Von Andrei Koz
Angriff aus dem Süden
Wladimir Putin hat die Entscheidung getroffen, die Manöver am 6. Mai abzuhalten. Der südliche Militärbezirk wurde nicht zufällig ausgewählt – dort findet eine besondere Militäroperation statt. Das Signal Moskaus an die NATO-Führung ist unmissverständlich: Mischt euch nicht ein! Die Übungen der nicht-strategischen Nuklearstreitkräfte sind eine klare Demonstration dessen, was mit den Militärs der westlichen Länder passieren wird, wenn sie sich auf eine direkte bewaffnete Konfrontation mit Russland einlassen.
"Die Übung zielt darauf ab, die Bereitschaft des Personals und der Ausrüstung der Einheiten für den Kampfeinsatz nicht-strategischer Kernwaffen aufrechtzuerhalten, um die territoriale Integrität und Souveränität des russischen Staates als Reaktion auf provokative Äußerungen und Drohungen gewisser westlicher Vertreter gegen die Russische Föderation bedingungslos zu gewährleisten", heißt es in der offiziellen Mitteilung des Verteidigungsministeriums.
Der Algorithmus für solche Manöver war zu Sowjetzeiten gut bekannt. Es gibt mehrere Stufen. Zunächst werden die nuklearen Sprengköpfe von den Depots direkt zu den Truppen gebracht. Anschließend folgt das Andocken, die Überprüfung und die technische Konfiguration der Sprengköpfe, die sich bereits auf den Trägern befinden. Dann – Ausarbeitung des Mechanismus für die Genehmigung durch den Oberbefehlshaber, Entriegelung der Ladungen, Einführung von Flugmissionen und praktischer Einsatz. Das größte Interesse gilt dabei der Frage, ob Kampfeinsätze mit speziellen Sprengköpfen gegen Ziele auf Schießplätzen durchgeführt werden sollen.
Der wahrscheinliche Gegner ist durch das Unbekannte eindeutig verunsichert. Tatsache ist, dass taktische Atomwaffen im Gegensatz zu strategischen Atomwaffen nicht durch den START-Vertrag geregelt sind und nicht nachgewiesen werden müssen. Wie viele taktische Nuklearwaffen Moskau besitzt, wo sie gelagert sind und auf welchen Trägern sie eingesetzt werden können, ist streng geheim.
"Iskander" und "Kinschal"
Die Truppen haben bereits nukleare Gefechtsköpfe aus den Lagern erhalten und mit deren Transport direkt zu den Positionen der Abschussanlagen begonnen. Das Verteidigungsministerium hat ein kurzes Video veröffentlicht: Iskander-Komplexe mit ballistischen Raketen und Marschflugkörpern bewegen sich in Begleitung einer Schutztruppe zu ihren Abschusspositionen. Am Ende des Videos werden MiG-31K-Abfangjäger mit unter dem Rumpf aufgehängten Kinschal-Hyperschallraketen einem Vorflugtraining unterzogen. Die Bugverkleidungen der Raketen sind rot lackiert.
Der nukleare Gefechtskopf für das Raketenabwehrsystem Iskander ist seit 2018 bekannt, als ein Modell des Gefechtskopfes auf dem "Armee"-Forum vorgeführt wurde. Die Leistung liegt nach verschiedenen Schätzungen zwischen fünf und 50 Kilotonnen. Zum Vergleich: Die auf Hiroshima abgeworfene Bombe hatte 15 Kilotonnen. Zusammen mit der überragenden Zielgenauigkeit der Iskander reicht dies aus, um jedes noch so gut befestigte Objekt innerhalb von Minuten zu zerstören. Übrigens sind die Raketenköpfe auf dem Video des Verteidigungsministeriums unscharf – es ist möglich, dass sie sich von dem vor sechs Jahren vorgestellten Modell stark unterscheiden.
Über die nuklear bestückten Kinschals gibt es in offenen Quellen keine Informationen – das Verteidigungsministerium erklärte in einer Pressemitteilung lediglich die Möglichkeit, Spezialsprengköpfe auf der Rakete zu installieren. "Das Personal der an der Übung beteiligten Luft- und Raumfahrteinheiten der russischen Luft- und Raumfahrtkräfte übt die Bestückung luftgestützter Vernichtungswaffen mit Spezialsprengköpfen, einschließlich aeroballistischer Hyperschallraketen vom Typ Kinschal, und Einsätze in bestimmten Patrouillengebieten", so das Ministerium.
Über die Sprengkraft des Kinschal-Sprengkopfes kann man nur spekulieren. Die leichtere sowjetische Luft-Boden-Rakete Ch-59M konnte einen Sprengkopf mit einer Sprengkraft ab drei bis fünf und bis zu 50 oder 100 Kilotonnen tragen. Die Kinschal hat wahrscheinlich ungefähr die gleiche Leistung. Aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit von bis zu 14.000 Kilometern pro Stunde kann sie jedoch jedes Luft- und Raketenabwehrsystem überwinden.
Das größte Arsenal
Neben luft- und bodengestützten Raketen verfügt Russland seit der Sowjetzeit über eine breite Palette an nuklearen Artilleriesprengköpfen. Die kleinste ist die 152-Millimeter-Granate 3BW3, die 1981 in Dienst gestellt wurde. Sie wurde als Standard-Splittergeschoss für die Kanonen D-20, ML-20, die Panzerhaubitzen 2S3 "Akazija", 2S5 "Giazint-S" und die gezogene "Giazint-B" entwickelt. Die Leistung beträgt 2,5 Kilotonnen.
Somit können alle russischen Artilleriegeschütze des Kalibers 152 Millimeter diese Geschosse verschießen. Ähnliche Munition gibt es auch für den 240-Millimeter-Mörser mit Eigenantrieb "Tjulpan". Ihre Reichweite reicht aus, um sicherzustellen, dass die Konstruktion nicht durch eine nahe gelegene nukleare Explosion beeinträchtigt wird. Es ist nicht klar, wie viele dieser Geschosse in den Lagern verblieben sind und ob das Verteidigungsministerium plant, mit ihnen Schießübungen durchzuführen.
Die seegestützten "Kalibr"-Marschflugkörper können auch mit einem nuklearen Sprengkopf ausgestattet werden. Technisch steht der Platzierung eines Sprengkopfes mit einer Sprengkraft von 50 bis 200 Kilotonnen im Rumpf nichts im Wege. Über die Teilnahme von Einheiten der Marine an den Übungen wurde jedoch nichts berichtet.
Westlichen Experten zufolge ist das russische Arsenal an nicht-strategischen Kernwaffen das größte der Welt. Und es ist verständlich, warum das Verteidigungsministerium mit Informationen darüber äußerst geizt – soll doch der wahrscheinliche Gegner selbst entscheiden, was unsere Fähigkeiten sind.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 23. Mai 2024.
Andrei Koz ist ein Kriegsberichterstatter der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.
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