Von Michail Katkow
Nach Angaben des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KMIS) glauben immer weniger Ukrainer, dass sich ihr Land in eine richtige Richtung bewegt. Meinten das im Dezember noch 54 Prozent, so glaubten es im Februar nur noch 44 Prozent. Dabei wuchs auch der Anteil von klar pessimistisch Eingestellten von 32 auf 46 Prozent. Bemerkenswerterweise gibt es in den Gebiete der Westukraine die negativere Einstellung. Dort beträgt der Anteil der Pessimisten 55 Prozent.
Die populärste Person des öffentlichen Lebens war kürzlich Waleri Saluschny, der ehemalige Oberbefehlshaber des ukrainischen Militärs. Ihm vertrauten 94 Prozent der Ukrainer, und nur vier Prozent ihn ablehnten. Die entsprechenden Werte betragen für den Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes Kirill Budanow 66 gegen 19 Prozent, bei Selenskij aber 64 gegenüber 35 Prozent Ablehnung. Auch bei dem Schauspieler und politischen Aktivisten Sergei Pritula liegen sie bei 61 gegen 33 Prozent, beim neuen militärischen Oberbefehlshaber Syrski betragen sie 40 Prozent Zustimmung gegen 21 Prozent Ablehnung, wobei 35 Prozent der Befragten angaben, dass sie gar nicht wüssten, von wem die Rede sei. Dazu merkte das KMIS allerdings an, dass die Antworten von zwei Drittel der Befragten noch von vor der Entlassung von Saluschny stammen.
Was die Opposition angeht, so steht es nur noch um den Bürgermeister von Kiew Witali Klitschko und den Ex-Präsidenten Petro Poroschenko einigermaßen gut. Deren Zustimmungswerte betragen jeweils 48 und 31 Prozent. Das Rating der Leiterin der Batkiwschtschina-Partei Julia Timoschenko beträgt 17 Prozent, das der verbotenen "Oppositionsplattform – Für das Leben" von Juri Boiko liegt bei 10 Prozent.
Vor dem Beginn der russischen Militäroperation lag Selenskijs Zustimmungswert bei 37 Prozent, ergänzte das KMIS. Im Mai 2022 stieg die Zustimmung sprunghaft bis auf 90 Prozent. In den nächsten anderthalb Jahren verlor der Präsident 13 Prozent und noch einmal genauso viel in den letzten zwei Monaten. Soziologen erklären dies mit der Entlassung von Saluschny jüngst sowie mit Niederlagen an der Front und Verzögerungen von westlichen Hilfslieferungen.
Die ukrainische Stiftung für Rechtsinitiativen (FPI) führte ebenfalls eine soziologische Studie durch. Hätten Anfang Februar Präsidentschaftswahlen stattgefunden, so hätte Saluschny in der ersten Runde den Sieg davongetragen – 38 Prozent der Befragten waren bereit, für ihn zu stimmen, und nur 16 Prozent hätten Selenskij unterstützt. Die Partei des Ex-Oberbefehlshabers hätte bei Parlamentswahlen mit 36 Prozent ebenfalls den ersten Platz erhalten, während Selenskijs Partei "Diener des Volkes" nur noch zwölf Prozent erhalten hätte.
Ruslan Bortnik, der Leiter des ukrainischen Instituts für Politikanalyse und -Management ist der Ansicht, dass die tatsächlichen Abstimmungswerte hätten anders sein können, doch insgesamt sinken die Zustimmungswerte der Führung: "Allen ist klar, dass dort neue Gesichter benötigt werden. Die Diskrepanz zwischen offizieller Rhetorik und öffentlicher Stimmung ist riesig, zwischen Volk und Regierung liegt eine Kluft. Im besten Fall kommen nur 30 Prozent der öffentlichen Stimmungen bei der Elite an."
Der ukrainische Politologe Alexei Jakubin merkte an, dass es zu früh sei, über politische Perspektiven des Ex-Oberbefehlshabers zu urteilen. "Sollte Saluschny beginnen, um Macht zu kämpfen, wird er sich zu zahlreichen heiklen Themen äußern müssen. Die Gesellschaft ist polarisiert, und nicht sehr viele sind gegenwärtig bereit, ihn aktiv zu unterstützen", erklärte Jakubin in einem Interview für ukrainische Medien.
Der Politologe Oleg Chomjak verwies auf zahlreiche negative Kommentare unter dem Video, das den jüngsten Besuch des Präsidenten in Rabotino zeigt: "Die Regierung zerstört das Vertrauen zu sich. Selenskijs Team bleibt nur deshalb, weil unter Kriegsbedingungen keine Wahlen durchgeführt werden können. Die größte Katastrophe ereignet sich nicht an der Front, sondern im Hinterland. Der Präsident hat keine Strategien, um das Land aus der Krise zu führen."
Experten, die von der Nachrichtenagentur RIA Nowosti befragt wurden, vermuten dagegen, dass Selenskijs Zustimmungswerte niemals 80 oder gar 90 Prozent erreicht hätten. Dabei handele es sich vermutlich um eine Manipulation der öffentlichen Stimmung. Nun zeigen Soziologen deutlich bescheidenere Zahlen, was auch bedeutet, dass seine westlichen Partner das Interesse an dem derzeit amtierenden Präsidenten verlieren.
"Ukrainischen Umfragen kann man nicht glauben. Doch aus vorhandenen Angaben ist es klar, dass die USA den Boden für eine Entlassung von Selenskij vorbereiten. Auch wenn keine Wahlen anstehen, so läuft doch die Kampagne faktisch bereits. Schließlich gibt es noch viele andere Wege, einen Staatschef zu wechseln", stellt etwa der Politologe Alexander Dudtschak fest.
Die Veröffentlichung der zitierten Umfragen solle Ukrainern bereits den Gedanken nahebringen, dass der Präsident sein Amt niederlegen sollte, meint der Analyst. Selenskij komme angeblich seinen Pflichten nicht nach, entlasse populäre Generäle als potenzielle Konkurrenten und wisse gar nicht, wie man das Land aus der Sackgasse bringen kann. "Der Mensch ist ein soziales Wesen, 70 Prozent der Menschen sind geneigt, sich der Mehrheitsmeinung anzuschließen. In diesem Fall stellen die Soziologen fest, dass Selenskijs Popularitätsspitze in der Vergangenheit liegt", erklärte Dudtschak.
Diese Ansicht teilt auch der Politologe Rostislaw Ischtschenko. Seiner Meinung nach sei eine objektive Umfrage in der Ukraine derzeit gar nicht möglich, die veröffentlichten Materialien wurden vermutlich von einer der konkurrierenden Gruppierungen bestellt. "Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung befindet sich im Ausland oder an der Front. Es gibt keine Möglichkeiten, deren wirkliche Meinung schnell herauszufinden. Dazu haben Menschen zu viel Angst, sich frei zu äußern", sagt er.
Es sei besser, die Stimmung in der Gesellschaft nicht nach Angaben von Soziologen, sondern nach dem Verhalten der Bevölkerung zu beurteilen, betont der Experte. So wollen zahlreiche Ukrainer selbst nicht an den Kriegshandlungen teilnehmen, meinen aber, ihre Nachbarn müssten das tun. Deswegen kämpfe die Armee weiter, auch wenn der Gesetzentwurf über die Mobilmachung kritisiert wird. Die auf eine Konfrontation gegen Russland ausgerichtete Generallinie bleibe in der Ukraine weiterhin unverändert bestehen.
Übersetzt aus dem Russischen und zuerst veröffentlicht bei RIA Nowosti.
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