Von Pierre Lévy
Ungarn ist seit langem den Bürokraten in Brüssel ein Dorn im Auge. Die Europäische Kommission, das Europarlament, aber auch die meisten Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten beschuldigen den ungarischen Premierminister Viktor Orbán, die "Rechtsstaatlichkeit" in seinem Land zu untergraben, die Unabhängigkeit der Justiz zu unterminieren, eine Korruption zugunsten seiner politischen Freunde zu dulden und die Kontrolle über die großen Medien zementieren zu wollen. In diesem Zusammenhang ist Ungarn Angeklagter in verschiedenen Sanktionsverfahren. Dem Land ist der Zugang zu europäischen Finanzmitteln teilweise blockiert worden.
Was die anderen EU-Granden aber am meisten verletzt, ist die Aufrechterhaltung guter wirtschaftlicher und politischer Kontakte sowohl zu Russland als auch zu China. Im Oktober 2023 reiste Herr Orbán als einziger der 27 Staats- und Regierungschefs nach Peking.
Denn dort wurde der dritte Jahrestag der "Neuen Seidenstraßen"-Initiative gefeiert, der großen Initiative der Volksrepublik zur Ankurbelung eines internationalen Handels, der nicht vom Westen dominiert wird. Dieser Initiative schloss sich Ungarn 2015 als erstes EU-Land an und ist bis heute deren einziger Partner in der EU, nachdem sich Italien kürzlich unter der EU-freundlicheren Regierung von Giorgia Meloni wieder aus der Initiative zurückgezogen hat. Viktor Orbán hatte seinen Eindruck sogar noch verschlimmert, als er vor Ort demonstrativ ein bilaterales Treffen mit Wladimir Putin veranstaltete. In Peking hatte er sich für den chinesischen Friedensplan zur Aushandlung eines Friedens in der Ukraine ausgesprochen, und das zu einem Zeitpunkt, als die EU gerade beschloss, ihre Waffenlieferungen an Kiew zu beschleunigen.
Zwar hat man in Budapest bisher alle dreizehn antirussischen Sanktionspakete, gegen die man hätte ein Veto einlegen können, durchgehen lassen und ebenso schließlich die finanzielle Unterstützung der EU für die Ukraine akzeptiert. Orbáns Beziehungen zu Moskau und Peking stoßen jedoch daher auf zunehmende Feindseligkeit bei vielen seiner europäischen Kollegen. Sie wagen es nicht mehr, in seiner Gegenwart zu sprechen – aus Angst, Informationen an den "Feind" durchsickern zu lassen. Der rechtskonservative Viktor Orbán, der bei den Wahlen im April 2022 triumphal wiedergewählt wurde, kann davon ausgehen, dass er freie Hand hat, zumal er einen Teil seiner Kampagne mit dem Thema Frieden geführt hatte, während seine Gegner sich an der offiziellen Kriegstreiberei der EU orientierten.
Mit seinem Empfang für das chinesische Staatsoberhaupt Xi Jinping am 9. Mai hat er seine EU-Kollegen erneut in Rage gebracht. Der chinesische Präsident hatte seine Europa-Tour in Frankreich begonnen. Dabei meinte Emmanuel Macron (in Anwesenheit von Ursula von der Leyen, die er eingeladen hatte, um "die Einheit der Europäer" zu demonstrieren), Xi wegen der aktuellen Industrie- und Handelspolitik des früheren "Reichs der Mitte" tadeln zu dürfen. Obendrein hegte Macron aber auch noch die völlig irrige Hoffnung, Xi Jinping die westlichen Thesen gegenüber Russland nahebringen zu können.
Die zweite Station des chinesischen Staatsoberhaupts war Belgrad vorbehalten, die Beziehungen zu Serbien wurden im letzten Jahrzehnt spürbar gefestigt. Der Austausch mit der serbischen Führung war herzlich, was die Herrschaften in Brüssel bereits verärgerte, weil nach deren Ansichten Serbien als EU-Kandidat seine Außenpolitik an die des EU-Blocks anpassen müsste. Noch ernster liegt der Fall bei Ungarn, das seit 20 Jahren Mitglied der EU ist und wo der chinesische Präsident seine dritte und letzte Station in Europa machte. Im Übrigen ist noch zu erwähnen, dass die USA, die sich überall auf dem Alten Kontinent wie zu Hause fühlen, nicht zögerten, sofort die Errichtung einer "antiwestlichen Achse" zwischen Peking, Budapest und Belgrad anzuprangern, von der lediglich Russland profitieren könne.
Bei der Begrüßung seines chinesischen Gastgebers erinnerte Viktor Orbán an die alte Freundschaft zwischen den beiden Ländern, die "auf Prinzipien gegründet ist ", und nannte als solche explizit den "gegenseitigen Respekt" und die Anerkennung des Ein-China-Prinzips. Xi Jinping seinerseits begrüßte die Tatsache, dass "die chinesisch-ungarischen Beziehungen in ihrer 75-jährigen Geschichte ihren Höhepunkt erreicht haben" und sprach sich dafür aus, "unsere strategische Partnerschaft auf neue Höhen zu bringen".
Xi betonte die Bedeutung der gegenwärtigen, aber auch der künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Ländern. Peking finanziert beispielsweise den Bau der Eisenbahnverbindung zwischen Budapest und Belgrad und ist vor allem der größte ausländische Investor in Ungarn, im letzten Jahr mit einer Summe von etwa 15 Milliarden Euro. Ein bedeutendes Beispiel ist der Mischkonzern BYD, Weltmeister im Bereich der Elektroautos und deren Batterien, der derzeit eine riesige Fabrik im Süden Ungarns errichtet. Der Vorteil für die chinesische Firma: Die Fahrzeuge können zollfrei auf dem europäischen Binnenmarkt verkauft werden. Die ungarische Regierung ihrerseits kompensiert auf diese Weise teilweise die in Brüssel eingefrorenen EU-Finanzierungen für das Land.
Insgesamt wurden in Budapest achtzehn neue Verträge angekündigt. Neben der Industrie und dem Transportwesen ist auch der Energiesektor ein Schwerpunktbereich. Der Bau einer Ölpipeline zwischen Ungarn und Serbien wurde ebenfalls vereinbart. Ungarn ist eines der wenigen Länder, die noch russisches Öl importieren. Auch die Zusammenarbeit im Atomenergiebereich soll in den Vordergrund gerückt werden. Auf kultureller Ebene schließlich wird Budapest bald einen chinesischen Campus beherbergen, ein einzigartiges Beispiel in der EU, was die akademischen Beziehungen festigen dürfte.
Der Besuch des chinesischen Präsidenten erscheint daher als klarer diplomatischer Erfolg für Ungarn, das den Ehrgeiz hat, eine "Brücke" zwischen Ost und West zu sein, und anderseits als eine Ohrfeige für Brüssel, von wo unablässig eine einheitliche Außenpolitik gegenüber den großen "Feinden" oder zumindest Rivalen gefordert wird. Die EU-Granden sind wütend auf Peking, dem es auf diese Weise gelungen ist, einen Keil in die EU zu treiben.
Doch das Schlimmste steht ihnen vielleicht noch bevor: Ungarn, das für eine Deeskalation gegenüber Moskau und für engere Beziehungen zu Peking eintritt – also für das Gegenteil der derzeitigen EU-Politik – wird in der zweiten Hälfte dieses Jahres den turnusmäßigen Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernehmen. Und Xi Jinping lobte Ungarn für dessen Willen zur "Unabhängigkeit" – was für eine feinsinnige Art, unauffällig Salz in die offenen Wunden zu streuen.
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