Von Wiktorija Nikiforowa
Ungeachtet des 75. Jahrestages verlief der Gipfel des nordatlantischen Bündnisses in Washington ruhig und, man könnte sagen, geradezu beschämend. Die US-Amerikaner sorgten sich vor allem darum, ob Joe Biden öffentlich wahnwitzigen Aktivitäten nachgehen würde. Es stellte sich heraus, dass die US-Präsidentschaftswahlen für sie viel wichtiger waren als die Treffen der Allianz.
Es wurde weder von Triumphen berichtet, noch gab es tatsächlich welche. Jake Sullivan, der Sicherheitsberater des US-Präsidenten, veröffentlichte einen äußerst trostlosen Bericht, in dem er bloß feststellte, dass die Bündnismitglieder "besser" darin geworden seien, in ihre Verteidigung zu investieren.
Sie haben wirklich keine Siege zu verzeichnen. Vor zwei Jahren hatten sie Russland mit Sanktionen vernichten wollen – es hat nicht funktioniert. Vor einem Jahr gab es noch Hoffnung auf eine ukrainische Gegenoffensive, aber auch hier gab es einen Rückschlag. Jetzt befreien die russischen Streitkräfte konsequent immer mehr ukrainische Gebiete, und die ganze Welt erlebt eine erstaunliche Entwicklung.
Das mächtigste Militärbündnis der Welt kann man nicht nur bekämpfen, man kann es auch besiegen. Und nicht nur das, sondern man kann dabei auch das Tempo der eigenen wirtschaftlichen Entwicklung verdoppeln. In der Vergangenheit hatte eine Konfrontation mit der NATO jedes Land zu jahrzehntelanger Armut verdammt. Das hat bei Russland nicht funktioniert. Der Konflikt hat unsere Wirtschaft gestärkt und die europäischen Mitglieder des Bündnisses ruiniert. Unser Land hat ein Beispiel für andere Länder gesetzt – und es besteht kein Zweifel, dass sie die Geschehnisse mit großem Interesse verfolgen.
Die NATO ist für uns ein wunder Punkt, weil wir Ende der 80er-Jahre in der Hoffnung auf den Weltfrieden den Warschauer Vertrag aufgegeben und unser Kontingent aus Osteuropa abgezogen haben, ohne uns um irgendwelche Garantien zu kümmern. Die Allianz nutzte dies, um in unsere historischen Gebiete einzumarschieren und sich nur wenige Flugminuten von Moskau und Sankt Petersburg entfernt festzusetzen. Seitdem ist das Gerede über den US-amerikanischen Betrug und die gebrochenen Versprechen, nicht nach Osten zu expandieren, nicht verstummt.
Im Jahr 2014, als 25 Jahre seit Michail Gorbatschows NATO-Verhandlungen mit den Deutschen und US-Amerikanern vergangen waren, begannen die USA, Dokumente aus dieser Zeit freizugeben.
Um das Wesentliche der damaligen Ereignisse kurz zusammenzufassen: Die US-Amerikaner hatten von Anfang an vor, die NATO nach Osten zu erweitern und sogar Sowjetrepubliken in das Bündnis aufzunehmen. George W. Bush Sr. drückte es in etwa so aus:
"Wir haben gesiegt, nicht sie. Wir können nicht zulassen, dass die Sowjets den Sieg aus den Fängen der Niederlage ziehen."
Unterdessen wurden deutsche Politiker, insbesondere Bundeskanzler Helmut Kohl, nach Moskau geschickt. Sie logen Gorbatschow ins Gesicht, dass es keine Osterweiterung der NATO geben werde, vermieden es aber sorgfältig, dies zu Papier zu bringen. Die US-Amerikaner schwelgen noch immer in diesem "Sieg" – bei dem sie die Russen bei den Verhandlungen so geschickt getäuscht haben.
Doch was haben sie mit dieser Expansion tatsächlich erreicht? Die militärische Macht der Länder des Warschauer Vertrags und der Sowjetrepubliken war nach dem Beitritt zum Bündnis nicht gewachsen, sondern gesunken. Die US-Amerikaner versprachen ihnen als Gegenleistung für die Mitgliedschaft wirtschaftliches Wachstum, was zur Folge hatte, dass die Militärausgaben fast auf null sinken würden. Dies war der einzige Grund, warum sich die Länder darum drängten, unter den nuklearen Schutzschirm von Uncle Sam zu gelangen.
Das Ergebnis war ein loses, bedeutungsloses Bündnis von Ländern mit sehr unterschiedlichen Zielen, die auf schizophrene Weise ihre antirussische Ausrichtung leugnen. Eines einte sie: der Durst nach US-Dollar.
