Von Rüdiger Rauls
All das wäre ausreichend Grund, den Chinesen Honig um den Bart zu schmieren, um sie gewogen zu stimmen. Stattdessen scheint man es vorzuziehen, ihnen ans Schienbein zu treten, wo es nur geht. Das entspricht einem Denken vieler Kräfte im politischen Westen, das noch in der Kolonialzeit verhaftet ist: "Wir haben es nicht nötig, um Hilfe zu bitten. Es ist eine Auszeichnung, uns gefällig sein zu dürfen." Ein ähnlich überhebliches Denken liegt der Vorstellung einer moralischen Überlegenheit zugrunde, die sich auf sogenannte westliche Werte stützt.
Doch hilft dieses Denken nicht weiter, wenn es um die Beilegung der Krisen in der Welt geht. Denn egal, ob in der Ukraine oder im Nahen Osten, überall wird deutlich, dass man ohne die Hilfe Chinas nicht mehr auskommt. Aber statt sich dies einzugestehen, stellt man überrascht, ja sogar empört fest: Den "Bitten westlicher Staatschefs zu Chinas Russlandpolitik … ist Peking nicht gefolgt. … von seiner strategischen Partnerschaft mit Putin rückt Xi nicht ab." Aber klüger wird man anscheinend aus diesen Feststellungen nicht.
Unbelegte Behauptungen und "Vorwürfe des Westens, dass Russland aus China Hilfe für seinen Krieg bekommt", sollen vergessen machen, dass die größten Mengen an Geld und Waffen aus dem politischen Westen nach Kiew fließen. Egal, wie man zu diesem Krieg steht, so ist doch eine Haltung weltfremd, die davon ausgeht, dass nur eine Seite berechtigt ist, die eigenen Favoriten zu unterstützen. Moralische Empörung darüber, dass die Gegenseite genauso handelt wie man selbst, führt nicht zum Ende des Konflikts.
Belehrungen westlicher Politiker wie Janet Yellen erwecken den Eindruck, dass sie den Chinesen weismachen wollen, deren Interessen besser zu kennen als jene selbst. Und sie scheinen zu glauben, dass sie diese mit hochmütigem Auftreten über die eigene Schwäche hinwegtäuschen könnten.Denn nicht nur in der Ukraine versuchen sie, die Chinesen auf ihre Seite zu ziehen. Auch im Nahost-Konflikt machen sie deutlich, dass sie auf Chinas Unterstützung angewiesen sind. Nicht in der Lage, die Situation selbst zu bereinigen, hat der amerikanische Außenminister Anthony Blinken "China aufgefordert, seinen Einfluss in Teheran geltend zu machen" – natürlich im Interesse der USA.
Es ist kein Wunder, dass der Westen mit einem solchen Auftreten Sympathien nicht nur in China verspielt, sondern diese auch bei den Völkern im Nahen Osten inzwischen weitgehend verloren hat. In solchen Aussagen offenbart sich eine Einstellung, die den Interessen anderer Völker und Staaten keine Bedeutung beimisst. Die Gleichgültigkeit gegenüber den Sicherheitsinteressen Russlands war es ja gerade, die in den Krieg in der Ukraine mündete, und ähnlich ist es bei den Interessen der Palästinenser.
Materielle Werte
Zu den politischen und diplomatischen Einflussverlusten des Westens treten jene im wirtschaftlichen Bereich hinzu, aber auch auf dem Gebiet der Wissenschaft und der technologischen Entwicklung. Die lauthals verkündete Überlegenheit der eigenen Werte bringt die Schlagseiten in den Handelsbilanzen nicht ins Gleichgewicht. Wenn sich auch besonders die USA noch so große Mühe geben, so gelingt es trotz aller Exportkontrollen nicht, Chinas Entwicklung aufzuhalten. Denn die ideellen westlichen Werte können schon gar nicht die Abhängigkeit von materiellen Werten wie den chinesischen Industrieprodukten und Rohstoffen aufheben.
Die derzeitigen Behinderungsversuche gegenüber China sind eine Reaktion auf die chinesischen Fortschritte in Wissenschaft, Technologie, Produktion und Welthandel. Die Phase der Globalisierung hat nicht nur dem Westen neue Absatzmärkte erschlossen, sie hat auch sehr stark zur Entwicklung der chinesischen Wirtschaft beigetragen. Westliche Unternehmen können in vielen Technologiebereichen mit diesem neuen Konkurrenten nicht mehr mithalten und haben inzwischen Marktanteile und Umsatz an diesen verloren.
In manchen Wirtschaftsbereichen wie der Batterieherstellung haben die Chinesen eine marktbeherrschende Stellung erreicht, sodass westliche Unternehmen dort nur schwer Fuß fassen können. Die nun stattfindende Gegenbewegung zur Globalisierung hatte US-Präsident Donald Trump eingeleitet, der unter dem Vorwand einer nationalen Bedrohung für die USA Einschränkungen für die Mobilfunk-Unternehmen Huawei und ZTE auf dem US-Markt erließ.
Damit aber nicht genug. Amerikanische Regierungen weiteten ihre nationalen Maßnahmen gegen die chinesische IT-Industrie auch auf "politische Verbündete und Handelspartner in aller Welt" aus. US-Sanktionslisten verbieten Herstellern und Zulieferern der gesamten westlichen Chipindustrie "unter Strafandrohung, bestimmte Produkte oder spezielle Ausrüstungen ins Reich der Mitte zu liefern". Das bekannteste Beispiel ist die niederländische ASML, der weltweit führende Hersteller von Chipmaschinen. Die niederländische Regierung beugte sich dem Diktat der USA und verbot dem eigenen Unternehmen die Ausfuhr seiner Produkte nach China.
