Von Finian Cunningham
Gemäß den Nachrichten aus der Branche der Schifffahrt, verschärft sich der Konflikt im Roten Meer zusehends, was massive Auswirkungen auf die Handelsschifffahrt und die Weltwirtschaft verursacht. Man könnte annehmen, dass der gesunde Menschenverstand obsiegen würde, um diesen Konflikt rasch und diplomatisch zu lösen. Würde in Gaza ein Waffenstillstand ausgerufen, um das schreckliche Massaker an palästinensischen Zivilisten durch Israel zu stoppen, dann würde die von Jemen auferlegte Blockade durch die Meerenge von Bab al-Mandab umgehend beendet werden. Die jemenitischen Machthaber haben dies unmissverständlich klargemacht: Beendet den Völkermord in Gaza und wir beenden die Blockade der Schifffahrt durch die Meerenge.
Der moralische Imperativ, das entsetzliche Leid in Gaza sofort zu beenden, ist daher ein unkomplizierter – um nicht zu sagen absolut notwendiger – Weg, um die ungehinderte Schifffahrt durch das Rote Meer wiederherzustellen und für einen weitgehenden Frieden in der Region zu sorgen. Wir reden hier nicht von einem Dilemma oder einem unlösbaren Problem. Es ist unentschuldbar, dem Offensichtlichen nicht ins Auge sehen zu wollen. Die Vereinigten Staaten haben die Macht, den israelischen Völkermord auf der Stelle zu beenden. Doch die Regierung von Joe Biden weigert sich, ihre Kontrolle über das Regime von Benjamin Netanjahu auszuüben.
Washington hat sich im Gegenteil dafür entschieden, die militärische Aggression im Roten Meer zu verschärfen, indem es seit dem 11. Januar mindestens acht Wellen von Luftangriffen auf den Jemen lancierte – auf das ärmste Land in der arabischen Region, das bereits von 2015 bis 2022 einen völkermörderischen Krieg durch eine Aggression Saudi-Arabiens über sich hat ergehen lassen müssen, mit freundlicher Unterstützung der USA und Großbritanniens. Die Jemeniten ihrerseits haben trotzig angekündigt, dass sie ihre Blockade der Schifffahrt aufrechterhalten werden, bis die völkermörderischen Handlungen Israels in Gaza ein Ende finden. Derweil musste selbst Joe Biden einräumen, dass die militärischen Maßnahmen zur Disziplinierung der Jemeniten ihre Ziele nur begrenzt erreichen.
Warum also die Situation weiter verschärfen und potenzielle Konflikte in der gesamten Region eskalieren lassen? Die Bombardierungen des Jemen werden nicht nur keine Resultate hervorbringen, sie werden im Gegenteil die Gewalt im gesamten Nahen Osten zusätzlich schüren und eine direkte Konfrontation mit Iran riskieren, der mit den Jemeniten verbündet ist. Wie der iranische Professor Mohammad Marandi vergangene Woche in einem Interview betonte, besteht ein großer Anreiz für die USA und ihrem israelischen Verbündeten darin, die Region in die Luft zu sprengen, um zu verbergen, wie katastrophal die Niederlage in Gaza für Washington und das israelische Regime von Benjamin Netanjahu ist.
Aber vielleicht steckt doch mehr dahinter. Ein weiterer Anreiz für eine militarisierte Reaktion auf die Krise am Roten Meer ist der strategische Gewinn, den die USA dadurch gegenüber Europa und China erzielen könnten. Die Blockade der Schifffahrt vom und ins Rote Meer treffen vor allem den europäischen und chinesischen Handel, während die US-amerikanischen Wirtschaftsinteressen davon relativ unberührt bleiben. Nach Angaben des in Washington ansässigen Middle East Institute, werden schätzungsweise etwa 60 Prozent der chinesischen Exporte nach Europa über das Rote Meer verschifft. Oder anders ausgedrückt: Die Zahlen von Eurostat zeigen, dass 20 Prozent aller EU-Importe aus Asien über das Rote Meer kommen. Je länger die Unsicherheit und die Feindseligkeiten im Roten Meer andauern, desto größer wird zwangsläufig der Schaden für den Handel zwischen Europa und Asien und ihre jeweiligen Volkswirtschaften.
Reuters berichtete, dass China Iran dazu drängt, die Aktionen der Ansar Allah und der jemenitischen Streitkräfte am Roten Meer einzudämmen. Das zeigt, wie schwerwiegend sich die Blockade auf den chinesischen Handel mit Europa auswirkt. Die Europäische Union scheint den Schaden, den die US-Politik den Volkswirtschaften ihrer Mitgliedsländer zufügt, nicht zu bemerken. Die Europäer haben Washingtons militarisierter Aggression gegen den Jemen sogar demütig zugestimmt.
