Warum die USA nicht mit anderen Weltmächten auskommen können

Die amerikanischen Eliten glauben an ihre Demokratie und zugleich, im Ausland müssten Diktaturen herrschen. Deshalb bewegt sich derzeit die Welt in einem sehr gefährlichen Fahrwasser. Der Grundsatz von Souveränität und Gleichberechtigung aller Nationen ist für die USA nur sehr schwer zu verstehen.

Von Andrei Suschenzow

Die Ukraine ist für die USA ein bequemes und sogar billiges Instrument, um Russland schwächen, eindämmen und obendrein seine europäischen Verbündeten zu Disziplin und Gehorsam zwingen zu können. All das ist Teil eines internationalen Kampfes um eine neue Form der Hierarchie.

Natürlich ist dies nur ein vorübergehendes Phänomen, bis schließlich ein neues Kräfteverhältnis von allen anerkannt wird. Aber bis dieser Punkt erreicht ist, werden wir außenpolitische Experimente verschiedener Staaten erleben. Die Positionen kleiner und mittlerer Staaten rücken zunehmend in das Blickfeld der Großmächte, die ihrerseits um die Bildung eines neuen Gleichgewichts ringen. Wir sind in einem Moment angelangt, in dem ein kleiner Staat wesentlich mehr für sich selbst verlangen kann, als er es in einem System starrer Hierarchie bekommen würde.

Im Ringen um die Verbesserung seines Platzes in der Welthierarchie sieht sich Russland gut vorbereitet, um seine nationalen Interessen zu verteidigen und eine geopolitische Gerechtigkeit wiederherzustellen. Durch einen solchen Stresstest, wie wir ihn jetzt erleben, werden Realitätsnähe der Bewertungen, die nationalen Qualitäten, Breite der Ressourcen und die Strategieentwicklung auf die Probe gestellt. Im Wesentlichen ist diese Krise ein Test für die Qualität der Strategie aller Beteiligten: Jeder geht mit seinem eigenen, anfänglichen Verständnis in die Krise, wie die Welt wohl aussehe, wie sie funktioniere und wohin der Lauf der Zeit uns führen werde.

Die USA sind der festen Überzeugung, dass Außenpolitik Teil der Innenpolitik ist. Darüber hinaus ist jede US-amerikanische außenpolitische Strategie ein Bestandteil interner Kämpfe in den USA. Natürlich verunsichert diese Selbstbezogenheit der USA ihre nahen und ferneren Verbündeten und sorgt für Unsicherheit über die Entwicklung der jeweiligen Situation. Ich sehe derzeit keine objektiven Gründe dafür, dass man in Washington, D.C. das Engagement in ukrainischen Angelegenheiten reduzieren will. Die aktuelle Entscheidung, die Finanzierung auszusetzen, ist rein technischer Natur: Höchstwahrscheinlich werden die USA einen Weg finden, die notwendigen Mittel aus einer anderen Quelle abzuzweigen und an die Ukraine zu überweisen.

Die USA eliminieren jegliche Impulse für eine strategische Autonomie Westeuropas und entziehen dem Kontinent erfolgreich seine natürlichen Ressourcen aus Russland. Die USA "verkauften" den Europäern den Ukraine-Konflikt als einen angeblich schnellen Sieg über Russland samt einem leichteren Zugang zu natürlichen Ressourcen in großer Menge und der Möglichkeit zur Bereicherung. Mit zunehmender Dauer des Konflikts begannen aber die relativen Gewinne sowohl für die USA als auch für die Westeuropäer zu sinken. Die Ressourcen, die die Westeuropäer für die eigene Entwicklung bereitstellen könnten, fließen nun entweder in den Kauf von Energieressourcen  – als der wichtigsten materiellen Grundlage jeder wirtschaftlichen Entwicklung – zu überhöhten Preisen oder in die Lieferung von Waffen und militärischer Ausrüstung an die Ukraine. Daher glaube ich, dass wir in der Strategie der USA nichts Neues erleben werden. Und da der neuste Entwurf des russischen Haushalts davon ausgeht, dass die militärischen Bedingungen in den nächsten drei Jahren weiterhin bestehen bleiben, glaube ich nicht, dass die USA bereit sein werden, auf ihren Vermögen in Gestalt der Ukraine zu verzichten.

