Wladimir Selenskij soll glauben, dass seine Generäle ihm die Wahrheit über den Verlauf der Kämpfe mit Russland vorenthalten, und sie deswegen lautstark beschimpfen. Dies geht aus einem Bericht der Wochenzeitung The Economist hervor.
Hintergrund des Konflikts zwischen Selenskij und seinen Militärführern sei die laufende russische Offensive im ukrainischen Gebiet Charkow, bei der Russlands Streitkräfte erhebliche Geländegewinne erzielen konnten. Der Zeitung zufolge sind die in der Region eingesetzten ukrainischen Truppen darüber wütend und entwickeln diverse Theorien über die Ursachen des eigenen Misserfolgs.
Unter anderem sollen einige ukrainische Militärs den USA und seinen Verbündeten vorwerfen, nicht rechtzeitig und unzureichend Militärhilfe zu leisten, während andere "Inkompetenz oder gar Verrat" wittern. Es gebe "Verschwörungstheorien", wonach Charkow im Rahmen eines Friedensabkommens an Russland abgetreten werden könnte.
Denis Jaroslawski, ein Offizier der ukrainischen Spezialkräfte, hatte zuvor in diesem Monat durch seine Posts in sozialen Medien die Öffentlichkeit auf den mangelhaften Zustand der ukrainischen Verteidigungslinien im Gebiet Charkow gemacht. Nach seinen Angaben fehlten Befestigungsanlagen und Minenfelder an den für sie vorgesehenen Orten, was Russlands Offensive begünstigt habe. Gegenüber dem Economist behauptete Jaroslawski, dass der ukrainische Staatschef von seinen Beratern mit falschen Erfolgsmeldungen vertröstet werde:
"Selenskij wird in einem warmen Bad gehalten."
Ein weiterer ukrainischer Regierungsbeamter, der anonym bleiben wollte, vermutete im Gespräch mit der Zeitung, Selenskij spüre, dass ihm die Wahrheit vorenthalten werde. Der Beamte sagte:
"Deswegen brüllt er seine Generäle an."
Meldungen über Selenskijs angespanntes Verhältnis zu seiner Militärführung hatten auch in der Vergangenheit in ukrainischen und westlichen Medien kursiert. Laut einem umfangreichen Artikel, der im US-amerikanischen Time Magazine am 1. November 2023 erschienen war, ist ein militärischer Sieg über Russland für Selenskij zu einer beinahe wahnhaften Obsession geworden. Dies habe dem ukrainischen Staatschef Konflikte mit Militärs bereitet, die sich weigerten, seine Befehle zu befolgen.
Zahlreiche weitere Berichte thematisierten einen vermuteten Konflikt zwischen Selenskij und General Waleri Saluschny, der als militärischer Oberbefehlshaber unter anderem während der gescheiterten ukrainischen Sommeroffensive im Jahr 2023 gedient hatte. Im Februar 2024 wurde Saluschny von seinem Posten abgesetzt und durch Alexander Syrski ersetzt.
Am 20. Mai berichtete der Pressedienst des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR, dass Selenskijs Zustimmungswerte unter der ukrainischen Bevölkerung 17 Prozent erreicht haben und weiterhin sinken. Die Behörde erklärte weiter:
"Selbst unter den Angehörigen der Streitkräfte der Ukraine, die ununterbrochen ideologisch bearbeitet werden, übersteigt Selenskijs Popularität nicht 20 Prozent."
Vor dem Hintergrund des Ablaufs seiner legalen Amtszeit am 20. Mai befürchte der ukrainische Staatschef einen Verlust seiner Legitimität und betreibe umfassende "Säuberungskampagnen" in der ukrainischen Regierung und Militärführung, heißt es in der Meldung des SWR weiter.
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