Solche Maßnahmen treffen aber nicht nur China, sondern schwächen auch die westliche Wirtschaft selbst. Denn einerseits ergreift Peking Gegenmaßnahmen, die die eigene Chipindustrie zulasten der amerikanischen fördern. Die Ankündigung der chinesischen Regierung, bis 2027 amerikanische und westliche Chips durch chinesische zu ersetzen, "ließen die Aktien von Intel und AMD am Freitag um 1,5 Prozent zum Vortag" einbrechen. Schon am 22. März dieses Jahres hatten die beiden Unternehmen Wertverluste an den Börsen von vier Prozent hinnehmen müssen.
Andererseits haben neue "Exportbeschränkungen der amerikanischen Regierung" die Umsätze von Nvidia, dem führenden Hersteller von Chips für die Künstliche Intelligenz, um "25 bis dreißig Prozent" sinken lassen. Diese Auflagen gelten nicht nur für Ausfuhren nach China, sondern auch in andere Länder. Das bedeutet aber, dass Nvidia Umsatz in Höhe von etwa einem Viertel seiner Produktionskapazitäten verloren geht. Im Jahr 2022 hatte China ausländische Computer aus seinen Behörden verbannt. Als dasselbe gegen Apples iPhones verhängt wurde, büßte der Konzern "daraufhin 200 Milliarden Dollar an Börsenwert ein".
An diesen prominenten, aber nicht einzigen Beispielen wird deutlich, dass diese Politik der Eindämmung Chinas auf Kosten der Unternehmen im Westen geht. Man will den amerikanischen Technologievorsprung erhalten. Damit aber schwächt man die Unternehmen, die man vor chinesischer Konkurrenz schützen will. Umsatz und Wirtschaftlichkeit sinken, denn es gibt keinen Ersatz für die entgangenen Gewinne, womit die Innovationskraft der Unternehmen behindert wird. Zudem ist der Erfolg dieser Politik der Behinderung bisher nicht sehr erfolgreich.
Wertzuwachs
Wie die Ankündigung seiner Regierung zeigte, nimmt China den Kampf im Chipkrieg auf und stellt seinen Unternehmen die notwendigen Mittel zur Verfügung. Die Aufregung im Westen über die chinesischen Subventionen ist ähnliche Augenwischerei wie die Aufregung über dessen angebliche Waffenlieferungen an Russland. Auch im Westen fließen Hunderte Milliarden in den Auf- und Ausbau von Chip-, Batterie- und sonstigen modernen Industrien oder in die Kaufförderung von E-Autos.
Daran wird aber auch deutlich, dass die chinesischen Subventionen eine höhere Wirkung erzielen als die westlichen, weil chinesische Unternehmen die westlichen Märkte erobern, was den westlichen trotz Subventionen in China nicht gelingt. Angesichts der geringen Auslandsverschuldung und der hohen Rücklagen stehen China zudem genügend finanzielle Mittel zur Verfügung, um seinen Unternehmen für diese Aufgabe das nötige Kapital bereitzustellen.
Gerade die weitere Entwicklung des sanktionierten Huawei-Konzerns zeigt sehr deutlich, dass die westlichen Versuche, Chinas Aufstieg zu verhindern, zum Scheitern verurteilt sein dürften. Ende März meldete der Telekommunikationsriese einen Umsatzzuwachs von fast zehn Prozent, und der Nettogewinn stieg sogar um 140 Prozent. Der Präsident von Huawei, Ken Hu, erklärte zum Erfolg seines Unternehmens trotz Sanktionen und Hürden: "Mit einer Herausforderung nach der anderen haben wir es geschafft zu wachsen".
Viel wichtiger aber als diese Zahlen sind die Hintergründe dieser Entwicklung, die stellvertretend sein dürften für die gesamte chinesische Entwicklung und die Erfolgsaussichten der westlichen Behinderungen. Bereits im Sommer 2023 hatte Huawei mit seinem neuen Handy Mate 60 Aufsehen erregt. Darin war ein Chip verbaut, "der den Chinesen wegen bestehender Technologiesanktionen der USA bisher nicht zugetraut worden war". Damit macht Huawei sogar dem Konkurrenten Apple schwer zu schaffen. In der Folge sanken "in China die Umsatzzahlen für das iPhone, während die von Huawei kräftig gewachsen sind".
Das Bemerkenswerte daran ist, dass es sich dabei nicht um ein Zufallsergebnis handelt oder um erfolgreiche Spionage. Huawei ist es gelungen, die amerikanischen Sanktionen zu umgehen, indem es ein neues Verfahren entwickelt und patentiert hat, das "die Herstellung modernster Chips mit gar nicht mal so modernen Anlagen erlauben soll". Das bedeutet, dass die chinesische Chipindustrie vielleicht schon bald gar nicht mehr auf westliche Chips und Maschinen zu deren Herstellung angewiesen ist. Je nachdem wie die Entwicklung verläuft, könnte China auch anderen Staaten diese Verfahren lizenziert zur Verfügung stellen, womit die westliche Chipindustrie erheblich an Bedeutung verlieren dürfte.
Huawei ist kein Einzelfall. Es steht für eine technologische Aufholjagd, die die gesamte Breite einer Gesellschaft von 1,4 Milliarden gebildeten Menschen erfasst hat, die zudem "weit technologieaffiner ist als im Westen". Das macht sich auch bei den Patentanmeldungen bemerkbar, wo der Vorsprung Deutschlands nicht nur schrumpft, sondern dem gegenüber sich die Anmeldungen "aus China seit 2018 sogar mehr als verdoppelt" haben. Gegen diesen Erfindergeist können Sanktionen und Embargos wenig ausrichten.
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Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse.