen die Chinesen der NATO beispielsweise "nukleare Erpressung" vor (in Anlehnung an Stoltenbergs Äußerungen über die mögliche Stationierung von Atomwaffen in Europa). Auf diese Weise spielt Peking nicht nur die Rolle eines Friedensstifters, sondern tritt auch als Sprachrohr des globalen Südens auf – all der nicht-nuklearen Länder, die sich vor den Spielchen der Nuklearmächte fürchten. Eine solche Position wird den Chinesen auch helfen, die Aufmerksamkeit der Welt ein wenig von der Aufrüstung ihres eigenen Atomwaffenarsenals abzulenken, wozu Peking als Nichtunterzeichner des START-Abkommens jedes Recht hat.
Jetzt geht es um eine Konfrontation in Chinas traditioneller Einflusssphäre. Nicht an fremden Ufern, sondern an seinen eigenen. Und die kann nur mit Moskaus Unterstützung verteidigt werden – ressourcenmäßig, infrastrukturell, politisch und mit jeder anderen Art von Unterstützung.
Dies verringere den Handlungsspielraum der Chinesen, meint Klinzewitsch dazu. Es werde für sie schwieriger sein, Moskau mit Forderungen auf Rabatte bei Kohlenwasserstoffen und anderen Aspekten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unter Druck zu setzen. Die Erkenntnis, dass die Konfrontation mit den USA nicht mehr rein hypothetischer Natur ist, wird "sie dazu zwingen, die Beziehungen zu uns auf eine etwas andere Weise aufzubauen."
Die Ausweitung der NATO auf den Fernen Osten könnte also zu dem führen, was ihre Erweiterung in Europa bewirkt hat: zur Annäherung und Einigkeit der Feinde der Vereinigten Staaten.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei Wsgljad.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität des Kubangebiets und promovierte in Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der Wissenschaften.
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