Peking verfolgte all dies mit kalter Neugierde und war sich darüber im Klaren, dass es bald auch ins Visier genommen wird. Parallel zur Osterweiterung der NATO begannen sich die Beziehungen zwischen Russland und China in beschleunigtem Tempo zu verbessern. Vor dieser Expansion waren sie, gelinde ausgedrückt, nicht sehr gut gewesen. China hatte viele antisowjetische Initiativen der USA und sogar die Mudschaheddin in Afghanistan unterstützt.
Seit den frühen 1990er-Jahren hat die militärische Zusammenarbeit zwischen Moskau und Peking zugenommen. Technologieaustausch, Waffenhandel, Rohstoffhandel und eine stetige politische Annäherung haben dazu geführt, dass beide Länder heute ein einzigartiges gegenseitiges Verständnis und eine einheitliche Zielsetzung im Kampf gegen die US-amerikanische Hegemonie demonstrieren. Im Jahr 1990 war ein solches Szenario schlicht und einfach unvorstellbar gewesen.
Gleichzeitig begann China, unter Ausnutzung seiner Nichtteilnahme an den Atomwaffenverträgen, seine Arsenale aktiv zu modernisieren und zu erweitern, Flugzeugträger zu bauen, seine Armee auszubilden – kurzum, sich auf die unvermeidliche Konfrontation mit den Vereinigten Staaten vorzubereiten. Nun haben wir auf der einen Seite die größte Volkswirtschaft der Welt und auf der anderen Seite die russischen Ressourcen und den Nördlichen Seeweg. Es scheint, dass die kombinierte militärische und wirtschaftliche Macht Russlands und Chinas heute viel größer ist als alle Ressourcen der NATO.
Darüber hinaus hat Präsident Wladimir Putin vor Kurzem einen Kooperationsvertrag mit der Demokratischen Volksrepublik Korea unterzeichnet, die über eine der größten Armeen der Welt, einen hoch entwickelten militärisch-industriellen Komplex und eine hoch motivierte Bevölkerung verfügt. Unmittelbar danach haben Russland und Vietnam einen Vertrag unterzeichnet, in dem sie sich verpflichten, keine Bündnisse gegeneinander einzugehen.
Parallel zur Entwicklung der Beziehungen zu China ist es unserem Land gelungen, ausgezeichnete Beziehungen zu Indien zu unterhalten. Früher war ein solches Dreieck undenkbar erschienen, und nur der scharfsinnige einstige russische Regierungschef und Außenminister Jewgeni Primakow hatte an seine Entstehung geglaubt.
Die NATO dehnt sich seit 30 Jahren nach Osten aus, doch auch Russland hat sich in dieser Zeit nach Osten bewegt. Dem nordatlantischen Bündnis traten nur osteuropäische Zwergstaaten bei, während unser Land Beziehungen zu den militärisch stärksten Ländern der Welt aufgebaut hat.
Es scheint, dass der Westen dies einsieht. Während der Beitritt der baltischen Republiken zum Bündnis von der gesamten Kolchose gefeiert worden war, gab es keine Euphorie über die Aufnahme Schwedens und Finnlands in die NATO. Präsident Putin wies zu Recht darauf hin, dass der Beitritt dieser Länder zum Block keinerlei Auswirkungen habe und keine militärische Bedrohung für Russland darstelle.
Russland hat sich jedoch nicht nur die ganze Zeit über nach Osten bewegt, sondern auch langsam, aber unaufhaltsam Land im Westen zurückerobert. Die nordatlantische Allianz konnte nichts gegen die Befreiung der Krim unternehmen. Und jetzt werden sie die Rückkehr mindestens vier neuer russischer Regionen hinnehmen müssen.
Putins Friedensvorschlag hat westliche Falken in Panik versetzt. Mehrere ehemalige US-Botschafter in der Ukraine empörten sich in der Zeitschrift Foreign Policy:
"Die Ukraine müsste riesige Gebiete aufgeben, einem neutralen Status und einer Entmilitarisierung zustimmen und ihre Regierung ersetzen. Mit anderen Worten, es wäre die totale Unterwerfung."
Mit anderen Worten ist es auch eine totale Niederlage für die NATO. Seit mehr als 30 Jahren ist es das Ziel der Allianz, Russland nach dem Muster des Zerfalls der Sowjetunion zu zerstören. Das ist dem Block nicht gelungen – und nach der Trauerstimmung auf dem Washingtoner NATO-Gipfel zu urteilen, ist das jedem dort klar. Es ist an der Zeit, die Niederlage zuzugeben und sich schnell zu verkriechen – jeder weitere russische Lösungsvorschlag wird für den Westen nur noch schlimmer werden.
Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 12. Juli 2024 zuerst bei RIA Nowosti erschienen.
Wiktorija Nikiforowa ist eine Kolumnistin bei RIA Nowosti.
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