Von Andrew Korybko
Der taiwanesische "Verteidigungsminister" bestätigte vor etwa zehn Tagen, dass Spezialeinheiten der US-Armee die Truppen seines Staates auf der Insel Kinmen, die nur sechs Meilen vom chinesischen Festland entfernt liegt, ausbilden werden. Es war bereits provokativ genug, dass die ehemalige taiwanesische "Präsidentin" Tsai Ing-wen im Oktober 2021 enthüllte, dass es in ihrer selbst ernannten Zuständigkeit liegen würde, US-Soldaten für die Ausbildung taiwanesischer Truppen auf die Insel zu lassen. Nur wenige hätten sich jedoch vorstellen können, dass sie sich auf Taiwans äußerster Insel niederlassen würden.
Damals waren die Beziehungen zwischen den USA und China deutlich angespannter, jedoch begannen die Spannungen etwas nachzulassen, nachdem sich beide Staats- und Regierungschefs vergangenen November am Rande des Gipfeltreffens der APEC-Staaten in San Francisco getroffen hatten. In den vergangenen zwei Jahren wurde eine "neue Normalität" in ihren Beziehungen aufgebaut. Diese zielte teilweise darauf ab, die Weltwirtschaft zu stabilisieren, weil die Gefahr bestand, dass nach dem endgültigen Ende der Pandemie, diese durch den Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland in der Ukraine erneut gestört werden könnte.
Gleichzeitig baute China seinen wirtschaftlichen Einfluss im Globalen Süden weiter aus, während die USA regionale Verbündete zusammentrommelten, insbesondere Australien, Großbritannien, Japan und die Philippinen. Jeder weiß, dass dieser "kalte Frieden" möglicherweise nicht so lange anhält, wie er sollte, was angesichts der jüngsten Spannungen zwischen Peking und Manila über Fragen des Südchinesischen Meeres eine berechtigte Sorge darstellt. Daher ist es jederzeit möglich, dass durch eine Fehleinschätzung eine große Krise ausbricht und sowohl China als auch die USA unvorbereitet trifft.
China hat seine Abhängigkeit von der Straße von Malakka im Außenhandel noch nicht so weit diversifiziert, dass es einer längeren Blockade dieser Meerenge durch die USA nicht standhalten könnte. Auf der anderen Seite haben die USA ihren militärisch-industriellen Komplex noch nicht so weit auf Hochtouren bringen können, wie es nötig wäre angesichts eines solchen Szenarios. Keine Seite ist daher bereit, zu einem bewaffneten Konflikt überzugehen, aber aufgrund der Art und Weise, wie sich die sensible militärisch-strategische Dynamik derzeit im asiatisch-pazifischen Raum abspielt, könnte es dennoch dazu kommen.
Im besten Fall entschärfen sie die regionalen Spannungen durch gegenseitige Kompromisse, doch aufseiten der USA fehlt es an politischem Willen und Peking traut Washington nicht.
Der Präzedenzfall, wurde mit den Minsker Vereinbarungen geschaffen, nachdem der ehemalige französische Präsident François Hollande und die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zugegeben hatten, dass sie nie vorhatten, diese Vereinbarungen zu respektieren. Dies könnte Peking möglicherweise davon überzeugt haben, dass sich die asiatischen Verbündeten der USA ähnlich verhalten könnten. Die Rivalität zwischen China und den USA folgte bislang immer inoffiziellen "Vereinbarungen".
Die Stationierung US-amerikanischer Spezialeinheiten in unmittelbarer Nähe zum chinesischen Festland ist eine bedrohliche Wiederholung des Ansatzes, den die USA gegenüber Russland in Bezug zur Ukraine verfolgten. Dabei kam es zu einer schleichenden Expansion der NATO in diese ehemalige Sowjetrepublik, was schließlich als Reaktion darauf die militärische Sonderoperation Russlands auslöste. Genau wie damals mit Russland stellen nun auch die USA die Geduld Chinas auf die Probe, was im schlimmsten Fall zu einem ähnlich großen Stellvertreterkrieg führen könnte.
