Von Felicitas Rabe
Weltweit gibt es im Jahr 2024 ungefähr 1,4 Milliarden Katholiken. Ihr Anteil an der Weltbevölkerung beträgt 20 Prozent. Wobei die Verteilung in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist. Während sich in Deutschland mit 25 Prozent aktuell ein Viertel der Menschen zum katholischen Glauben bekennen, sind es im Nachbarland Polen immer noch 88 Prozent der Bevölkerung. In vielen Ländern des Westens spielen Religion und Gottesglaube im Alltag kaum mehr eine Rolle. Das ist in anderen Gegenden der Welt durchaus anders. Aber nicht nur in vielen arabischen Ländern prägt der islamische Glaube das Verhalten und die Traditionen der Menschen.
Auch der Katholizismus spielt in manchen Gesellschaften noch eine prägende Rolle, wie zum Beispiel in einigen südamerikanischen oder afrikanischen Ländern. Insofern beeinflussen Botschaften aus dem Vatikan immer noch das Denken und die Moralvorstellungen großer Teile der Weltbevölkerung. Möglicherweise richtet sich der Vatikan in seinen Werten und Moralvorstellungen aber auch an den Gläubigen aus, um nicht an Einfluss und Mitgliedern zu verlieren. In diesem Zusammenhang sind Inhalt und Wirkung der neuen Erklärung "Unendliche Würde", die der Vatikan am Montag veröffentlicht hat, nicht zu unterschätzen.
Hatte man in den letzten Jahren immer mehr den Eindruck, dass der Papst zunehmend die "woke" Vielfalt der Geschlechter befürwortet und wurden in Deutschland vor katholischen Kirchen immer häufiger Regenbogenfahnen als Bekenntnis zu neuen Werten gehisst, scheint die neue Botschaft der katholischen obersten Glaubensbehörde vom Montag wie eine Kehrtwende. In der Erklärung äußert sich der Vatikan ganz grundsätzlich dazu, wie er aktuell die Begriffe Menschenwürde und Menschenrechte interpretiert. Dabei grenzt sich Rom eindeutig von den letzten Interpretationen dieser Werte ab.
In dem Beitrag "Unendliche Würde: Die Kernsätze aus dem neuen Vatikan-Papier" wurden am Montag die wichtigsten Sätze aus der Erklärung "Dignitas infinita" (Unendliche Würde) auf vatikannews zusammengefasst. Zu den Begriffen Menschenrechte und Menschenwürde heißt es darin: "Der Begriff der Menschenwürde (wird) gelegentlich missbräuchlich verwendet, um eine willkürliche Vermehrung neuer Rechte zu rechtfertigen, von denen viele oft im Widerspruch zu den ursprünglich definierten stehen… Die Würde wird dann mit einer isolierten und individualistischen Freiheit gleichgesetzt, die beansprucht, bestimmte subjektive Wünsche und Neigungen als von der Gemeinschaft garantierte und finanzierte 'Rechte' durchzusetzen."
Anstatt also, wie heute üblich, Menschenrechte und Menschenwürde schwerpunktmäßig an dem Recht zu orientieren, als Mensch selbst seine sexuelle Identität wählen zu dürfen, orientiert sich das Vatikan-Papier ganz konkret an bis dato traditionellen Menschenrechten, wie zum Beispiel:
- Verpflichtung, Armut und ungleiche Reichtumsverteilung zu bekämpfen
- Verpflichtung, sich für den Frieden in der Welt zu engagieren
- Verpflichtung, die Würde von Männern und Frauen weltweit gleichermaßen zu achten
Im Gegensatz zum letzten Punkt, soll in Deutschland ab dem 1. November 2024 das Recht in Kraft treten, jedes Jahr seine sexuelle Identität ändern zu dürfen. Der Schutz des Geschlechterwechsels bestimmt hierzulande seit Jahren die Diskussion über Menschenrechte. Davon grenzt sich der Vatikan ganz scharf ab, und beruft sich hier auf die Naturwissenschaften. Schließlich könne man biologische Faktoren nicht ignorieren:
"Man kann das, was männlich und weiblich ist, nicht von dem Schöpfungswerk Gottes trennen, das vor allen unseren Entscheidungen und Erfahrungen besteht und wo es biologische Elemente gibt, die man unmöglich ignorieren kann."
Wobei in der Erklärung der Glaubensinstitution berücksichtigt wird, dass Menschen, die von Geburt an biologisch nicht eindeutig geschlechtlich zugeordnet werden können, das Recht auf eine Behandlung dieser biologischen Anomalie haben: "Damit soll nicht ausgeschlossen werden, dass eine Person mit bereits bei der Geburt vorhandenen oder sich später entwickelnden genitalen Anomalien sich für eine medizinische Behandlung zur Behebung dieser Anomalien entscheiden kann."
Gleichzeitig bekennt sich die katholische Kirche (zumindest schriftlich) weiterhin zur traditionellen Geschlechterdiskussion über die Gleichberechtigung von Frauen: "Gewalt gegen Frauen ist ein weltweiter Skandal, der zunehmend anerkannt wird. Während die gleiche Würde der Frauen in Worten anerkannt wird, sind die Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern in einigen Ländern sehr gravierend, und selbst in den am weitesten entwickelten und demokratischen Ländern zeugt die konkrete soziale Realität davon, dass Frauen oft nicht die gleiche Würde zuerkannt wird wie Männern."
Eindeutig bezieht Rom zudem Stellung gegen die Praxis der Leihmutterschaft zur Familienbildung. Sie verletzte die Würde des Kindes: "In diesem Sinne kann der legitime Wunsch, ein Kind zu bekommen, nicht in ein 'Recht auf ein Kind' umgewandelt werden…" In der Diskussion um das "Recht auf Leben" vertritt der Vatikan in puncto Sterbehilfe und Abtreibung weiter traditionelle Standpunkte der katholischen Kirche: "Es gibt in der Tat keine Bedingungen, ohne die das menschliche Leben nicht mehr würdig wäre und deshalb beseitigt werden könnte… Das Leben ist ein Recht, nicht der Tod, der angenommen werden muss und nicht verabreicht werden darf."
Das menschliche Leben sei in all seinen Bestandteilen, körperlich und geistig, ein Geschenk Gottes. Dieses Geschenk solle mit Dankbarkeit angenommen und in den Dienst des Guten gestellt werden. Nach der Gendertheorie sollte der Mensch in einer Art über sich selbst verfügen, die der alten Versuchung entspräche, sich selbst zum Gott machen zu wollen. Die Erklärung aus dem Vatikan fasst zusammen:
"Der Mensch erschafft seine Natur nicht, er besitzt sie als Geschenk."
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