Die Vereinigten Staaten befürchten, dass die jüngsten ukrainischen Drohnenangriffe auf russische nukleare Frühwarnsysteme Moskau gefährlich verunsichern könnten, berichtet die Washington Post (WP) am Mittwoch mit Verweis auf einen Regierungsbeamten. Die US-Zeitung betont, dass die Angriffe zu einem Zeitpunkt stattfinden, als die Regierung Biden abwägt, ob sie die Beschränkungen für den Einsatz von US-Waffen durch die Ukraine bei grenzüberschreitenden Angriffen aufheben soll.
"Die Vereinigten Staaten sind besorgt über die jüngsten Angriffe der Ukraine auf russische Frühwarnsysteme für ballistische Raketen", sagte der Gesprächspartner, der, wie angegeben, aufgrund der "Sensibilität der Angelegenheit" anonym bleiben wollte, gegenüber der Zeitung.
Washington habe Kiew seine Besorgnis über zwei Angriffsversuche in der vergangenen Woche gegen Radarstationen mitgeteilt, die sowohl für die konventionelle Luftverteidigung als auch für die Warnung vor Atomwaffenstarts durch den Westen zuständig sind, so die WP. Mindestens ein Angriff in Armawir, in der südöstlichen russischen Region Krasnodar, scheint einige Schäden verursacht zu haben – RT DE berichtete.
"Diese Standorte waren nicht an der Unterstützung des russischen Krieges gegen die Ukraine beteiligt", sagte der US-Beamte. "Es handelt sich jedoch um sensible Standorte, da Russland den Eindruck gewinnen könnte, dass seine strategischen Abschreckungsfähigkeiten ins Visier genommen werden, was Russlands Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der nuklearen Abschreckung gegenüber den Vereinigten Staaten untergraben könnte", so der Gesprächspartner.
WP sprach auch mit ukrainischen Regierungsvertretern in Kiew. Ein "mit der Sache vertrauter" Beamter wies darauf hin, dass Russland die Radaranlagen für Überwachung des ukrainischen Luftraumes genutzt habe, um ukrainischen Drohnen- und Raketenangriffen zuvorzukommen. Der Gesprächspartner bestätigte, dass der ukrainische militärische Geheimdienst GUR für die Angriffe verantwortlich war.
Die US-Zeitung führt russische Geländegewinne der letzten Monate im ukrainischen Landkrieg unter anderem auf Russlands hoch entwickelte Radar- und Waffenstörtechnik zurück. Diese habe einige von den USA bereitgestellte Lenkraketen und Artilleriegranaten praktisch unbrauchbar gemacht. US-amerikanische Waffen und Drohnen mit größerer Reichweite werden aufgespürt, stellte die WP fest.
Der ukrainische Beamte erklärte der Zeitung, Ziel der Angriffe sei es gewesen, die Fähigkeit Russlands zu beeinträchtigen, die Aktivitäten des ukrainischen Militärs in der Südukraine zu verfolgen. Die Drohne, die auf die Radarstation in der Nähe von Orsk in der russischen Region Orenburg an der Nordgrenze Kasachstans abzielte, flog jedoch mehr als 1.800 Kilometer weit und war damit einer der am weitreichendsten Angriffe auf russisches Gebiet. Der ukrainische Beamte lehnte es ab, zu sagen, ob der Angriff am 26. Mai irgendwelche Schäden verursacht hat.
Im Artikel wurde jedoch ein weiterer Angriff auf russische Radaranlagen nicht erwähnt, zu dem sich der ukrainische Militärgeheimdienst GUR auch bekannt hat – die versuchte Drohnenattacke auf den Überhorizont-Radar 29B6 Container in der Wolga-Region Mordowien am 18. April. Auch wurde am 29. Mai die zuvor beschädigte Radar-Station in Armawir in der Region Krasnodar offenbar erneut angegriffen – die Drohne wurde am Himmel über die Stadt abgeschossen.