Es ist ein langfristiges und äußerst begehrtes Ziel Washingtons, die Handels- und politischen Beziehungen Europas zu China zu kappen. China ist zum wichtigsten Handelspartner der Europäischen Union geworden und hat die Vereinigten Staaten in dieser historischen Rolle überholt. Während der aktuellen Regierung unter den Demokraten und zuvor den Republikanern, hat Washington energisch versucht, die europäisch-chinesischen Beziehungen zu untergraben. Die USA reagierten stets gereizt auf alle zwischen den beiden Partnern unterzeichneten Handels- und Investitionsabkommen.
Die Krise am Roten Meer ist daher eine willkommene Gelegenheit für die Vereinigten Staaten, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Durch die Verschärfung der Probleme bei der Schifffahrt durch die Militarisierung der Umstände, die dazu geführt haben, können die USA die Wirtschaft Europas und Chinas schwächen und gleichzeitig einen sehr großen Keil zwischen die beiden Handelspartner treiben. In den kurzfristigen imperialen Berechnungen der USA winkt dabei ein verlockender Gewinn. Die USA festigen ihre hegemoniale Kontrolle über die schwächeren europäischen Verbündeten und schädigen gleichzeitig Chinas Wirtschaftsmacht.
Dieses kurzfristige Denken der US-imperialen Planer, ist aufgrund des weitreichenden Verfalls der Weltwirtschaft und des internationalen Friedens, sowie der internationalen Sicherheitslage, auf lange Sicht natürlich selbstzerstörerisch. Aber langfristiges Denken über das Gemeinwohl hatte für den kapitalistischen US-Imperialismus noch nie eine Priorität. Man könnte sogar behaupten, dass die USA grundsätzlich in Opposition zum Gemeinwohl stehen.
Hier tut sich eine enge Analogie zur Ukraine-Krise auf. Washington hat Feindseligkeiten mit Russland initiiert, um den europäisch-russischen Handel und ihre umfassenderen kulturellen und politischen Beziehungen zu unterminieren. Washington rechnete damit, dass ein solcher Antagonismus seine eigenen hegemonialen Ambitionen stärken wird. Die ideologisch sklavischen europäischen Staats- und Regierungschefs haben dieser Strategie zugestimmt, obwohl dies zu einer wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Katastrophe für Europa geführt hat. Die europäischen Staats- und Regierungschefs sind entweder zu dumm oder zu intensiv einer Gehirnwäsche unterzogen worden, um einschätzen zu können, was tatsächlich vor sich geht und wie sie von Washington für seine egoistischen strategischen Interessen manipuliert werden.
Hätten die europäischen Regierungen Unabhängigkeit oder Integrität an den Tag gelegt, wären sie im Fall der Ukraine nicht den Weg des Konflikts mit Russland gegangen. Aber so wie es sich derzeit darstellt, hat Onkel Sam bekommen, was er wollte – und zwar mit großem Erfolg. Darüber hinaus scheinen die europäischen Regierungen dies nicht zu bemerken oder sich überhaupt darum zu kümmern.
Der aktuellen Nahostkrise scheint dasselbe Schicksal bevorzustehen, denn auch hier schießt man sich letztlich selbst ins Bein. Die Europäer unterstützen einen Völkermord in Gaza, aus Rücksicht auf die imperialistischen Interessen der USA und jener des israelischen Regimes. Mit der Krise am Roten Meer, die den Handel zwischen der EU und China erschweren wird, ist eine zusätzliche Dynamik dazugekommen. Anstatt eine diplomatische Lösung des Konflikts anzustreben, schürt die EU ihn zusätzlich und schädigt dabei ihr eigenes internationales Ansehen und ihre strategischen Interessen.
Es ist kein Wunder, dass die USA ihre europäischen Vasallen letztlich mit Verachtung behandeln, weil sich diese völlig rückgratlos verhalten, dabei anscheinend gänzlich ahnungslos bleiben und sich letztlich erneut selbst ins Bein schießen werden.
Mehr zum Thema – Wie Jemen die Geopolitik im Nahen Osten verändert
Erstveröffentlichung in englischer Sprache bei Strategic Culture Foundation.
Finian Cunningham ist ein preisgekrönter Journalist. Mehr als 25 Jahre arbeitete er als Redakteur und Autor unter anderem für Zeitungen wie Mirror, Independent, Irish Times und Irish Independent.