Die Probleme in der Ukraine sind zu einem Streitthema der US-Innenpolitik geworden. Dies gefährde die Fähigkeit seines Landes, gegen Russland zu kämpfen, beklagte Wladimir Selenskij in einem Interview. Zum jetzigen Zeitpunkt, erklärte er am Samstag im ukrainischen Fernsehen, sei Kiew für jede Art von Unterstützung aus Washington dankbar, auch in Form eines Kredits.
Selenskij äußerte die Hoffnung, dass der US-Kongress ein zusätzliches Hilfspaket für Kiew, das seit Monaten in der Schwebe ist, genehmigen wird. Die lang erwartete Hilfe bezeichnete er als entscheidend. Er äußerte die Hoffnung auf ein "positives Votum des US-Kongresses".
"Leider sind wir eine Geisel der Tatsache, dass [in den USA] derzeit ein Wahlkampf tobt. Russlands Krieg gegen die Ukraine ist inzwischen zu einem innenpolitischen Thema in den Vereinigten Staaten geworden", so Selenskij. Er tadelte die US-Gesetzgeber für ihre "unausgereifte Herangehensweise" an den Konflikt und die globale Sicherheit im Allgemeinen.
US-Präsident Joe Biden drängt den Kongress seit mehreren Monaten, das von seiner Regierung geplante Hilfspaket zu verabschieden, das 60 Milliarden Dollar für die Ukraine vorsieht. Viele Republikaner lehnen die Maßnahme ab und fordern mehr Anstrengungen zur Stärkung der Sicherheit an der mexikanischen Grenze.
Selenskij deutete an, dass Kiew die Hilfe der USA auch in Form eines Kredits akzeptieren würde. "Wissen Sie, ein Senator war kürzlich da und fragte: Würden Sie einem Kredit zustimmen? Seien wir ehrlich: Wir werden jeder Option zustimmen", sagte er und fügte hinzu, dass das Schicksal der Ukraine auf dem Spiel stehe.
Selenskij bezog sich damit auf den hochrangigen republikanischen Senator Lindsey Graham (in Russland als Terror-Unterstützer gelistet – Anm. der Red.), der im vergangenen Monat nach Kiew gereist war, um für die Kreditidee zu werben, die zuvor vom republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump ins Spiel gebracht worden war. Graham behauptete damals, er habe Selenskij direkt angesprochen und ihm gesagt: "Es ist nicht unfair, wenn ich Sie und andere Verbündete darum bitte: Zahlen Sie es uns später zurück, wenn Sie können."
Daraufhin berichtete Politico, dass Kiew zwar bereit sei, den Vorschlag in Betracht zu ziehen, einige ukrainische Beamte ihn jedoch als "etwas beleidigend" empfänden. Zu diesen gehört mit großer Sicherheit der Berater des Präsidialamtes Michail Podoljak. In einem Fernsehgespräch am Samstag kritisierte er die Vereinigten Staaten deutlich schärfer als der ukrainische Präsident.
In dem Gespräch empfahl Podoljak den USA, sich zu entscheiden, ob sie weiterhin eine globale Führungsrolle einnehmen oder sich isolieren und vorrangig in der Innenpolitik engagieren wollen. Wenn sich das Land für die erste Option entscheide, sollte es die Verabschiedung des Gesetzentwurfs über die Hilfe für die Ukraine nicht länger hinauszögern. "Wenn Russland diesen Krieg gewinnt, wird die Welt ganz anders aussehen", sagte er.
"Wenn man eine globale Führungsmacht sein will, muss man darein investieren. Wenn man dazu nicht bereit ist, muss man sich zu erkennen geben und sagen, dass wir dem nicht gerecht werden können, wie wir ständig über uns selbst reden. Denn heute sieht es ein wenig seltsam aus", so Podoljak.
61 Milliarden Dollar seien ein ganzes Stück weniger als der Militärhaushalt, der bereits beschlossen wurde. Und es sei eine Investition in den Ruf der USA als weltpolitische Führungsmacht. "Wir warten darauf, dass die USA erkennen, dass ihr Ruf sehr wichtig ist. Wenn man so aussehen will, wie man ständig über sich selbst spricht, ist es wünschenswert, in dieses entsprechende Geld zu investieren", erklärte Podoljak.
Der Präsidentenberater wies zudem darauf hin, dass die Hauptunterstützung für die Ukraine derzeit nicht von den USA, sondern von europäischen Ländern geleistet werde. Darüber hinaus versicherte Podoljak, dass die Ukraine auch über eigene Ressourcen verfüge, um diesen Krieg zu führen.
Der Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, signalisierte am Anfang des Monats, dass das Hilfspaket mit "einigen wichtigen Neuerungen" bald zur Abstimmung kommen könnte. Diese umfassen unter anderem die Vorschläge, ein Darlehen an die Ukraine zu verlängern sowie eingefrorene russische Staatsgelder zu beschlagnahmen und nach Kiew zu transferieren. Moskau hat die Beschlagnahmung der Gelder als "Diebstahl" bezeichnet und vor Vergeltungsmaßnahmen gewarnt, falls es zu diesem Schritt kommen sollte.
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