Von Alex Männer
Die demographische Situation in der Ukraine ist angesichts des Krieges und einer jahrzehntelangen Negativentwicklung regelrecht desaströs. Allein seit dem Beginn der russischen Militärintervention 2022 haben mehr als 13 Millionen Ukrainer bis heute ihr Land verlassen. In den 32 Jahren seit dem Ende der Sowjetunion hat sich die ukrainische Bevölkerung von knapp 52 Millionen Einwohnern auf mittlerweile etwa 25 Millionen mehr als halbiert.
Die kommende demografische Katastrophe zeigt sich auch in der Altersstruktur der Bevölkerung, wo der Anteil der 20- bis 30-Jährigen in der Vergangenheit beständig abgenommen hat und mittlerweile erschreckend deutlich unter dem Niveau der anderen Altersgruppen liegt, was primär aus den hohen Kriegsverlusten und den zahlreichen Flüchtlingsströmen ins Ausland resultiert. Dem Statistikportal Population Pyramid zufolge macht der männliche Anteil der 20- bis 30-jährigen Ukrainer nur 3,2 Prozent der Bevölkerung aus, der weibliche Anteil 2,6 Prozent. Was insgesamt zu wenig ist, um einen positiven Wandel herbeizuführen.
Neben der Flucht, den Kriegsverlusten sowie der hohen Sterblichkeitsrate im Land ist die niedrige und weiterhin sinkende Geburtenzahl eine der Hauptursachen dafür, dass die Ukraine immer tiefer ins demografische Loch fällt.
Es wird angenommen, dass für eine natürliche Zunahme der Bevölkerung eine Fertilitätsrate von mehr als drei Kindern pro Frau notwendig ist. Die Geburtenrate in der Ukraine lag im Jahr 2021 geschätzt bei rund 1,16 Kindern je Frau, womit sie im weltweiten Vergleich schon damals zu den niedrigsten zählte. Inzwischen ist diese Rate höchstwahrscheinlich noch weiter gefallen, weil die Geburtenzahl in dem Krisenland in den vergangenen zwei Jahren kräftig abnahm. Wie das Magazin Forbes unter Verweis auf ukrainische Behördenangaben schreibt, sind die Geburten 2022 im Vergleich zum Vorjahr um neun Prozent gesunken. Im vergangenen Jahr fiel diese Zahl um weitere elf Prozent auf knapp 187.000 – ein historischer Tiefstand.
Fallende Geburtendynamik
Wichtig anzumerken ist, dass eine gravierende Negativentwicklung in Bezug auf die Geburtendynamik in der Ukraine bereits nach dem Zusammenbruch der UdSSR beziehungsweise mit dem Beginn der ukrainischen Unabhängigkeit 1992 eingesetzt hatte, deren Folgen schon seit vielen Jahren zu spüren sind. Während es zum Beispiel zu späten Sowjetzeiten jährlich noch etwa 600.000 Geburten im Land gab, verlangsamte sich das Wachstum der ukrainischen Bevölkerung in den darauffolgenden zwei Jahrzehnten um mehr als ein Drittel.
Des Weiteren verzeichnete man eine starke Abnahme der Geburtenziffer zwischen 2016 und 2022 – wodurch die Behauptung widerlegt ist, dass die Ursachen der sinkenden Geburten ausschließlich auf den Krieg mit Russland zurückzuführen sind. Nach Schätzungen soll sich die Zahl der Geburten in diesem Zeitraum von etwa 360.000 pro Jahr auf 273.000 reduziert haben.
Der Hauptgrund dafür ist die Perspektivlosigkeit, mit der sehr viele Ukrainer im Zuge des sogenannten "Euromaidan" konfrontiert wurden. Damals, nach dem blutigen Umsturz in Kiew im Februar 2014, hatte die neue prowestliche Führung der Ukraine einen unerbittlichen Kurs Richtung EU- und NATO-Mitgliedschaft eingeschlagen und war nach wenigen Monaten in einen blutigen Bürgerkrieg im Osten des Landes hineingeschlittert, der schon in seiner Anfangsphase mehrere Tausend Opfer gefordert hat.
Zudem war die ukrainische Wirtschaft in dieser Zeit um die Hälfte eingebrochen und hat sich enorm verschuldet, sodass sie nur mithilfe von ausländischen Finanzen vom Bankrott bewahrt werden konnte. Dies und die vom Westen aufgedrängte "Europäische Integration" hatten den Wunsch von Millionen jungen Ukrainern noch zusätzlich gestärkt, ihr Heimatland zu verlassen und in die EU-Staaten auszuwandern.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung sind viele Experten der Meinung, dass die Ukraine schon jetzt am Rande einer nationalen Katastrophe steht und dass die demografische Krise sich noch weiter verschärfen wird. Davon ist auch der ukrainische Wirtschaftswissenschaftler Oleksandr Kusch überzeugt.
Er prognostiziert, dass in den kommenden 30 Jahren lediglich 4,5 Millionen Kinder in der Ukraine zur Welt kommen werden. Vorausgesetzt, die aktuelle Geburtenrate bleibt stabil. Sollte diese aber weiter abnehmen, dann würde die Zahl der Geburten drei Millionen nicht überschreiten.
Mehr zum Thema – Bürgermeister einer russischen Stadt drängt darauf, mehr Kinder zu zeugen