Der kleinste Fehltritt seitens Taiwans könnte die Feindseligkeiten neu entfachen, wenn auch zunächst nur von geringer Intensität. In diesem Fall könnte China die Insel Kinmen unter dem Vorwand der Selbstverteidigung beschießen und so den eingangs erwähnten Stolperdraht aktivieren, der die USA direkt in diese Krise hineinreißen würde. Die Präsenz dieser US-Spezialeinheiten auf dieser faktisch zu Taiwan gehörenden Insel, soll China daher davon abhalten, auf möglicherweise bevorstehende taiwanesische Provokationen zu reagieren, die in Form von Stützpunkten für Drohnen-, Raketen- oder andere inakzeptable Offensivwaffen daherkommen könnten, – Stützpunkte, die möglicherweise gemeinsamen mit den USA betrieben werden.
Es gibt keinen vernünftigen Grund für die USA, die Geduld Chinas auf diese Weise auf die Probe zu stellen, solange beide versuchen, die im vergangenen November vereinbarte "neue Normalität" in ihren Beziehungen aufrechtzuerhalten. Es handelt sich somit um eine unnötige Provokation, die das Risiko birgt, eine regionale Krise auszulösen, was die Weltwirtschaft abrupt destabilisieren würde. Die einzig schlüssige Erklärung für diese Provokation ist, dass antichinesische Falken in der Administration von Joe Biden hinter den Kulissen dafür verantwortlich sind.
Diese politischen Entscheidungsträger könnten der Meinung gewesen sein, dass die USA so viel Zeit mit dem vergeblichen Versuch verschwenden, Russland in Europa einzudämmen, dass sie China "ermutigt" haben, seinen Einfluss in Asien auf Kosten Amerikas "auszuweiten".
Vielleicht sind sie zu dem Schluss gekommen, dass die einzige Möglichkeit, den großen strategischen Kurs der USA zu korrigieren, bestehe darin, Spezialeinheiten auf der Insel Kinmen zu stationieren, die Einzelheiten an die Presse weiterzugeben und sie dann vom taiwanesischen "Verteidigungsminister" bestätigen zu lassen, um eine angeblich "kontrollierte Eskalation" mit China künstlich herbeizuführen.
Der Zweck dahinter wäre, ihre antirussischen Gegenspieler in der Administration in Washington unter Druck zu setzen, einen "Kompromiss" in der Ukraine zu akzeptieren, um die "Hinwendung der USA nach Asien" zu beschleunigen. Aber diese Abfolge der Ereignisse hängt davon ab, dass China entsprechend genauso heftig reagiert, wie seinerseits beim Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, in Taiwan. Sollte Peking jetzt Gift und Galle speien, wozu es nach dieser ungeheuerlichen militärischen Provokation berechtigt wäre, dann könnte dies unbeabsichtigt das Narrativ des Neuen Kalten Krieges umgestalten.
Trotz der Blockade im US-Kongress bezüglich zusätzlicher militärischer und finanzieller Hilfe für die Ukraine, sind die USA gegenwärtig weiterhin offiziell entschlossen, Russland in der Ukraine zu bekämpfen. Aber im Hinblick auf die "Hinwendung nach Asien", könnte eine "kontrollierte Eskalation" mit China, die Stimmung in Washington in die Richtung einer Minimierung der Verluste in Osteuropa lenken. Solche Überlegungen gehen jedoch auf gefährliche Weise davon aus, dass eine solche Eskalation mit China tatsächlich kontrollierbar wäre. Dies kann jedoch nicht als selbstverständlich betrachtet werden, wie die USA es seit Februar 2022 von Russland erfahren mussten.
Zwar gibt es keine glaubwürdigen Anzeichen dafür, dass China eine energische Reaktion auf die ungeheuerliche militärische Provokation der USA auf der Insel Kinmen vorbereitet. Dennoch bedeutet die Stationierung dieser Spezialeinheiten dort – wenn auch unter dem Deckmantel der "Rotation" –, dass dies immer ein Risikofaktor sein wird. Sie fungieren als Stolperdraht, um Chinas militärische Handlungsfreiheit in jeder bevorstehenden Krise in der Taiwanstraße einzuschränken und die USA direkt einzubeziehen, falls dies scheitert – was sehr gefährlich und unverantwortlich ist.
Aus dem Englischen
Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe, der sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien sowie auf Chinas Belt & Road-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt und hybride Kriegsführung spezialisiert hat.
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