Es gibt noch eine weitere Beobachtung: Die USA halten niemals an einem "fallenden" Vermögenswert fest. Als "Anleger" erkennen sie, wenn sie ihr Geld rasch in etwas anderes investieren müssen. Aber vielleicht wird man auch in Washington irgendwann vom Gefühl her begreifen, dass die Ukraine ein Vermögenswert ist, der ständig Kosten verursacht, aber keinen Mehrwert mehr bietet.

Die USA könnten auch durch eine nicht vorhergesehene Notsituation in einem anderen Teil der Welt dazu veranlasst werden, ihre Unterstützung der Ukraine aufzugeben, weil sie in diesem Moment gezwungen sind, ihre Anstrengungen auf einen anderen Brennpunkt zu konzentrieren. Spontan fallen mir da Taiwan oder die plötzliche Krise in der westlichen Hemisphäre ein.

Die Aussetzung der Finanzierung der Ukraine hätte nicht stattgefunden, wenn Kiew den Beweis einer guten Investition geliefert hätte und so das von den US-Medien gemalte Bild einer "siegreichen Ukraine" und eines "zum Scheitern verurteilten Russlands" der Realität entsprochen hätte. Das Problem für die Ukraine und den Westen besteht jedoch darin, dass die ständige Produktion illusorischer Ideen nicht durch die Realität bestätigt wird. Je größer die Differenz zwischen Wunschbild und Wirklichkeit ist, desto schwieriger wird es, einen solchen Vermögenswert zu "halten".

Statt positiver Bilder, die mit Sieg und Triumph– also einer guten "Kapitalrendite" – verbunden sind, kommen andere Nachrichten in die Wohnstuben der Bürger: Eine ins Stocken geratene ukrainische Gegenoffensive, Korruptionsskandale, der Versuch des Präsidenten Wladimir Selenskij, Druck auf Verbündete auszuüben, und Skandale mit Nazi-Kollaborateuren, in die er direkt verwickelt ist. Die schockierende Episode der Ehrung eines Verbrechers der Waffen-SS aus dem Zweiten Weltkrieg im kanadischen Parlament ist symptomatisch für ein weitaus größeres Problem.

Im Laufe der Jahrzehnte, als die große ukrainische Diaspora in Kanada an Einfluss gewann, verschlossen die USA ihre Augen vor dem Kult um die OUN-UPA in ihren Reihen – der ukrainischen Nationalisten, die mit Adolf Hitlers Deutschland verbündet waren –, um Nazi-Kollaborateure ehren zu können und Kinder in den Schulen antisowjetisch zu indoktrinieren. Die ukrainische Regierung hat längst erkannt, dass es sich hier bereits um ein im Westen völlig legitimiertes Phänomen handelt und hat damit begonnen, diesen Kult in ihrer offiziellen Propaganda zu nutzen.

Es gibt trotzdem einige Veränderungen: Zum ersten Mal tadelt man in Washington die Ukrainer, wenn sie mit Provokationen – darunter auch Provokationen im Informationsraum – die Verantwortung für ihre eigenen Verbrechen auf Russland abwälzen wollen. Der Raketenangriff auf zivile Einrichtungen in Konstantinowka, der seltsamerweise mit dem Besuch des US-Außenministers Antony Blinken in Kiew zusammenfiel, wurde von der ukrainischen Propaganda als ein "russisches Verbrechen" bezeichnet. In Washington, D.C. korrigierte man Kiew geschickt und womöglich zum ersten Mal, indem man darauf hinwies, dass diese Rakete ukrainischen Ursprungs war. Die Tatsache, dass solche Meinungsverschiedenheiten überhaupt entstanden sind, deutet darauf hin, dass die Interessen der USA und der Ukraine zunehmend getrennte Wege gehen könnten. Ich glaube, dass die Eliten in Kiew darüber nachdenken sollten, wie ein "Plan B" für sie aussehen könnte, denn im Moment haben sie alles nur auf eine Karte gesetzt und versperren sich damit jeglichen Weg zu Verhandlungen, zu einem Rückzug oder irgendeinem anderen Szenario.

