NATO-Gipfel in Washington: Kiew fordert unumkehrbare Einladung zu Bündnisbeitritt

Kiew fordert von der NATO eine klare Einladung zum Beitritt in das Bündnis. Stimmen von Kritikern aus den Mitgliedsländern werden jedoch immer lauter. Eine Aufnahme der Ukraine könnte den Bündnisfall aktivieren, was eine weitere Eskalation des Krieges bedeuten würde.

Im Vorfeld des Bündnis-Gipfels in Washington kommende Woche wird die Perspektive einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine heftig diskutiert. Auch die ukrainische Seite macht ihre Position zu diesem Thema noch einmal deutlich. Kiew wolle ein "unumkehrbares" Angebot einer möglichen Mitgliedschaft beim NATO-Gipfel erhalten, erklärte Natalia Galibarenko, die Vertreterin der Ukraine bei der NATO, in einem Interview mit der Zeitschrift Politico. "Wir möchten es gerne sehen, wenn unsere Verbündete einen unumkehrbaren Weg der Ukraine zur NATO festlegen würden."

Kiew dränge darauf, sich vor dem Gipfeltreffen in Washington Gehör zu verschaffen. Dort befürchte man, dass die Frage einer Mitgliedschaft in der Allianz an den Rand gedrängt werden könnte, schreibt Politico.

Innerhalb des Bündnisses selbst wird heftig darum gestritten, ob die Ukraine Mitglied der Allianz werden soll. Einige Staaten wie die USA und Deutschland nehmen die Perspektive eines schnellen Beitrittsangebots lauwarm auf. Die an der Grenze zu Russland liegenden Länder fordern einen klaren Standpunkt bezüglich des zukünftigen NATO-Status der Ukraine. 

Galibarenko wiederholte, dass Kiew keinen schnellen NATO-Beitritt erwarte. Sie räumte ein, dass die Aufnahme eines neuen Mitgliederstaats, der sich im Kriegszustand befinde, problematisch sei. Außerdem gebe es derzeit keine gesicherten Grenzen des Landes. Deswegen fordere die Ukraine in der Zwischenzeit zusätzliche Luftverteidigungs- und Sicherheitszusagen. 

Im Vorfeld des Gipfeltreffens in Washington gibt es auch hitzige Diskussionen unter Experten über einen möglichen NATO-Beitritt der Ukraine. Mehr als 60 Außenpolitikexperten haben am Mittwoch in einem offenen Brief an die Allianz deren Mitglieder dazu aufgerufen, die Mitgliedschaft der Ukraine während des Treffens nicht voranzubringen. Die Experten haben auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrags hingewiesen, der eine kollektive Verteidigung im Falle eines Angriffs auf einen der NATO-Mitgliedstaaten vorsieht. Das Territorium der Ukraine könnte in diesem Fall "zum Schauplatz eines langwierigen Kräftemessens zwischen den zwei führenden Atommächten" werden. Dies gefährde die USA und deren Verbündeten und könnte zum Zerfall der Koalition führen. 

In dieser Hinsicht wies Galibarenko darauf, dass die ukrainische Führung über solche Sorgen der NATO-Staaten Bescheid wisse und daher zweiseitige Sicherheitsabkommen mit den Verbündeten abschließe. Dennoch betonte die Botschafterin, dass die Hoffnung der Ukraine auf einen Beitritt "nicht einfach von der Tagesordnung verschwinden wird". 

Mit Sorge denkt Kiew an die sich annähernden Präsidentschaftswahlen in den USA. Donald Trump könnte im Falle seiner Wiederwahl im November eine mögliche NATO-Mitgliedschaft der Ukraine als Druckmittel bei den eventuellen Friedensverhandlungen mit Moskau verwenden, analysiert Politico. Daher drängten Vertreter der ukrainischen Regierung darauf, dass die Bündnisstaaten ihren Standpunkt gegenüber der möglichen Aufnahme der Ukraine klarstellten.

Jahrelang habe sich die NATO auf der Suche nach einer passenden Formulierung gewunden, um der Ukraine mitzuteilen, dass das Land eines Tages in die Allianz aufgenommen werde, ohne eine tatsächliche Einladung auszusprechen, so Politico. Im Kommuniqué des NATO-Gipfels in Vilnius vom vergangenen Jahr hieß es: "Wir werden in der Lage sein, eine Einladung an die Ukraine für einen Beitritt in das Bündnis auszusprechen, wenn die Bündnispartner zustimmen und die Bedingungen erfüllt sind."

Laut Natalia Galibarenko erwarte Kiew von den bevorstehenden Verhandlungen "einen Schritt vorwärts", da Kiew "bedeutenden Fortschritt beim Umsetzen der Reformen gemacht" habe. 

Im Vorfeld des Treffens teilen Medien mit, dass die NATO-Mitglieder die Ukraine-Hilfe gegen rechte EU-Parteien und Donald Trump im Falle dessen Wiederwahl absichern wollen. Zudem wolle das Militärbündnis ein Hauptquartier für die Koordinierung von Waffenlieferungen und die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Wiesbaden einrichten. Die NATO hat der Ukraine weitere Milliardenhilfe zugesagt, die Kiew im kommenden Jahr erhalten soll.

Diese Woche hat Wladimir Selenskij Donald Trump dazu aufgerufen, seinen Plan zur Lösung des Ukraine-Krieges offenzulegen. "Wenn Trump weiß, wie man diesen Krieg beendet, sollte er uns das heute sagen", erklärte der ukrainische Präsident. Sollte die Ukraine ihre Staatlichkeit laut diesem Plan verlieren, möchte die ukrainische Bevölkerung darauf vorbereitet sein, so Selenskij.

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