Einige von der WP befragten Analysten äußerten sich verwundert über die Ziele: Während Krasnodar nahe genug an der Ukraine liegt, um Raketen und Drohnen aufzuspüren, ist die Radarstation bei Orsk auf den Nahen Osten und China ausgerichtet, sagten diese. Auf die Frage, warum sie einen so weit entfernten Standort ins Visier nehmen würden, erklärte der ukrainische Beamte, dass Russland "alle seine Fähigkeiten für einen Krieg gegen die Ukraine eingesetzt" habe.
Die US-Zeitung mit ausgezeichneten Kontakten in die von der Demokratischen Partei geführte Biden-Regierung erkennt an, dass die USA in eine strategische Zwickmühle mit einem extremen Gefahrenpotenzial geraten sind. Einerseits hätten die USA Verständnis für die Notlage der Ukraine, denn Beamte der US-Regierung überlegen derzeit, ob sie die Beschränkungen für den Einsatz von US-Waffen für Angriffe innerhalb Russlands aufheben sollen.
Andererseits wird diese Erlaubnis das Risiko eines Zusammenstoßes zwischen den beiden nuklearen Supermächten Russland und die USA erhöhen. Sollten Russlands Frühwarnsysteme durch ukrainische Angriffe auch nur teilweise geblendet werden, könnte dies die strategische Stabilität zwischen Washington und Moskau beeinträchtigen, so der anonym gebliebene Regierungsvertreter. "Russland könnte denken, dass es weniger in der Lage ist, frühe nukleare Aktivitäten gegen sich selbst zu erkennen, was dann zu einem Problem werden könnte", sagte der Beamte. Er fügte hinzu:
"Es sollte jedem klar sein, dass die Vereinigten Staaten nicht die Absicht haben, Atomwaffen gegen Russland einzusetzen. Aber es gibt sicherlich Bedenken darüber, wie Russland es wahrnehmen könnte, wenn seine Abschreckungsfähigkeiten ins Visier genommen und Frühwarnsysteme angegriffen werden."
Der Sicherheitsanalytiker und Vorsitzende der Denkfabrik Silverado, Dmitri Alperowitsch, stimmt dem zu. Die Angriffe Kiews auf die russische nukleare Abschreckungsinfrastruktur hätten das Potenzial, eine gefährliche Eskalation mit dem Westen auszulösen.
"Letztendlich sollten nukleare Kommando- und Kontrollzentren sowie Frühwarnsysteme tabu sein", betonte er.
Russische offizielle Amtsträger und Militärbehörden haben die ukrainischen Angriffe auf Frühwarnradare bislang nicht kommentiert. Experten auf diesem Gebiet vermuten, dass die Kommunikation zu den Vorfällen auf geheimen Regierungskanälen stattfindet. Die Publikation in der Washington Post könnte damit Ergebnis dieser Bemühungen sein. Viele internationale Experten für nukleare Sicherheit schlugen angesichts der gelungenen Attacke auf die Armawir-Station Alarm – RT DE berichtete.
In den russischen Medien wird die Meinung einiger hochrangiger Sicherheitsexperten immer populärer, Russland müsse den Westen erneut dazu bringen, einen nuklearen Krieg zu fürchten. Der bekannte Politologe Sergei Karaganow schlug vor wenigen Tagen im russischen Fernsehen vor, die US-Basen überall auf der Welt anzugreifen, wenn russische Warnungen weiterhin ignoriert werden.
Doch manchen Kreisen in den USA und ihren Verbündeten in Europa bereitet die sich immer mehr abzeichnende Niederlage der Ukraine offenbar viel mehr Sorgen als die sich immer deutlicher abzeichnende Gefahr eines nuklearen Weltkriegs. Der WP-Artikel endet mit dem Hinweis auf den Druck der NATO und einiger wichtiger europäischer Verbündeter auf die USA, der Ukraine den Einsatz aller von den USA zur Verfügung gestellten Waffen für Angriffe auf russisches Territorium zu gestatten. Allen voran NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg:
"Wenn man die russischen Streitkräfte auf der anderen Seite der Frontlinie nicht angreifen kann, weil sie sich auf der anderen Seite der Grenze befinden, dann schränkt man natürlich die Fähigkeit der ukrainischen Streitkräfte ein, sich selbst zu verteidigen", sagte der höchste politische Beamte der Militärallianz am Montag bei einem Besuch in Bulgarien.
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