Das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten von Amerika hat mit großer Mehrheit einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die bundesweit ohnehin geltende Definition von Antisemitismus trotz des Widerstands von Bürgerrechtsgruppen noch erweitern würde.
Der Gesetzentwurf wurde am Mittwoch mit 320 zu 91 Stimmen verabschiedet und wird weitgehend als Reaktion auf die anhaltenden Proteste gegen den Gaza-Krieg an den US-Universitäten gesehen. Der Gesetzentwurf wird nun dem US-Senat zur Prüfung vorgelegt.
Sollte der Gesetzentwurf in Kraft treten, würde er eine von der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (International Holocaust Remembrance Alliance; IHRA) erstellte Definition von Antisemitismus im Bürgerrechtsgesetz der USA, dem Titel VI des Civil Rights Act von 1964, genauer kodifizieren.
Dabei handelt es sich um ein bundesweit in den USA geltendes Antidiskriminierungsgesetz, das Diskriminierung aufgrund von Abstammung, ethnischen Merkmalen oder nationaler Herkunft verbietet. Die Aufnahme der IHRA-Definition in das Gesetz würde es dem Bundesbildungsministerium ermöglichen, Finanzmittel und andere Ressourcen für Hochschulen einzuschränken, die unter dem Verdacht stehen, antisemitisch zu sein.
Kritiker warnen jedoch davor, dass die IHRA-Definition dazu verwendet werden könne, Proteste gegen Israels Krieg im Gazastreifen zu unterdrücken, der bisher laut den Vereinten Nationen mehr als 30.000 Palästinenser, zumeist Zivilisten, das Leben gekostet hat.
Die Arbeitsdefinition der IHRA für Antisemitismus lautet:
"Eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegen Juden äußern kann. Rhetorische und physische Manifestationen des Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nichtjüdische Personen und/oder deren Eigentum, gegen jüdische Gemeinschaftseinrichtungen und religiöse Einrichtungen."
Nach der IHRA umfasst diese Definition allerdings ausdrücklich auch alle "Angriffe auf den Staat Israel, der als jüdische Gemeinschaft verstanden wird".
Die Gruppe führt in ihrer Definition auch bestimmte Beispiele an, um vermeintlichen Antisemitismus zu veranschaulichen. Die Aussage, dass "die Existenz des Staates Israel ein rassistisches Unterfangen ist", würde nach dieser Definition bereits als antisemitisch gelten. Die Definition verbietet auch jeden Vergleich zwischen der "gegenwärtigen israelischen Politik" und der "Politik der Nazis".
Die IHRA stellt jedoch klar, dass "Kritik an Israel, die ähnlich wie die an einem anderen Land geäußert wird, nicht als antisemitisch angesehen werden kann".
Menschenrechtsgruppen haben jedoch Bedenken geäußert, dass diese Definition dennoch Kritik am Staat Israel und am Zionismus weitestgehend mit Antisemitismus gleichsetzt.
In einem Schreiben an alle Abgeordneten vom Freitag forderte die American Civil Liberties Union (ACLU) die Mitglieder des Repräsentantenhauses auf, gegen das Gesetz zu stimmen, da das Bundesrecht ohnehin bereits antisemitische Diskriminierung und Belästigung verbiete.
Der Gesetzentwurf sei "daher nicht erforderlich, um vor antisemitischer Diskriminierung zu schützen", heißt es in dem Schreiben. Weiter schrieb die Organisation:
"Stattdessen würde es wahrscheinlich die freie Meinungsäußerung von Studenten auf dem College-Campus einschränken, indem Kritik an der israelischen Regierung fälschlicherweise mit Antisemitismus gleichgesetzt wird."
Diese Befürchtungen wurden bereits auch im Repräsentantenhaus selbst geäußert. Während einer Anhörung am Dienstag sagte der Abgeordnete Jerry Nadler von der Demokratischen Partei, die Definition sei zu weit gefasst. Er erklärte wörtlich:
"Indem er rein politische Äußerungen über Israel in den Geltungsbereich von Titel VI einbezieht, geht der Gesetzentwurf zu weit."
Der republikanische Abgeordnete Thomas Massie von der Republikanischen Partei kritisierte den Gesetzentwurf in einem Beitrag auf der Social-Media-Plattform X. Er kritisierte, dass darin nur auf die IHRA-Definition verwiesen wird, ohne den genauen Wortlaut zu nennen oder klar zu sagen, welche Teile gesetzlich verankert werden sollen. Massie schrieb auf X:
"Um die gesetzlich festgelegte Definition von Antisemitismus zu finden, muss man [die IHRA-Website] aufsuchen. ... Dort ist nicht nur die Definition aufgeführt, sondern man findet auch konkrete Beispiele für antisemitische Äußerungen. Werden diese Beispiele auch in das Gesetz aufgenommen?"
Die IHRA hat ihre aktuelle Definition von Antisemitismus im Jahr 2016 verabschiedet, und das US-Außenministerium unter dem derzeitigen US-Präsidenten Joe Biden wie unter seinen beiden Vorgängern hat sich diese Definition zu Eigen gemacht.
Die Abstimmung am Mittwoch fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem weiterhin Proteste gegen den israelischen Krieg im Gazastreifen an US-amerikanischen Universitäten stattfinden. Im April kam es zu Zeltlagern auf den Rasenflächen der Universitäten, während die Studenten ihre Universitätsleitungen aufforderten, sich von Israel zu distanzieren und die Netanjahu-Regierung zu einem Waffenstillstand aufzurufen.
Die US-Regierung unter Biden und andere hochrangige Offizielle in Washington, D.C. haben Israel trotz der zunehmenden humanitären Bedenken gegenüber der Militäraktion dieses Landes Israel ihre weitere Unterstützung zugesagt.
Auch haben US-Abgeordnete ihrerseits den Druck auf die Universitätsverwaltungen erhöht, die Proteste der Studenten zu unterdrücken, die sie als antisemitisch bezeichnet haben.
Die Anführer der Proteste im ganzen Land weisen diese Charakterisierung jedoch zurück. Stattdessen werfen sie der Verwaltung und den lokalen Behörden vor, Unterstützung für die Palästinenser mit Antisemitismus zu verwechseln.
Die Demonstranten kritisieren zudem, dass die Universitätsverwaltungen versuchen würden, die US-Abgeordneten zu beruhigen, indem sie das gewaltsame Vorgehen von Polizeikräften ausdrücklich tolerieren.
Am Dienstag kündigte der Sprecher des Repräsentantenhauses Mike Johnson von der Republikanischen Partei an, dass mehrere Ausschüsse des Repräsentantenhauses mit der Untersuchung des mutmaßlichen Campus-Antisemitismus beauftragt werden sollen.
Kritiker befürchten jedoch, diese Untersuchung könne letztlich dazu führen, dass den Universitäten, an denen die Proteste stattfinden, staatliche Gelder für die Forschung und andere staatliche Unterstützung künftig vorenthalten werden.
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