Größte Lithiumreserven Europas im Blick: Scholz besucht überraschend Belgrad

Der nicht gerade als "Serbenfreund" bekannte deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz reist überraschend nach Belgrad. Es geht dabei nicht um das wieder Aufladen der deutsch-serbischen Beziehungen, sondern schlicht und ergreifend um Batterien für deutsche E-Autos.

Von Marinko Učur

Was ist der Hintergrund des für Freitag bevorstehenden plötzlichen und unangekündigten Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in Belgrad? Wenn man bedenkt, dass Staatsbesuche viel früher angekündigt und vorbereitet werden, ist es offensichtlich, dass eine solche Vorbereitung dieses Mal nicht getroffen wurde. Noch seltsamer ist es, dass die serbische Öffentlichkeit erst zwei Tage von der Ankunft des deutschen Bundeskanzlers von dem Besuch erfuhr. Und das Seltsamste ist, dass die Quelle, die diese Informationen übermittelt hat, der Sprecher der Bundesregierung in Berlin, Steffen Hebestreit, ist. Nach der ersten Überraschung folgte die Begründung des Besuchs von Scholz.

Die Öffentlichkeit erkannte bald, dass es sich nicht um die übliche bilaterale politische Kommunikation zwischen den beiden Ländern handelt, sondern um den Versuch, Serbiens Zustimmung für die Fortsetzung der früher unter Druck der Öffentlichkeit eingestellten Aktivitäten zum Lithiumabbau, einem der wichtigsten Rohstoffe für die Entwicklung von Elektrobatterien für die Automobilindustrie, zu gewinnen. Einigen Untersuchungen zufolge verfügt Serbien über die größten Reserven von Lithiumerz in Europa und liegt nahe genug an den wichtigsten europäischen Automobilherstellern. 

Die serbische Regierung sieht im Lithiumabbau eine große Entwicklungschance und in diesem Zusammenhang ist eine politische und mediale Kampagne erkennbar, um die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass im Westen des Landes keine Gefahr einer Verschmutzung des Lebensraums besteht.

Im Unterlauf der Drina, wo das anglo-australische Unternehmen Rio Tinto Lithiumvorkommen fand, schlummern nämlich wahre Reichtümer im Wert von 2,4 Milliarden Euro. Experten gehen davon aus, dass solch große Reserven dieses Erzes in den kommenden Jahrzehnten den gesamten europäischen Bedarf an Lithium zu mehr als 90 Prozent decken würden. Rio Tinto teilte zuvor mit, das Gebiet verfüge über eine der größten Lithiumreserven Europas und könne 58.000 Tonnen pro Jahr produzieren, genug für 1,1 Millionen Elektrofahrzeuge. In den beiden Jahren zuvor wurde das Projekt nahezu gestoppt, weil sich Umweltaktivisten gegen die, wie sie sagen, "schmutzige Technologie" auflehnten, die fast eine halbe Million Einwohner dieses Teils Serbiens gefährden würde.

Nachdem die chinesischen Hersteller von Elektroautos die europäische Automobilindustrie ernsthaft bedroht hatten, wurde offenbar die alte Absicht, Rio Tinto wieder "ins Spiel" zu bringen, reaktiviert und die serbische Regierung vergab die zuvor umstrittene Lizenz zur Ausbeutung erneut an den genannten Konzern. Zuvor hatte das Verfassungsgericht des Landes die frühere Entscheidung der serbischen Regierung, das Projekt "Jadar" beziehungsweise des Lithiumabbaus zu stoppen, aufgehoben.

Das Verfassungsgericht befand, dass die frühere Entscheidung über das Verbot "nicht im Einklang mit der Verfassung und dem Gesetz steht!" Das war der formelle Grund für die Wiederaufnahme des unterbrochenen Lithiumabbaus. Umweltaktivisten behaupten jedoch, dass das Verfassungsgericht die Entscheidung auf Druck der Behörden getroffen habe und nicht an die guten Absichten derer glaube, die hinter solchen Projekten stehen. Es ist auch offensichtlich, dass nur wenige Tage nach der Reaktivierung der Lizenz von Rio Tinto Kanzler Scholz Belgrad besuchen wird.

Während seines Aufenthalts in Serbien wird er vom Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Maroš Šefčović, begleitet und wie erwartet werden bei dieser Gelegenheit die Regierung Serbiens und mehrere Unternehmen eine Absichtserklärung zum Projekt des Lithiumabbaus unterzeichnen. Die Unterzeichnung des Memorandums wird offensichtlich von Scholz selbst unterstützt, und auf diese Weise werden die wahren Beweggründe seines Besuchs in Belgrad entmystifiziert.

Um es milde auszudrücken, der deutsche Kanzler wird als Vertreter eines großen westlichen Industrielandes in die serbische Hauptstadt kommen, ungeachtet der Tatsache, dass die Öffentlichkeit beruhigt und "das Engagement für hohe Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards" hervorgehoben wird. In gewisser Weise deutete dies auch der erwähnte Sprecher der Bundesregierung, Hebestreit, an, der gegenüber Journalisten bestätigte, dass die serbische Regierung positiv auf die Kritik aus der Region reagierte und es als "gut und wichtig" bewertete, dass es für das Projekt nun "höhere Standards" gebe.

Wird Serbien neben dem wirtschaftlichen auch einen politischen Vorteil aus dieser Geschichte ziehen können, da die deutsche Unterstützung für die albanischen Separatisten im selbst ernannten Staat Kosovo, der von den Albanern im Jahr 2008 auf dem Gebiet der serbischen Provinz Kosovo und Metochien als illegal erklärt wurde, bekannt ist? Niemand wagt es, diese Frage zu beantworten, aber die Öffentlichkeit fragt sich zu Recht, ob Serbien mehr aus diesem Projekt hätte herausholen können, unabhängig davon, was es potenziell für die wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung neuer Arbeitsplätze bedeuten wird. Für Serbien steht zu viel auf dem Spiel – da sind sich alle einig, nicht nur wegen der Gefahr der Verschmutzung des Lebensraums von einer halben Million Menschen, sondern auch wegen der Tatsache, dass gerade diejenigen, die Serbien im Jahr 1999 bombardiert und sein verfassungsmäßiges Territorium durch die Anerkennung des Kosovo verletzt haben, nun wieder die Gelegenheit bekamen, das Land unter dem Vorwand von Entwicklung und Wohlstand vom Westen abhängig zu machen.

Und was für Europa selbst auf dem Spiel steht, zeigt auch die Unterstützung des oft serbenfeindlichen deutschen Kanzlers Scholz beim jüngsten Versuch, die marode deutsche Automobilindustrie zu retten.

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