Von Felicitas Rabe
Im Dezember 2021 hatte die Weltgesundheitsorganisation die Ausarbeitung eines internationalen WHO-Pandemieabkommens beschlossen. Dem Ärzteblatt zufolge wolle man damit "die Lehren aus der Coronakrise ziehen". Mittlerweile dauern die Vertragsverhandlungen zwischen den 194 WHO-Mitgliedsländern seit zwei Jahren an. Im Mai dieses Jahres, genauer gesagt am 27. Mai, soll der neue Pandemievertrag ratifiziert werden.
Allerdings konnten sich die Unterhändler der Mitgliedsländer bei der 9. Verhandlungsrunde zum geplanten Pandemieabkommen, die bis vergangenen Freitag in Genf stattfand, erneut nicht einigen. Wie das Ärzteblatt am Dienstag unter der Überschrift "Wieder keine Einigung bei Verhandlungen über weltweites Pandemieabkommen" berichtete, wolle man sich "notgedrungen" zwischen dem 29. April und 10. Mai zu einer weiteren Verhandlungsrunde zusammensetzen.
Das völkerrechtlich bindende Abkommen werde klare, international gültige Regeln in den Bereichen Prävention, Vorsorge und Reaktionen festlegen. Es soll einen "genauen Handlungsleitfaden für alle WHO-Mitgliedsstaaten vor und während einer Pandemie enthalten und eine zuverlässige Finanzierung sicherstellen", erläuterte die medizinische Fachzeitung die geplante Vereinbarung.
Besonders vehement würde der WHO-Pandemievertrag von den europäischen Ländern eingefordert. Dabei sei es den Europäern ein großes Anliegen, dass mehr Geld in die Pandemieprävention investiert werde. Afrikanische Länder legten dagegen mehr Wert auf besseren Zugang zu Impfstoffen und Arzneimitteln. Und die USA würden gern alle Länder verpflichten, Daten schnell und transparent auszutauschen.
Laut einem Beitrag der Bangkok Post vom Mittwoch bestehe ein wesentliches Problem bei der Einigung auf den WHO-Vertrag darin, dass keine Fördermittelversprechen mehr vorlägen. Es habe Schätzungen des Internationalen Währungsfonds gegeben, wonach die globale Ökonomie aufgrund der Covid-Lockdowns und zerstörten Lieferketten 13,8 Billionen Dollar Verluste gemacht habe. Infolgedessen erleide die Weltwirtschaft eine schwere Depression. Entsprechend wichtig sei es deshalb, in die Prävention potenzieller Pandemien zu investieren, verlautbarte der WHO-Rat. Damit werde man den Bevölkerungen weltweit präventiv Maßnahmen auferlegen können, auch wenn gar keine Pandemie festgestellt sei.
Etwas anders stellte man das Verhandlungsproblem am 28. März auf France24 dar. Der aktuelle Vertragsentwurf sei mit inzwischen 100 Seiten viel zu detailliert und lang. Deshalb hätten einige Verhandlungsteilnehmer gefordert, ihn statt auf ursprünglich 30 Seiten neuerdings auf nur 20 Seiten zu reduzieren. France24 zufolge habe ein westlicher Diplomat erklärt: "Er ist zu detailliert und zu umfangreich. Es ist unmöglich, sich in so kurzer Zeit auf 30 Seiten mit einem solchen Maß an Unsicherheit zu einigen."
Ein leitender Wissenschaftler der Nichtregierungsorganisation Third World Network, K. M. Gopakumar, habe gegenüber der französischen Presseagentur AFP geäußert, so ein Bericht auf peoples dispatch, man würde als Nächstes einen völlig neuen Vertragstext entwickeln. Um nicht zu scheitern, solle der neue Text "wahrscheinlich ein leichteres Dokument" werden. Der Vertrag könne dann zu einem späteren Zeitpunkt ergänzt werden. In Genf sagte er, man versuche verzweifelt, bis Ende Mai überhaupt noch einen Vertrag abzuschließen. Gopakumar kommentierte die neu anberaumte Verhandlungsrunde:
"Es ist eine Übung, um das Gesicht zu wahren, weil sie so verzweifelt sind, alles bis Mai abzuschließen."
In einer Mitteilung zum Scheitern der letzten Verhandlung zitierte die WHO auf ihrer Webseite den WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus. Darin betonte der Chef der Weltgesundheitsorganisation, wie wichtig der internationale Vertrag sei, um Generationen von Menschen vor schlimmem Leid zu bewahren:
"Unsere Mitgliedsstaaten sind sich voll und ganz bewusst, wie wichtig die Pandemievereinbarung ist, um künftige Generationen vor dem Leid zu bewahren, das uns durch die COVID-19-Pandemie widerfahren ist."
Man dürfe die Menschheit angesichts der Bedrohung durch zukünftige Pandemien schließlich nicht im Stich lassen, ergänzte die Co-Vorsitzende der Internationalen Verhandlungsgruppe (Intergovernmental Negotiating Body, INB), Dr. Precious Matsoso. Die ehemalige Leiterin der südafrikanischen Gesundheitsbehörde wurde in der WHO-Mitteilung mit den Worten zitiert:
"Die Regierungen haben klar erkannt, dass das Ziel eines Pandemieabkommens darin besteht, die Welt auf die Prävention und Reaktion auf künftige Pandemien vorzubereiten, und zwar auf der Grundlage von Konsens, Solidarität und Gerechtigkeit. Diese Ziele müssen unser Leitstern bleiben, während wir uns auf den Abschluss dieser historischen, dringenden Verpflichtung für die Welt zubewegen. Wir wissen, dass wir, wenn wir versagen, die Menschheit im Stich lassen, einschließlich all derer, die unter COVID-19 gelitten haben, und derer, die von künftigen Pandemien bedroht sind."
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