Ist es möglich, dass der Präsidentschaftswahlkampf in den USA Auswirkungen auf den Ukraine-Konflikt haben könnte? Ich würde eher ein Szenario in Betracht ziehen, das für Moskau keine Besserung in den Beziehungen nach Washington hervorbringt, und ich würde sogar von der Prämisse ausgehen, dass uns das auch egal sein sollte, wer dort im Weißen Haus sitzt. Ehrlich gesagt wiederholen sich die Diskussionen mit den USA über regionale Krisen immer wieder und wandeln auf ausgetrampelten Pfaden. Ich erinnere mich an die Diskussionen zum Konflikt in Syrien, als US-Experten prophezeiten, dass dieser Konflikt starke negative Auswirkungen auf die Innenpolitik Russlands haben werde, dass Russland sogar mit der islamischen Welt in Konflikt geraten würde und dass die Beziehungen zur Türkei, mit Iran und anderen Akteuren in der Region infolge dessen zusammenbrechen werden. Nichts davon ist eingetreten, das waren alles gegenstandslose Spekulationen. Russland handelte in seinem eigenen Interesse und erreichte am Ende ein Optimum für sich.

Es muss auch anerkannt werden, dass die USA immer zynischer werden und viele "Regeln", für die sie einstmals eintraten, selbst nicht mehr einhalten. Wir sehen dies an der Reihe von Terrorakten der Ukraine gegen russische Persönlichkeiten, die auch in Washington nicht verurteilt wurden. Das Thema Terrorismusbekämpfung beispielsweise war einst etwas, das die USA mit Russland verband – Anfang der 2000er Jahre testeten beide sogar die Möglichkeit einer intensiven Zusammenarbeit in der Bekämpfung aus. Aber das ist jetzt alles Geschichte. 

Erstens wurde der Austausch mit Russland im Kampf gegen den Terrorismus abgebrochen, obwohl dies ein absolut vitaler Interessensbereich ist, in dem eine Zusammenarbeit äußerst wichtig ist. 

Zweitens nutzen die USA solche Gruppierungen, die in Russland zu terroristischen Organisationen erklärt wurden, häufig als eines ihrer Instrumente, um ihre geopolitischen Ziele voranzutreiben. Die USA stellen sich völlig blind und taub gegenüber den terroristischen Aktionen der Streitkräfte, der Regierung und der Sonderdienste in der Ukraine, die offen auf zivile Infrastruktur abzielen und die Zivilbevölkerung terrorisieren. Es ist, als würden die USA bewusst die Augen davor verschließen – ebenso, wie sie es gegenüber allen Erscheinungsformen von Nazi-Kult in der ukrainischen Politik tun.

Die strukturellen Probleme der USA in ihren Beziehungen zu Russland und anderen großen Ländern sind folgende: In Washington, D.C. kann und will man sich nicht vorstellen, dass auch jemand anders als sie selbst Menschenwürde und Selbstachtung besitzen könnte und dass andere Staaten ihre eigenen Standpunkte haben. Was die USA in ihrer Innenpolitik ganz gut praktizieren – jeder Stimme Aufmerksamkeit zu schenken, eine diverse Gesellschaft, Rede- und Meinungsfreiheit –, können und wollen sie im Rest der Welt nicht tolerieren. Der Grundsatz von Souveränität und Gleichberechtigung aller Nationen ist für die USA nur sehr schwer zu verstehen.


Übersetzt aus dem Englischen


Andrei Suschenzow ist assoziierter Professor am staatlichen Institut für Internationale Beziehungen in Moskau und Programmdirektor beim Waldai-Klub.

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